Präsidentschaftswahlen in Frankreich Die Kandidaten für den Elysée-Palast

In Frankreich bringen sich die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen in Stellung. Mit Le Pen und Macron inszenieren sich selbsterklärte Gegner des Establishments. Nicolas Sarkozy musste derweil aufgeben.

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François Fillon, Arnaud Montebourg, François Hollande, Nicolas Sarkozy, Alain Juppé, Marine Le Pen (vl.) Quelle: Collage

Haben Frankreichs Wähler die politische Elite endgültig satt? Ist im nächsten Frühjahr ein Systembruch wie in den USA denkbar? Seit Donald Trump vorige Woche zum 45. US-Präsidenten gekürt wurde, überschlagen sich Experten - echte und selbsternannte - mit ihren Prognosen über den Ausgang der französischen Präsidentschaftswahlen im April und Mai. Die Rechtspopulistin Marine le Pen gilt mehr denn je als präsidiabel. Aber auch der zum Systemkritiker mutierte ehemalige Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, der seinen Hut am Mittwoch in den Ring warf.

Die erste Runde der Vorwahlen bei den Konservativen am Sonntag endete mit einer Sensation: Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy schied aus. Als Überraschungssieger ging der ehemalige Premierminister François Fillon als Überraschungssieger hervor. Er stellt sich am nächsten Sonntag der Stichwahl gegen den lange als Favoriten geltenden Bürgermeister von Bordeaux, Alain Juppé. Die Sozialisten küren ihren Kandidaten im Januar - ein außerordentliches Novum: Zum ersten Mal ist der aktuelle Mieter des Elysée-Präsidentenpalasts nicht automatisch Kandidat seiner Partei für eine zweite Amtsperiode.

Der glücklose François Hollande überlegt noch, ob er sich dieser Schmach stellen will. Selbst wenn Umfragen neuerdings mit Vorsicht zu genießen sind, ist es nicht besonders mutig zu behaupten, dass er die Hürde nicht nehmen wird. WiWo.de stellt deshalb die Kandidaten vor, mit denen zu rechnen ist.

Welche Parteien mit Anti-Flüchtlingspolitik punkten wollen
Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Front National (FN) in Frankreich Quelle: REUTERS
Niederländischer Rechtspopulist Geert Wilders Quelle: AP
Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistische Lega Nord in Italien Quelle: AP
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban Quelle: REUTERS
Alle großen Parlamentsparteien Tschechiens von links bis rechts sind gegen die Aufnahme einer größeren Zahl von Flüchtlingen. Die Regierung in Prag schickte Hunderte Polizisten an die Grenze zu Österreich und kämpft gegen dauerhafte EU-Flüchtlingsquoten. Am rechten Rand verbündete sich die Splitterpartei „Morgenröte“ mit der Bewegung „Block gegen den Islam“. Auch Europaskeptiker um den früheren Präsidenten Vaclav Klaus (hier im Bild) versuchen, mit dem Thema zu punkten. In einem Jahr finden in Tschechien Kommunal- und Teilwahlen zum Senat statt. Quelle: AP
Polens Regierungschefin Ewa Kopacz Quelle: dpa
Plakat der Schweizerischen Volkspartei Quelle: dpa

Marine Le Pen

Der Wahlsieg Donald Trumps stand noch nicht einmal fest, da gratulierte ihm die Chefin der rechtsnationalen Front National (FN) bereits zu seinem Erfolg. Kein Zufall. Le Pen hält sich für sein französisches Pendant. Auch sie wettert gegen Elite, Einwanderer und ungezügelte Globalisierung. „Der Sieg von Donald Trump ist ganz klar ein weiterer Stein beim Aufbau einer neuen Welt, die zum Ziel hat, die bisherige Ordnung zu ersetzen,“ sagt sie. Das kommt an, bei Arbeitslosen und Geringverdienern ebenso wie bei all jenen Franzosen, die sich ihr Land in das vergangene Jahrhundert zurück wünschen, als es noch keinen Wettbewerb durch den Aufstieg der Schwellenländer gab. Die 48-Jährige kann auf ein Potenzial an Frustwählern setzen, das bei vergangenen Regional- und Kommunalwahlen immerhin rund 30 Prozent betrug. Monatseinkommen bis zum 1,4fachen des Mindestlohns sollen für einen begrenzten Zeitraum um 200 Euro steigen, die Einkommenssteuer will sie drosseln und das Renteneintrittsalter auf 60 Jahre senken. Finanziert werden soll dies durch ein Ende der Einwanderung, die laut le Pen Frankreich jedes Jahr Milliarden kostet, durch den Kampf gegen Steuerhinterziehung sowie mit der Erhebung von Importzöllen. Unter ihrer Führung dürften die Franzosen per Referendum über einen Austritt aus der EU entscheiden. Niemand sollte darauf wetten, dass die Franzosen ähnlich wie 2002 - als le Pens Vater Jean-Marie in die Stichwahl gelangte - oder wie bei den Regionalwahlen im vergangenen Jahr in der Stichwahl in Scharen gegen rechtsaußen votieren. Neuerdings vermeidet le Pen die Erwähnung des Parteinamens. Sie spricht dagegen davon, „im Namen des Volkes“ zu kandidieren. „Viele Menschen haben noch Vorbehalte, den Front National zu wählen. Marine le Pen muss deshalb ihre Wählerbasis erweitern,“ erklärt der Rechtsextremismusforscher Jean-Yves Camus vom Pariser Institut Iris. „Zu denjenigen, die noch überzeugt werden müssen, muss sie deshalb gesetzt und ruhig sprechen“

Juppé &Fillon

Alain Juppé

Der einstiger Premier und aktuelle Bürgermeister von Bordeaux ist ist ein eher stiller Mann des Ausgleichs, der sich weigert, "Öl ins Feuer zu gießen", wie er sagt. Er appelliert an seine Mitbürger, einen modus vivendi für ein gleichermaßen laizistisches wie kulturell diverses Frankreich zu finden. Vor allem Rentner und Führungskräfte sprechen sich zu seinen Gunsten aus - zwei Wählergruppen, die am zahlreichsten zu den Urnen gehen. Um Frankreichs lahme Wirtschaft wieder flott zu machen, will er 35-Stunden-Woche und Vermögenssteuer abschaffen sowie das Renteneintrittsalter anheben - auf 65 Jahre. Letzteres soll dem Staat allein 30 Milliarden Euro an Kosten ersparen.

Insgesamt soll der öffentliche Haushalt, der bisher 57 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschlingt, um 85 bis 100 Milliarden Euro entlastet werden. Um Vollbeschäftigung binnen fünf Jahren zu erreichen, will Juppé Sozialabgaben senken und die Unternehmenssteuer bis 2022 auf 30 Prozent drosseln. Für Abfindungen soll es eine Höchstgrenze geben. Einnahmen aus Kapitalvermögen sollen pauschal mit 20 Prozent besteuert werden. Bis zum vergangenen Mittwoch galt Juppé damit vielen Meinungsforschern als sicherer Sieger der Vorwahlen bei den Konservativen und womöglich auch künftiger Staatschef.

Mit ihm könnten sich nämlich auch zahlreiche von Hollande enttäuschte Anhänger des Reformflügels bei den Sozialisten arrangieren. Doch die Ankündigung des linksliberalen ehemaligen Wirtschaftsministers Emmanuel Macron, ebenfalls zu kandidieren, stellt hinter solche Prognosen ein großes Fragezeichen. Gut denkbar, dass nun zahlreiche Anhänger des Reformflügels bei den Sozialisten auf Macron setzen - und sich am Sonntag nicht auf den Weg machten, um für Juppé ein Kreuzchen bei den Vorwahlen machen. Sein überraschend mäßiges Ergebnis in der ersten Runde der Vorwahl - und der Sensationserfolg des ehemaligen Premiers François Fillon deutet darauf hin.

Ex-Ministerpräsident Alain Juppé hat laut Meinungsforschern gute Chancen, der nächste französische Präsident zu werden. Diese sehen ihn sowohl gegen den Parteikollegen Sarkozy als auch gegen Marine Le Pen vorne.

Abfindungen soll es eine Höchstgrenze geben. Einnahmen aus Kapitalvermögen sollen pauschal mit 20 Prozent besteuert werden. Bis zum vergangenen Mittwoch galt Juppé damit vielen Meinungsforschern als sicherer Sieger der Vorwahlen bei den Konservativen und womöglich auch künftiger Staatschef. Mit ihm könnten sich nämlich auch zahlreiche von Hollande enttäuschte Anhänger des Reformflügels bei den Sozialisten arrangieren. Doch die Ankündigung des linksliberalen ehemaligen Wirtschaftsministers Emmanuel Macron, ebenfalls zu kandidieren, stellt hinter solche Prognosen ein großes Fragezeichen. Gut denkbar, dass nun zahlreiche Anhänger des Reformflügels bei den Sozialisten auf Macron setzen - und sich an diesem Sonntag nicht auf den Weg machen, um für Juppé ein Kreuzchen bei den Vorwahlen machen.

François Fillon

Bis vor drei Wochen war der ehemalige Premierminister unter Sarkozy der Mann auf dem undankbaren dritten Umfrageplatz. Kaum einer rechnete damit, dass der 62-Jährige es bei den Vorwahlen der Konservativen in die zweite entscheidende Runde schaffen würde. Doch binnen drei Wochen hat Fillon seine Umfragewerte verdoppelt. Weil es katholischen Konservativen gefällt, dass er das bestehende Gesetz über die Ehe für Homosexuelle ablehnt und ihnen nur in Ausnahmefällen die Adoption von Kindern erlauben will? Oder doch, weil er das liberalste aller Wirtschaftsprogramme der konservativen Kandidaten hat?

Jedenfalls dürften unter einem Staatschef Fillon die Gewerkschaften sofort zu Streiks blasen. Neben der Reduzierung der Staatsausgaben um 100 Milliarden Euro - die Summe scheint Konsens unter den Konservativen - will er nämlich 600.000 Beamtenstellen streichen und die verbliebenen Staatsdiener dazu zwingen, künftig 39 Stunden pro Woche anstatt 35 zu arbeiten. Das so komplizierte wie rigide französische Arbeitsrecht, seit 1910 auf knappe 4000 Seiten und 1,5 Kilogramm angewachsen, will er auf eine Handvoll Vorschriften beschränken.

Um Unternehmern die Angst vor Neueinstellungen zu nehmen, sollen zudem nicht nur die Sozialabgaben um 40 Milliarden Euro sinken, sondern auch Kündigungen wegen „Umstrukturierung“ möglich sein. Eine vage Formulierung, die ebenfalls nach Streit und Streik klingt. Seine Gegner vergleichen ihn schon mit Margaret Thatcher. Konkurrent Alain Juppé bezeichnete ihn bei der letzten Fernsehdebatte der Konservativen am Donnerstagabend als Hochstapler.

So funktioniert die Vorwahl bei Frankreichs Konservativen

Drei Jahre hat Fillon an seinem Programm gearbeitet, aus Pflichtbewusstsein, nicht aus Machtstreben, wie er sagt. Sollte er es dennoch an die Macht schaffen, dann sei insbesondere den deutschen Nachbarn des ältesten französischen Atomkraftwerks Fessenheim gesagt, dass Fillon es nicht schließen will - es sei denn, die französische Aufsichtsbehörde zwinge ihn dazu. Auch die unter Hollande angekündigte Reduzierung der Kernkraftwerke auf 50 Prozent der Stromgewinnung steht für ihn außer Frage. 75 Prozent wie heute, dabei soll es bleiben.

Macron & Montebourg

Emmanuel Macron

Seit Hollande ihn im Sommer 2014 zum Wirtschaftsminister machte, war der ehemalige Banker maßgeblich mit Testballons beschäftigt. Als liberales enfant terrible im Kabinett, das kein Parteibuch besaß, fühlte er den Puls der Franzosen zu 35-Stunden-Woche, Kürzungen des Arbeitslosengeldes oder der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Manche der Ideen erhielten Eingang in Gesetzestexte. Der 38-Jährige gibt seinem Gegenüber im Gespräch stets das Gefühl der vollen Aufmerksamkeit und Empathie. Tatsächlich ist Macron aber etwa so greifbar wie ein Stück Seife, das in einer gefüllten Badewanne verloren ging. Seit er im April seine eigene politische Bewegung „En marche!“ (Vorwärts) gründete, waren seine Anhänger davon überzeugt, dass er kandidieren würde. Macrons Wortwahl konnte jedoch bis vergangenen Mittwoch ebenso das Gegenteil bedeuten. „Ich habe immer Verantwortung übernommen," sagte er unbestimmt. Auch wollte er nicht zu früh das Amt des Wirtschaftsministers aufgeben, das ihm kostenlose Wahlkampf-Auftritte sicherte. Erst Ende August war es so weit. Ein Programm hat er noch nicht vorgelegt, spricht stattdessen vage von „Hoffnung“, „europäischer Wiederbelebung“ und nennt Europa „unser Glück in der Globalisierung“. Deshalb muss man vorerst damit vorlieb nehmen, was er in verschiedenen Interviews verraten hat: Das Steuersystem soll gerechter werden und die Übernahme von Risiken honorieren. Jüngere Arbeitnehmer sollen länger als 35 Wochenstunden arbeiten, ältere weniger. Europa wünscht er sich als Transferunion mit einem gemeinsamen Budget der Mitgliedsländer. Dennoch reicht dies offenbar dafür, dass 57 Prozent der Franzosen seine Kandidatur begrüßen. Macrons Vorteil beim Wahlvolk - und seine größte Angriffsfläche bei den Konkurrenten - ist, dass er sich weder links noch rechts positioniert und als Systemkritiker aus Erfahrung geriert. „Ich habe die Leere unseres politischen Systems von innen erlebt“, sagt er nun. Nicht die Franzosen seien schuld am Niedergang des Landes, sondern „das politische System ist das Haupthindernis an der Veränderung unseres Landes“. Wer seine Kampagne finanziert, will er nicht preis geben.

Zu jung, zu unerfahren – Kritiker fühlen sich durch Emmanuel Macron bedroht, weil er Nichtwähler anspricht. Doch er französische Ex-Minister kündet seine Präsidentschafts-Kandidatur an – mit guten Chancen auf Erfolg.
von Thomas Hanke

Arnaud Montebourg

Er war Macrons Vorgänger, ehe ihn Hollande vor gut zwei Jahren feuerte. Weshalb der 53-Jährige eine offene Rechnung mit dem Staatschef hat. Bei parteiinternen Vorwahlen würde der Linksaußen der Sozialisten ihn tatsächlich schlagen. Dramaturgisch kann der gelernte Rechtsanwalt es mit Sarkozy aufnehmen. Inhaltlich fordert er eine Abkehr vom 3-Prozent-Defizitlimit für die Euro-Länder und eine Überarbeitung der europäischen Verträge. Der Terrorgefahr will er unter anderem mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht begegnen. Auch Montebourg umgarnt "das Frankreich, dem am Monatsende Geld fehlt, das prekäre Frankreich, das Frankreich der Arbeiter". Ihm verspricht er ein "Ende der Austeritätspolitik". Europa ähnelt seiner Meinung nach einem Unternehmen, das dem Bankrott nahe ist. Damit kennt der Globalisierungsgegner sich aus. Nach einem vierwöchigen Crashkurs sitzt er im Verwaltungsrat des defizitären Möbelhauses Habitat.

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