Die neue britische Premierministerin Theresa May will trotz des EU-Ausstiegs der Briten enge wirtschaftliche Beziehungen zu Deutschland erhalten. „Natürlich werden sich unser Beziehungen ändern, aber die wirtschaftlichen Beziehungen sollen weiter eng bleiben“, sagte May am Mittwochabend bei ihrem Antrittsbesuch in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und sie wollten beide starkes Wirtschaftswachstum und glaubten an freien Handel.
Zum Knackpunkt in den kommenden Verhandlungen – ob die Briten auch ohne Freizügigkeit für EU-Bürger Teil der Freihandelszone bleiben dürfen – sagte May: „Das wird Teil unserer Gespräche sein.“ Zuwanderung war eines der wichtigsten Themen des Brexit-Referendums. May sieht es als ihren daraus resultierenden Auftrag, den Zuzug von EU-Bürgern in das Vereinigte Königreich zu begrenzen.
Bei dieser ersten Auslandsreise als Regierungschefin betonte die Nachfolgerin von David Cameron, die Gespräche über den Ausstieg der Insel aus der EU würden nicht vor 2017 beginnen. Zunächst müssten die britischen Ziele klar sein, sagte sie in Berlin. Merkel forderte, für den Beginn der Verhandlungen müsste London zunächst den formalen Antrag stellen.
Theresa May wird neue Premierministerin
Gegen May war zum Schluss nur noch eine einzige Konkurrentin bei den Konservativen im Rennen: Energie-Staatssekretärin Andrea Leadsom. Die zog sich aber am Montag plötzlich aus dem Rennen um die Nachfolge Camerons zurück. Ihre Begründung: Das Land brauche rasch eine neue Führung und keinen langen Wahlkampf vor einer Urwahl der Parteibasis. Noch am späten Nachmittag wurde May offiziell zur Chefin der Konservativen Partei ernannt.
Die Referenzen der 59-Jährigen sind ausgezeichnet: Die seit 2010 amtierende Innenministerin in zwei Cameron-Kabinetten verantwortet schwierige Themen wie Einwanderung und Terrorabwehr. Mitarbeiter beschreiben sie als kompetent, freundlich und sehr ehrgeizig. Damit stehen die Zeichen für eine Einigung der zerstrittenen Tories gut. May will die Rolle der Versöhnerin übernehmen.
Nein. May möchte als Premierministerin sicherstellen, dass Großbritannien die EU verlässt. Es soll keine Versuche geben, „durch die Hintertür“ doch in der Union zu bleiben. „Brexit bedeutet Brexit - und wir werden einen Erfolg daraus machen“, betonte sie. May plädierte während des Brexit-Wahlkampfs für den Verbleib in der EU - aber das tat sie derart diplomatisch geschickt, dass es kaum auffiel.
Viel schneller als gedacht - an diesem Mittwoch. Cameron hatte nach seiner Niederlage beim Brexit-Referendum seinen Rücktritt erst für September in Aussicht gestellt. Am Montagnachmittag kündigte er nun an, dass seine letzte Kabinettssitzung schon an diesem Dienstag sein werde - und er am Mittwoch Königin Elizabeth II. seinen Rücktritt anbieten wolle. Die Queen ist derzeit nicht in London und kommt erst Mittwoch wieder. Nur sie kann Cameron entlassen - eine reine Formsache.
Hier zeichnet sich ein Hauen und Stechen ab. Parteichef Jeremy Corbyn weigert sich zu gehen. Doch jetzt hat sich die Abgeordnete Angela Eagle bereit erklärt, den 67-Jährigen in einer Urwahl der Parteibasis herauszufordern. Doch das ist ein Risiko, Corbyn wurde erst im September 2015 von der Basis an die Macht gewählt, mit rund 60 Prozent der Stimmen. Der Altlinke Corbyn kann nach wie vor auf breite Unterstützung der Basis hoffen.
Dazu müsste Mays Regierung einen Brief nach Brüssel senden und die Scheidung gemäß Artikel 50 des EU-Vertrags beantragen. May betonte während der gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel, dies werde nicht mehr in diesem Jahr geschehen. Zugleich sagte sie, ihr Land wolle die engstmöglichen wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland und anderen EU-Ländern aufrecht erhalten. Die Briten hatten vor knapp einem Monat, am 23. Juni, in dem noch von Cameron angestoßenen Referendum mit knapper Mehrheit für einen Austritt aus der EU gestimmt. May war Cameron, der einen Verbleib in der EU befürwortet hatte und deshalb zurücktrat, vergangene Woche im Amt gefolgt.
Mays Büro teilte mit, die Reise, zu der auch ein Besuch am Donnerstag beim französischen Präsidenten François Hollande gehört, werde dazu beitragen, „die persönlichen Beziehungen“ zu schmieden, „die den Weg für offene und aufrichtige Gespräche in den kommenden Monaten ebnen werden“.
Nach Aktivierung von Artikel 50 folgen Verhandlungen mit der EU, die sich über zwei Jahre erstrecken dürfen. EU-Vertreter hatten bereits erklärt, dass es keine substanziellen Gespräche über die künftigen Beziehungen geben könne, bis Großbritannien diesen Schritt unternehme. Merkels Sprecher Steffen Seibert hatte vor dem Treffen der beiden gesagt, es werde zwischen Merkel und May keine „Vorverhandlungen“ geben.
May hat angekündigt, dass Großbritannien darauf verzichtet, in der zweiten Jahreshälfte 2017 die EU-Präsidentschaft zu übernehmen. Ihr Büro teilte mit, die Premierministerin habe am Dienstagabend mit EU-Ratspräsident Donald Tusk gesprochen und ihm gesagt, dass ihr Land die rotierende sechsmonatige Präsidentschaft aufgeben werde, damit es Austrittsverhandlungen Priorität geben könne.
Nach einem Arbeitsessen mit Merkel in Berlin wollte May am Donnerstag zu einem Treffen mit Hollande nach Paris reisen. Dabei werden die Britin und der Franzose nicht nur über die EU sprechen, sondern auch über die Anti-Terror-Zusammenarbeit nach dem tödlichen Lastwagenanschlag in Nizza in der vergangenen Woche.