Proteste Frankreichs Bauern blockieren Konkurrenz aus Deutschland

Landwirte kritisierten Wettbewerbsverzerrung durch ausländische Saisonarbeiter. Dabei setzen sie selbst jedes Jahr hunderttausende ein.

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Autonome Erntehelfer
Eine landwirtschaftliche Maschine auf einem Feld Quelle: Claas
Traktoren mit Lenksystem Quelle: Claas
Agrobot, mechanischer Erntehelfer Quelle: Agrobot
Feldroboter Quelle: David Dorhout
Ein Flugroboter wird über einem Feld fliegen gelassen Quelle: dpa
Satellitenbild Quelle: NASA astronauts
Ein Landwirt ruft Daten in einem Traktor ab Quelle: Claas

Franck Sander ist sauer. „Die Kunden glauben, dass Babybel ein französischer Käse ist. Aber in Wirklichkeit kommt er aus der Slowakei“, erbost sich der Vorsitzende des französischen Bauernverbands im Elsass. Also haben Sander und seine Mitstreiter den Laster an der deutsch-französischen Grenze angehalten und zum Umkehren gezwungen - wie Dutzende andere Transporte mit landwirtschaftlichen Produkten. Für sie gibt es kein Durchkommen mehr, seit die Bauern in der Nacht zum Montag begannen, fünf Brücken mit Traktoren, Strohballen und brennenden Paletten  zu blockieren. Das sei ihr legitimer Kampf gegen Wettbewerbsverzerrung, sagen sie. Auch an der Grenze zu Spanien spielten sich ähnliche Szenen ab. Dort wurde die Blockade aber noch in der Nacht gestoppt.

Vorteile der Lenksysteme für Landmaschinen

Die französischen Landwirte haben die angeblich Schuldigen für ihre Misere längst ausgemacht. Saisonarbeitskräfte und niedrige Löhne in den Nachbarländern seien verantwortlich dafür, dass schätzungsweise jeder zehnte Agrarbetrieb in Frankreich vor dem Aus stehe. Nach Blockaden von Zufahrtsstraßen zu Feriendomizilen in der Bretagne und in Südfrankreich hatte Landwirtschaftsminister Stephane Le Foll den Bauern in den vergangenen Wochen bereits Preiserhöhungen für Fleisch- und Milchprodukte zugesagt. Die Regierung kündigte ein Krisenprogramm im Umfang von 600 Millionen Euro an, das unter anderem Steuererleichterungen und Lohngarantien vorsieht. Staatschef Francois Hollande appellierte am Rande eines Besuchs der Tour de France an die Konsumenten, bevorzugt Fleisch aus Frankreich zu konsumieren.

Jedes Jahr hunderttausende Saisonkräfte

Doch das reicht den Betroffenen nicht.  „Wir fordern konkrete Maßnahmen gegen die Wettbewerbsverzerrung“, betont Bauer Sander.

Dabei scheinen die Franzosen zu vergessen, dass auch sie jedes Jahr hunderttausende Saisonkräfte aus dem Ausland einsetzen - und das nicht immer zu den Bedingungen, die sie nun von der Konkurrenz jenseits der Grenzen verlangen. Rund 800.000 Helfer arbeiten jedes Jahr auf französischen Feldern und in den Ställen. Allein 300.000 werden in der Weinlese beschäftigt.

Der Verband für Arbeit und Ausbildung in der Landwirtschaft (ANEFA) hat seinen Leitfaden über Rechte und Pflichte von Saisonkräften deshalb ins Polnische, Arabische und Englische übersetzt. Mitglieder der Gewerkschaften CGT und Force Ouvrière sind in diesen Tagen über Land unterwegs, um die Erntehelfer aufzuklären. Nicht immer zur Freude der Arbeitgeber.

„Die Mehrheit der Leute hat keine Ahnung von ihren Rechten“, kritisiert CGT-Gewerkschafter João Pereira Afonso, der gerade in und um Lyon unterwegs war.

Keinen Anspruch auf Prämienzahlung

20 Minuten Pause stehen ihnen zum Beispiel alle sechs Stunden zu. Der Mindestlohn von derzeit 9,61 Euro pro Stunde gilt auch für sie. Sind sie länger als 35 Wochenstunden im Einsatz, müssen bis zur 43. Stunden Aufschläge von 25 Prozent bezahlt werden, darüber hinaus werden 50 Prozent für Überstundenzuschläge fällig. Länger als 48 Stunden pro Woche und zehn Stunden pro Tag darf niemand im Einsatz sein.

Ein Viertel der Saisonkräfte würden jedoch nicht für ihre Überstunden bezahlt, moniert die CGT. Die Gewerkschaft beobachtet zudem eine Tendenz hin zu saisonalen Arbeitsverträgen, die sie als Missbrauch brandmarkt. Anders als bei normalen befristeten Arbeitsverträgen haben Saisonarbeitskräfte nämlich keinen Anspruch auf eine zehnprozentige Prämienzahlung am Ende ihres Vertrags.

Wie Landwirtschaft in der Stadt betrieben wird
Gestapelte GewächshäuserNahrungsmittel wie Kartoffeln oder Gurken könnten bald in städtischen Hochhäusern wachsen. Das würde Einsparungen an Kosten und Ressourcen wie Benzin und Strom bedeuten, die für den Transport von Lebensmitteln von den Feldern zum Konsumenten verbraucht werden. Illustration: Javier Martinez Zarracina
Selbst anbauen auf Dachfarmen
Fruchtbarer Ackerboden
Fischen in der Stadt
Hydroponische Gewächshäuser

Bauer Sander und seine Mitstreiter sind genervt von diesem, wie sie sagen, „Übermaß an Vorschriften“. An der Rheinbrücke „Pont de l’Europe zwischen Kehl und Straßburg haben sie ein Schild aufgestellt, auf dem sie „faire Preise für unsere Produkte“ fordern - „keinen Ausverkauf“. Stunde um Stunde wechselten sich rund 1000 Bauern ab, sagte Sander. Zum Teil erhielten sie bei der Durchsuchung der Ladeflächen auch Unterstützung von uniformierten Polizisten, was den Eindruck einer legalen Aktion erweckte.

Dem widersprach unmissverständlich Jean-Marie Le Guen, Staatssekretär für die Beziehungen zum Parlament: Die Blockierer nähmen „eine Reihe von Menschen in Geiselhaft, die im Ausland auch Teil der Handelsbeziehungen sind“, sagte er in einem Fernsehinterview.

Regierung steht auf Seiten der Bauern

Landwirtschaftsminister Le Foll warnte ebenfalls davor, den Bogen zu überspannen. „Die französische Landwirtschaft ist Teil Europas, das ist eine Tatsache,“ sagte er dem Radiosender France Inter. „Frankreich und seine Produzenten exportieren auch in diese Länder. Man muss respektieren, dass wir versuchen, innerhalb der europäischen Institutionen angemessene Lösungen zu finden.“ Staatspräsident Hollande versprach, die Regierung stehe auf Seiten der Bauern - „egal, ob es Aktionen gibt oder nicht“.

Die Blockade an den Grenzen lenkt auch davon ab, dass die französischen Landwirte nicht allein unter der Konkurrenz der europäischen Nachbarn leiden. Ihre Umsätze sind im Zuge des russischen Embargos dramatisch gesunken. Noch 2013 hatten französische Landwirte für insgesamt 750 Millionen Euro Fleisch, Obst und Gemüse nach Russland exportiert. Auch der Absatz nach China ist zurück gegangen.

Innerhalb Frankreichs selbst sind die Kunden auf Grund der Krise beim Konsum von Lebensmitteln sehr viel preisempfindlicher geworden, als dies dem Image der Franzosen oft entspricht. Bioprodukte sind im Land ohnehin einer gut verdienenden Schicht vorbehalten. Knapp fünf Euro für drei Bio-Nektarinen oder 27 Euro für ein glückliches Huhn vom Bauernhof können oder wollen viele Franzosen einfach nicht bezahlen. Die großen Supermarktketten wiederum pressen jeden Cent aus ihren Lieferanten und verpflichten Landwirte zum Teil vertraglich, 70 Prozent ihrer Ware an sie zu verkaufen. Die Supermarktkette E.Leclerc wurde vor wenigen Wochen von einem Berufungsgericht dazu verurteilt, gut 61 Millionen Euro an insgesamt 48 Lieferanten zu bezahlen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass E.Leclerc einen Gutteil seiner Margen auf dem Rücken der Produzenten erwirtschaftete.

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