Pulse of Europe "Wir hatten Wut im Bauch – und eine Idee"

Die erst wenige Monate alte Pro-Europa Bewegung „Pulse of Europe“ wird vom Erfolg überrannt. Politiker versuchen prompt, sie für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Initiator Jens Pätzold über die Erfolgs- und Abwehrmechanismen der erfolgreichsten Bewegung seit Pegida.

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Der erste Schreck war der Brexit, der zweite die Trump-Wahl. Im November 2016 entschied eine Handvoll Frankfurter: Wir wollen nicht tatenlos in Schockstarre zusehen, wie die europäische Einheit und demokratische Werte schleichend zersetzt werden. Die rasante Radikalisierung des politischen Lebens empfinden wir als bedrohlich. Die Deutungshoheit über Schaden und Nutzen der Europäischen Union sollte nicht länger lautstarken Pegida-Anhängern oder Nationalisten überlassen werden, so die Organisatoren der Bürgerbewegung.

Sie riefen zu pro-europäischen Demonstrationen jeden Sonntag um 14 Uhr in deutschen Städten auf. Ein Erfolg sondergleichen: Seit dem Start im Januar in Frankfurt beteiligen sich inzwischen 68 Städte in elf europäischen Ländern. Darunter die Niederlande, Großbritannien, Frankreich, Irland, Schweden. Metropolen und Universitätsstädte genauso wie kleine Ortschaften. Hunderttausende Menschen, darunter auffällig viele Ältere, gingen bereits auf die Straße um für den Erhalt der Europäischen Gemeinschaft zu demonstrieren. Jeder Sonntag ist ein neuer Rekord.

Wir haben mit Jens Pätzold, einem der Organisatoren und Jurist aus Frankfurt, gesprochen:

Interviewpartner Jens Pätzold,

WirtschaftsWoche: Herr Pätzold, Pulse of Europe dürfte in die Social Media-Geschichte eingehen. Ihr Erfolg wäre ohne Facebook und Twitter unmöglich gewesen. Was kann man von Ihrem Konzept lernen?
Jens Pätzold: Wir hatten kein Konzept. Keiner von uns ist PR-Profi, wir sind fast alle Juristen. Wir hatten nur Wut im Bauch und eine Idee. Dann haben wir einfach gemacht – ohne damit zu rechnen, dass sich so schnell so viele Menschen anschließen würden. Wir hatten unsere privaten E-Mailverteiler der acht Freunde, die Pulse of Europe gründen wollten. Zuerst haben wir über alle privaten Kanäle versucht, Freunde und Freunde von Freunden für eine Demo in Frankfurt zu gewinnen. Auch die Demonstrationen in Paris, Freiburg und Köln kamen durch diesen ersten Verteiler zustande. Die Homepage habe ich zu Hause mit dem Laptop auf den Knien gebaut.

Inzwischen sind europaweit 68 Städte dabei. Das kann auch ein engagierter Freundeskreis nicht mehr organisieren. Wächst Ihnen der Erfolg über den Kopf?
Darüber denken wir derzeit ständig nach und suchen nach einer  professionellen Struktur. Aber bisher hatten wir einfach nicht die nötige Zeit. Wir Organisatoren machen das alles als Privatleute neben unseren Berufen. Aber inzwischen bekommen wir allein im Schnitt 800 Mails pro Tag.

Kennen Sie überhaupt noch die Leute, die im Namen von Pulse of Europe in anderen Städten, erst recht im Ausland, neue Demonstrationen organisieren? Auf Ihrer Homepage warnen Sie ausdrücklich vor Trittbrettfahrern.
Für uns ist es ausgesprochen wichtig, dass wir die Leute scannen, die sich federführend für die Bürgerbewegung engagieren. In Kiel zum Beispiel hat sich ein Interessent als neulich noch Pegida-Anhänger herausgestellt. Da haben wir sofort nein gesagt. Was will der bei uns? Aber mit jedem neuen Land wird das schwieriger.

Wie wollen Sie sich professionalisieren?
Wir haben unser Manko erkannt. In Frankfurt haben wir jetzt ein kleines Büro mit vier Mitarbeiterinnen. Wir brauchen eine Strategieberatung von Medien- und Politikberatern, ehrenamtlich.

Fünf Krisen, die die EU schon überlebt hat

Schon jetzt versuchen Politiker, auf Ihren Zug aufzuspringen. Bundespräsident Steinmeier lobt sie, Bundesinnenminister Maas wirbt auf Twitter für PoE-Treffen, die Piratenpartei trommelt auffällig überschwänglich. Lobende Worte von Cem Özdemir von den Grünen und Thomas Oppermann von der CDU haben Sie selbst als Videos auf Ihre Homepage gestellt. Wie lange hat Pulse of Europe noch, bis auch diese Bewegung von Politikern oder Parteien in ganz Europa instrumentalisiert wird? Das haben alle Parteien mit diversen Bürgerbewegungen schon gemacht.
Auch darüber diskutieren wir ständig. Wir wollen uns von niemandem vereinnahmen lassen. Die Glaubwürdigkeit der Bewegung hängt daran, dass wir  völlig unabhängig von allen Parteien und auch vom Europäischen Parlament sind. Wir akzeptieren zum Beispiel keine Politiker als Redner auf den Kundgebungen. Die einzige Ausnahme sind die Bürgermeister als erste Vertreter ihrer Stadt. Beispielweise hatte sich Daniel Cohn-Bendit als Redner angeboten, das haben wir freundlich abgelehnt. Andere Politiker auch.

Kann Pulse of Europe Wahlen beeinflussen?

Aber jeder, der möchte, darf drei Minuten auf der Bühne zu den Demonstranten reden. Auch das macht den Charme der Veranstaltung aus. Wollen Sie einem Politiker, der das Podium erklimmt, das Wort verbieten?
Notfalls drehen wir ihm das Mikrofon ab. Und ganz ehrlich: Wie glaubwürdig sind denn Politiker als europabegeisterte Redner, die es in 20 Jahren im Amt, eben nicht geschafft haben, die Menschen für diese Idee zu begeistern? Was wollen die denn anschieben, die immer  nur über Kosten und Bürokratie geklagt haben? Wir arbeiten nur an einer Stelle mit Parteien zusammen, nämlich mit deren Stiftungen. Wir wollen auch in Osteuropa die Opposition stärken und die Parteienstiftungen haben dorthin Kontakte, die uns einfach fehlen. Schauen Sie nach Polen: Da werden schon Grundrechte einkassiert. Da können Demokraten doch nicht einfach  nur zuschauen. 

Glauben Sie, dass Pulse of Europe Wahlen beeinflussen kann, zum Beispiel die Frankreich-Wahl im April oder die Bundestagswahl im September?
Wir überschätzen uns nicht. Aber uns Organisatoren würden schon zwei Dinge freuen. Erstens, dass auch durch unsere Kundgebungen die Lust auf Politik und damit die Wahlbeteiligung wieder steigt. Die hohe Wahlbeteiligung in den Niederlanden war ein toller Anfang. Und zum anderen würde uns freuen, wenn Martin Schulz als Kanzlerkandidat der SPD endlich mal das Thema Europa auf sein Schild hebt. Da hören wir von ihm nichts zu.  Das ist für mich in diesen politischen Zeiten, mit wachsendem Nationalismus in so vielen europäischen Ländern, überhaupt nicht nachzuvollziehen.

Wie wollen Sie diese Schlagzahl - europaweit Demos jeden Sonntag um 14 Uhr - bis zur Wahl im September, aufrechterhalten?
Nach der Frankreichwahl werden die Kundgebungen vermutlich nicht mehr jede Woche stattfinden, sondern ein oder zwei Mal im Monat. Wir haben tatsächlich die Sorge, dass die hohe Energie von heute bis dahin etwas verpuffen könnte.

Pulse of Europe setzt sich für eine europäische Gemeinschaft ein, die die Kritik der Bürger ernst nimmt. Dafür klingen Ihre konkreten Ziele aber noch sehr vage: „So viele Menschen wie möglich in Europa zu versammeln, die für Europa einstehen und so dazu beitragen, dass nach den Wahlen pro-europäische Kräfte mehrheitsfähig regieren können.“ Und: „Die Achtung der Menschwürde, die Rechtsstaatlichkeit, freiheitliches Denken und Handeln, Toleranz und Respekt sollen Grundlage des Gemeinwesens sein.“ Das Ganze gefordert von friedlichen Demonstranten bei Sonnenschein auf den schönsten Plätzen der Städte, das ist wohlfeil.
Wir haben kein Programm im Sinne von: Hier ist unser Forderungskatalog mit den detaillierten Verbesserungsvorschlägen für die dringendsten Probleme! Das ist auch gar nicht unser Auftrag. Wir wollen die Wahrnehmung wieder auf die guten Seiten der europäischen Einheit lenken. In der breiten Masse sind die Vorteile, die wir alle durch ein vereintes Europa genießen, doch entweder gar nicht angekommen oder sie geraten bei jüngeren Menschen nach 70 Jahren ohne Krieg wieder in Vergessenheit. Es waren eben nicht alle Deutschen Erasmus-Studenten. Das wird oft vergessen. Pulse of Europe will erst mal wieder Menschen für Europa begeistern.

Und das reicht Ihnen?
Wir wollen einen Raum schaffen, in dem Europas Bürger unabhängig von politischen Vorgaben wie Merkels „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ oder den fünf Visionen des EU-Parlaments Ideen und Lösungen für die unbestritten vorhandenen Probleme entwickeln können. 

Können Sie sich vorstellen, dass aus der Bürgerbewegung Pulse of Europe - ähnlich wie bei den Grünen und der AfD - irgendwann eine Partei entsteht?
Das ist sicher nicht unser Ziel. Von uns Initiatoren hat keiner Ambitionen auf politische Ämter.

Auch andere Europa-Initiativen bringen derzeit Leute auf die Straße. Ab wann wären Sie bereit, sich um des Erfolgs der europäischen Idee willens mit anderen Bewegungen zusammenschließen? Gemeinsam wären sie womöglich schlagkräftiger.
Wir haben noch viel zu viel mit uns selbst zu tun. Die Idee ist schön, aber das ginge zu schnell.

Wären die Initiatoren von Pulse of Europe denn grundsätzlich bereit, in einer anderen Organisationsform aufzugehen?
Sagen wir es so: Wenn die anderen wirklich dieselben Ideen haben, ja.

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