Nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei hat Präsident Recep Tayyip Erdogan per Notstands-Dekret die Schließung Dutzender Medien angeordnet. Mit dem am späten Mittwochabend in Kraft getretenen Erlass wird die Schließung von drei Nachrichtenagenturen, 16 Fernsehstationen, 23 Radiosendern sowie 45 Zeitungen angeordnet. Mit demselben Dekret wurden außerdem 1684 Offiziere unehrenhaft aus den Streitkräften entlassen, 149 im Generalsrang. Das entspricht weit mehr als einem Drittel aller Generäle des Nato-Partners Türkei.
Die Regierung verdächtigt die betroffenen Medien und Offiziere, Verbindungen zu dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen zu haben, den Erdogan für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich macht. Erdogan hat angekündigt, den Staat von Anhängern der Gülen-Bewegung zu „säubern“.
Unter den Medien ist die Zeitung „Zaman“. Im März war das einstige Flaggschiff-Medium der Gülen-Bewegung bereits unter Zwangsverwaltung gestellt und auf Regierungskurs gezwungen worden. Die Auflage sank von mehreren Hunderttausend auf zuletzt wenige Tausend Exemplare. Am Mittwoch hatte die Staatsanwaltschaft die Festnahme von 47 ehemaligen „Zaman“-Mitarbeitern angeordnet. Bereits am Montag war die Festnahme von 42 Journalisten auch anderer Medien angeordnet worden.
Wie wirkt der Ausnahmezustand in der Türkei über die Grenzen hinaus?
Zehntausende Soldaten und Staatsdiener sind in der Türkei bereits entlassen oder verhaftet worden. Jetzt ist der Ausnahmezustand auch offiziell verkündet. Die Situation nach dem gescheiterten Putschversuch könnte auch hierzulande spürbar werden.
Die Bundesregierung beobachtet die Vorgänge in der Türkei mit zunehmender Besorgnis. Das rigorose Vorgehen der türkischen Regierung nach dem gescheiterten Putschversuch „übersteigt eine angemessene und verhältnismäßige Antwort“, sagte Innenminister Thomas de Maizière am Donnerstag. Eine Fluchtbewegung von Oppositionellen gibt es zwar noch nicht, das kann sich aber ändern.
Quelle: dpa
Jeder, der sich politisch verfolgt fühlt, kann Asyl in Deutschland beantragen. Die Zahl der asylsuchenden Türken war bisher relativ gering. Im ersten Quartal 2016 gingen bei den Behörden gerade mal 456 Anträge ein. Das ist Platz 20 in der Rangliste der Herkunftsländer. Die Anerkennungsquote lag im vergangenen Jahr bei 1,9 Prozent und damit höher als der Durchschnitt aller Länder von 0,7 Prozent.
Das mag sein, generell kann man das aber nicht sagen. Letztlich kommt es auf den Einzelfall an - zum Beispiel ob jemand nachweisen kann, dass Freunde oder Verwandte bereits verhaftet worden sind. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl geht davon aus, dass die Behörden in Deutschland angesichts der unübersichtlichen Lage in der Türkei Entscheidungen über Asylanträge von dort zunächst zurückstellen. Das werde bei Putschversuchen oder gerade ausbrechenden Bürgerkriegen meistens so gemacht, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl.
Die Türkei hat sich dazu verpflichtet, Flüchtlinge zurückzunehmen, die versuchen, über die Ägäis nach Griechenland zu kommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geht davon aus, dass die Vereinbarungen von den Ereignissen in der Türkei nicht berührt werden. Grundlage des Abkommens bleibe, „dass wir Sicherheiten haben für die Menschen, die von Griechenland zurückgeschickt werden in die Türkei“, sagte sie am Mittwochabend. „Ich habe bis jetzt keinerlei Anzeichen, dass die Türkei an dieser Stelle nicht zu den Verpflichtungen steht.“ Die Entwicklung werde aber sehr intensiv beobachtet.
Das wird nicht in Zweifel gezogen. Die Türkei ist 1952 der Nato beigetreten und damit noch vor der Bundesrepublik Deutschland. Alle drei Militärputsche in der Türkei - 1960, 1971 und 1980 - hatten keinen Einfluss auf die Nato-Mitgliedschaft. Aus Nato-Sicht ist entscheidend, dass die Türkei ihre Verpflichtungen im Verteidigungsbündnis erfüllt. Das ist bisher der Fall. Allerdings versteht sich die Nato auch als politisches Bündnis. Deswegen können auch ihr Verstöße gegen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit nicht egal sein.
Bisher macht die Bundesregierung keinerlei Anstalten, die 240 auf der Luftwaffenbasis Incirlik stationierten deutschen Soldaten abzuziehen. Sie sind mit „Tornado“-Aufklärungsflugzeugen und einem Tankflugzeug an den Angriffen auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beteiligt. Die Soldaten bekommen von der Lage im Land nur wenig mit, verlassen ihren Stützpunkt nur selten zu dienstlichen Zwecken. Die Zusammenarbeit mit der Türkei im Kampf gegen den IS funktioniert und wird bisher auch nicht in Frage gestellt.
Die EU hat eine rote Linie gezogen: Wird die Todesstrafe wieder eingeführt, ist für die Türkei kein Platz in der Europäischen Union. Aber auch unabhängig davon ist ein Beitritt derzeit unrealistischer denn je. Zu weit ist die Türkei von den Standards entfernt, die von der EU beim Thema Rechtsstaatlichkeit verlangt werden.
Das Grundgesetz sah ursprünglich keinen Ausnahmezustand oder Notstand vor. 1968 setzte die damalige große Koalition mit ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit gegen den erbitterten Widerstand der selbsternannten außerparlamentarischen Opposition (APO) 28 Grundgesetzänderungen durch, die so genannten Notstandsgesetze. Danach dürfen bei einer existenziellen Bedrohung des Bundes oder eines Landes oder bei einer Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung per Gesetz - also nur mit Zustimmung des Bundestages - die Freizügigkeit sowie das Brief- und Fernmeldegeheimnis eingeschränkt werden. Zudem darf die Bundeswehr im Inneren unter bestimmten Bedingungen eingesetzt werden.
Nach Regierungsangaben wurden seit dem Putschversuch vor knapp zwei Wochen mehr als 15.800 Menschen festgenommen, etwa 10.000 davon aus dem Militär. Insgesamt wurde gegen mehr als 8100 davon Haftbefehl erlassen, rund 3000 wurden freigelassen. Der Rest sitzt weiter in Polizeigewahrsam. Nach Erdogans erstem Notstands-Dekret vom Samstag können Festgenommene bis zu 30 Tage festgehalten werden, bis sie einem Haftrichter vorgeführt werden müssen. Zuvor waren es vier Tage. Zehntausende Staatsbedienstete wurden suspendiert.
Knapp zwei Wochen nach dem Putschversuch aus den Reihen der Armee kam am Donnerstag in Ankara der Oberste Militärrat zusammen. Bei dem Treffen sollte es um Reformen in der Armee und um die Neubesetzung der Stellen gehen, die durch die Verhaftungen und Entlassungen von Offiziere freigeworden sind. An dem eintägigen Treffen unter Vorsitz von Ministerpräsident Binali Yildirim nehmen unter anderem Verteidigungsminister Fikri Isik und Armeechef Hulusi Akar teil.
Aus Regierungskreisen hieß es, am Freitag sollten die Entscheidungen Staatspräsident Erdogan zur Billigung vorgelegt werden. Der Rat entscheidet traditionell über Stellenbesetzungen in der Armee. Das Treffen findet erstmals am Sitz des Ministerpräsidenten und nicht im Armee-Hauptquartier statt.
Ursprünglich war die Sitzung des Militärrats für August geplant, sie wurde wegen des Putschversuches vorgezogen. Nach Darstellung der Regierung sollten bei dem Ratstreffen im August zahlreiche Gülen-Anhänger aus den Streitkräften entfernt werden, weswegen diese sich zum Putsch entschlossen.
Nach dem Putschversuch verhängte Erdogan den Ausnahmezustand, der am 21. Juli in Kraft trat. Das Notstandsgesetz erlaubt dem Präsidenten, weitgehend per Dekret zu regieren. Bislang erließ er zwei Dekrete. Die harten Maßnahmen, die seit dem Putschversuch gegen Verdächtige ergriffen wurden, wurden besonders aus der EU kritisiert.