Reise zum Nachbarn Sigmar Gabriel umarmt Polen

Flüchtlingskrise, Ostseepipeline, Protektionismus: Die Liste der Konflikte zwischen Berlin und Warschau ist lang, seit Rechtskonservative Polen regieren. Das bilaterale Verhältnis will Vize-Kanzler Sigmar Gabriel kitten – mit mäßigem Erfolg.

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Sigmar Gabriel (l), Mateusz Morawiecki (r). Quelle: dpa

Immerhin, die EU-Fahne hängt noch. Reglos harrt das europäische Sternenbanner neben der polnischen Flagge der Dinge, als Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) morgens in Warschau einen Konferenzraum im Energieministerium betritt. Wollte Polen die Insignien Brüsseler Fremdherrschaft nicht aus den Regierungsgebäuden verbannen? Oder haben sie das blaue Tuch mit den Sternchen für ihn extra wieder aufgestellt?

Es ist wahrlich keine gute Zeit für Vizekanzler Gabriel, um Polen einen Besuch abzustatten. Biologisch, weil in der Nacht bis kurz nach drei über Asylverfahren gestritten und folglich kaum geschlafen hat. Inhaltlich, weil es mit Polen seit dem Rechtsrutsch bei den Wahlen im Herbst nichts als Ärger gibt. Und weil es bilateral gerade schwierig sei, sagt er, fahre er gerade jetzt dorthin.

Die Rechtskonservativen der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) scheinen derzeit keinen Stein der Demokratie auf dem anderen lassen zu wollen: Kaum hatte Beata Szydlo die Wahl im Dienste des Parteichefs Jaroslaw Kaczynski gewonnen – schon begann sie, die Pressefreiheit zu schleifen und neue Verfassungsrichter einzusetzen, linientreue, versteht sich. Jetzt droht aus Brüssel eine Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit. Etabliert sich etwa an der Weichsel eine neue Hardliner-Regierung wie schon im Ungarn unter Viktor Orbán?

Wissenswertes über Polen

Gabriel, dessen Vater aus Schlesien stammt, spielt ausdrücklich den „good cop“: Man müsse „Polen umarmen und nicht verstoßen“, sagt der Sozialdemokrat über die Rechtspopulisten. Die bilateralen Beziehungen zwischen mit Polen hätten schon andere schwierigen Phasen hinter sich, trotzdem pflegten die Polen eine klare europäische Orientierung. Man müsse nun „aufpassen, dass keine neuen Gräben entstehen“.

Einen der Gräben hatte Gabriel noch im alten Jahr selbst aufgerissen. In Moskau hatte er sich für den Ausbau der Ostseepipeline „Nord Stream“ ausgesprochen, die unter Umgehung des polnischen Territoriums russisches Gas nach Deutschland pumpt. In Warschau fürchtet man um die eigenen Versorgungssicherheit, aber auch um die politische Instrumentalisierung der Gaslieferung durch Kremlchef Wladimir Putin. Gabriel beschwichtigt, ohne Erfolg.

Wogen geglättet

Ungemach droht auch von polnischer Seite: PiS-Abgeordnete im Sejm forderten kürzlich, den Import deutscher Waren zu begrenzen. Im Gespräch ist auch die Abbestellung von Airbus-Helikoptern vom Typ „Casacol“. Beide Gedankenspiele liegen von auf Parteilinie, wonach die inländische Produktion quer durch die Wirtschaftssektoren künftig gestärkt werden soll. Aber wird Polen am Ende wirklich so weit gehen, Aufträge zu stornieren und einzelne Produkte vom Markt zu verbannen?

Polens Wirtschaftsminister Mateusz Morawiecki schafft es, die Wogen nach einem Gespräch mit Gabriel zu glätten: „Im polnischen Parlament sitzen über 400 Abgeordnete“, sagt vor der Presse, „da gibt es immer wieder mal eine radikale Äußerung.“ Die Regierung müsse dies nicht aufgreifen, zumal ein weiteres Aufblühen der Wirtschaftsbeziehungen im polnischen Interesse sei. „Wir werden die Kooperation garantiert enger gestalten“, verspricht der Minister.

von Gregor Peter Schmitz, Hans Jakob Ginsburg, Katharina Matheis, Silke Wettach

Umgekehrt scheint sich Gabriel noch keine abschließende Meinung über die Gefahr eines neuen wirtschaftspolitischen Populismus gebildet zu haben: Mit einem auffällig weiten Schlenker bis hinab in die polnische Religionsgeschichte weicht er einer Frage aus, ob die PiS-Politik denn gefährlich für die Wirtschaftsbeziehungen werden könnte.

Vermutlich ist es tatsächlich zu früh, über das „neue Polen“ zu urteilen. Sicher, das Einlösen von Wahlversprechen wird teuer – sowohl die Einführung von Kindergeld als auch die deutliche Absenkung des Rentenalters. Und ja, um die Staatskassen aufzupäppeln, schenken die neuen Regierenden in der Steuerpolitik zulasten der Wirtschaft: Seit dem ersten Februar müssen Banken und Versicherungen auf ihr Kapitalvolumen pro Jahr 0,44 Prozent Steuern zahlen. Bald folgen dürfte ein Gesetz, das Handelskonzernen ab 1,5 Millionen Zloty Umsatz (340 Millionen Euro) eine Steuer in Höhe von bis zu 1,3 Prozent des Umsatzes aufbrummen. Belasten würde dies in erster Linie ausländische Investoren wie die Düsseldorfer Metro.

Andererseits sitzt auch in der polnischen Regierung einiger Sachverstand. Etwa in Gestalt von Wirtschaftsminister Morawiecki oder Finanzminister Pawel Szalamacha. Sie und ihre Fachleute wissen sehr wohl, dass das Wirtschaftswachstum von dieses Jahr 3,6 Prozent ohne ausländische Investitionen nicht möglich wäre – und die Brechstange des Protektionismus den Polen schnell auf die Füße fallen könnte. Ob sie sich durchsetzen werden? Gabriel weiß es nicht. Niemand weiß das im Moment. Bleibt nur zu hoffen, dass die EU-Fahne auch nach Gabriels Abflug gen Berlin noch steht.

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