Richtungsstreit in der Euro-Krise Keynesianische Politik richtet mehr Schaden als Nutzen an

Die Südländer wollen die Euro-Krise mit Schulden und billigem Geld lösen. Leider hat der Plan gleich mehrere Haken.

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Euroscheine mit dem Konterfei von John Maynard Keynes Quelle: dpa, Montage

Mit einer Leitzinssenkung auf 0,05 Prozent hat EZB-Präsident Mario Draghi zuletzt überrascht. Es dürfte die vorletzte Verzweiflungstat gewesen sein. Die letzte besteht in der Inflationierung der Wirtschaft und der Zerstörung von Schulden und Guthaben gleichermaßen.

Keynesianische Maßnahmen wie das Fluten der Märkte mit billigem Geld sind jedoch grundfalsch. Und zwar aus drei Gründen: Erstens ist die Euroraum-Krise keine klassische Konjunktur-Krise, zweitens sind die Rahmenbedingungen heute ganz andere als Keynes sie in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts vorfand. Drittens wird die Geldpolitik als Therapieinstrument dermaßen überdehnt, dass den Volkswirtschaften in Europa ein nachhaltiger Schaden droht.

Zur Person

Keine Konjunkturkrise

Die Krise in Euroland ist keine konjunkturelle Erscheinung. Sie ist nicht keynesianisch und kann daher auch nicht mit keynesianischen Mitteln bekämpft werden. Sie kann übrigens auch nicht durch einen zinsinduzierten Abwertungswettlauf behoben werden.

Keynes entwickelte seine Theorie auf Basis der Erfahrungen der Großen Depression. Das ist mehr als 80 Jahre her. Damals entdeckte der englische Ökonom die Bedeutung der aggregierten Nachfrage: Lasse sie nach, könne die Wirtschaft in Unterbeschäftigung und Rezession abrutschen. Staat und Notenbank sollten mit einer Ausweitung oder Stimulierung der kreditfinanzierten Nachfrage den temporären Einbruch kurieren und die Wirtschaft wieder auf Kurs bringen.

Die Konjunkturkrisen, die seither mit expansiver Geld- und Fiskalpolitik bekämpft wurden, waren allesamt kurzfristiger Natur. Wenn man sich die Wirtschaft als ein Auto vorstellt, dann schwebte Keynes ein Hilfsprogramm im Sinne der Gelben Engel vor: Ist die Panne behoben, kann das Auto selber weiterfahren.

Die Probleme in Euroland sind hingegen langfristiger und struktureller Natur. Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit im Verbund mit verkrusteten Strukturen behindern die Angebotsseite. Im Prinzip ist eher ein Abschleppdienst denn eine rasche Pannenhilfe gefordert. 

Reiner Osbild Quelle: PR

Andere Rahmenbedingungen

Analogien sind häufig bedenklich. Vor allem aber muss die keynesianische Theorie vor dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte interpretiert werden. Und Südeuropa ist nicht mit den USA oder Großbritannien der Dreißigerjahre vergleichbar.

Keynes fand damals hoch entwickelte Industriestaaten vor, mit risikofreudigen Unternehmern und ausgebildeten Arbeitskräften. Die öffentlichen Schulden waren in Friedenszeiten nicht so hoch, als dass sie die Bonität gefährdet hätten. Die Verwaltungen der Industrieländer funktionierten im Großen und Ganzen gut. Schließlich handelte es sich um relativ geschlossene Ökonomien, für die der Außenhandel nur einen geringen Anteil des BIP ausmachte.

Stimmen aus dem Ausland zur EZB-Politik

Im Euroraum ist vieles anders. Die südeuropäischen Staaten und Irland verdanken ihren Boom der Jahre 1998 bis 2007 gerade nicht den klassischen Wachstumstreibern, also innovativen Unternehme(r)n und hoch produktiven Beschäftigten - sondern einer Ausgabenorgie, die durch Kapitalzuflüsse und niedrige Zinsen gespeist war.

Die Ausgaben flossen in Irland und Spanien in den Hausbau, in Griechenland und Portugal in (staatsfinanzierten) Konsum. Zu wenige Investitionen wurden getätigt. Die Staaten selbst sind durch teils hohe Korruption, Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung gekennzeichnet. Ihre Einbindung in den internationalen Handel ist hoch, so dass die aufgeblähte Nachfrage in großem Stile in Importe floss anstatt die heimische Wirtschaft zu stimulieren.

Ein weiterer Unterschied: Keynes ging von homogenen Staatsgebilden aus. England, die USA und Co. konnten „durchregiert” werden. Das erhöhte die Wirkung der Geld- und Fiskalpolitik.

In Euroland aber gibt es gerade keine Fiskalunion. Die bestehenden Verträge (Maastricht, Lissabon) wurden laufend gebrochen und die Auflagen der Troika nur zögerlich und unvollständig umgesetzt, wie etwa der enttäuschende Verlauf des griechischen Privatisierungsprogramms belegt.

Auch die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte hinsichtlich zukünftiger Zins-, Inflations- und Einkommensentwicklung sind in der Kakophonie der Eurozone viel heterogener als zu Keynes´ Zeiten und erschweren damit eine glaubwürdige Globalsteuerung.

Preisstabilität adé

Gerade an den Erwartungen will aber die Geldpolitik verstärkt ansetzen. Der EZB ist sehr wohl bewusst, dass der Nominalzins nicht tiefer als null sinken kann. Nur unter dem Einsatz von Strafzinsen können Nominalzinsen gelegentlich ins Minus abgleiten.

Anders die Realzinsen: Sie können sehr wohl negativ werden. Definiert man den Realzins als Differenz zwischen Nominalzins und Inflationserwartungen, so besteht keynesianische Geldpolitik 3.0 fortan darin, möglichst hohe Inflationserwartungen zu wecken.

Nobelpreisträger Paul Krugman, unverdrossener Anhänger expansiver Geldpolitik, fordert, „…the central bank must credibly promise to be irresponsible”.

Eine verantwortungslose EZB soll also, statt für Preisstabilität zu sorgen, den Bürger beunruhigen, damit er schnell noch mehr ausgibt, damit die Investoren, geblendet von der Aussicht auf ein Wegschmelzen ihrer realen Schulden, investieren auf Teufel komm raus. Makroökonomische Energiewende: Die moderne Geldtheorie hat das Strohfeuer als Wärmequelle entdeckt.

Reaktionen auf EZB-Zinssenkung und Wertpapierkäufe

Leider hat das Ganze gleich mehrere Haken. So stehen die unterschiedlichen Bedingungen im Süden und Norden von Euroland einer einheitlichen Erwartungsbildung entgegen. Denn im Süden, wo Arbeitslosigkeit herrscht oder droht, wo Immobilien zwangsversteigert werden, wo Schuldenabbau unumgänglich ist: wo sollen da hohe, inflationstreibende private und öffentliche Ausgaben herkommen?

Im Norden ist es der Sparer, der den Geldpolitikern einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Angesichts der demographischen Misere ist private Altersvorsorge das Gebot der Stunde. Pro 100 Euro Zusatzrente muss nämlich immer mehr beiseite gelegt werden, je niedriger der (Real-)Zins ausfällt. Ein 35-Jähriger, der eine monatliche Zusatzrente von 600 Euro ab dem 65. Lebensjahr anstrebt, muss bei zwei Prozent realer Verzinsung monatlich 242 Euro zur Seite legen; bei minus ein Prozent (Inflation um einen Prozentpunkt höher als Nominalzins) jedoch schon 513 Euro, mehr als das doppelte. Bereits einmal, zwischen 2000 und 2005, kam es in Deutschland trotz historisch niedriger Realzinsen zu einem Anstieg der Sparquote.

Die größten Ökonomen
Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.
Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-2006-0113 / CC-BY-SA
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt. Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen. Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA
Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen. Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität. Quelle: dpa
Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien. Quelle: dpa
Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System  entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft. Quelle: dpa
Amartya Sen Quelle: dpa

Umverteilung vom privaten Sektor zur öffentlichen Hand

Sollte die erwartete Inflation eintreten, findet eine gigantische Umverteilung von privat zu Staat statt: die Geldvermögen der Privaten werden real ebenso entwertet wie die Schulden der öffentlichen Hand. Obendrein begünstigt eine (progressive) nominalwertbasierte Besteuerung der Arbeits- und Kapitaleinkommen die öffentliche Hand.

Selbst wenn es der Notenbank gelingen sollte, Inflationserwartungen zu wecken, ist nicht gewährleistet, dass gewünschte Ausgaben auch finanziert werden. In Zeiten der Inflation wächst im Allgemeinen die Unsicherheit. Daher werden Banken erhöhte Risikoprämien in ihre Kredite einpreisen und die Kreditvergabe tendenziell drosseln.

Banken könnten stattdessen, wie jetzt schon, Vermögensgüter erwerben und die Vermögenspreise nach oben treiben. Wenn indes die Konsumentenpreise nur verhalten reagieren, würde ein wichtiger Impuls für die Unternehmer, mehr zu produzieren, wegfallen. Bei einer Inflation „mit Ansage“ reagieren die Tarifparteien und fordern höhere Löhne ein, so dass keine Mehrbeschäftigung durch niedrigere Reallöhne (gleiche Geldlöhne bei höheren Produktpreisen) zustande kommt.

Der Chefvolkswirt des IWF, Oliver Blanchard, sagte über das Spiel mit den Inflationserwartungen, dies sei alles andere als eine sichere Sache. Die Wirkung einer entfesselten keynesianischen Geldpolitik ist nicht nur höchst ungewiss, sie droht auch mehr Schaden als Nutzen anzurichten. Wie immer, wenn die Verabreichung eines Medikaments auf einer fehlerhaften Diagnose beruht.

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