Nach heftiger Kritik zieht die EU-Kommission ihren Plan zur Neuregelung der Auslands-Handykosten zurück. Der Vorschlag, wonach Anbieter kostenfreies Roaming im EU-Ausland auf 90 Tage befristen könnten, werde auf Anordnung von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker überarbeitet, sagte ein Sprecher am Freitag in Brüssel. Der erste Vorschlag sei zwar gut gewesen, aber nicht gut genug für Juncker. „Deshalb hat er uns angewiesen, härter zu arbeiten.“
Auch wenn Einschränkungen stets vorgesehen waren, wurden die neuen Regeln als „Wegfall“ der Roaming-Gebühren angekündigt - an dieser Formulierung hielt die Kommission auch am Freitag fest. „Die Roaming-Gebühren verschwinden komplett bis Juni 2017. Punkt“, sagte der Sprecher. „Daran gibt es nicht den Hauch eines Zweifels.“
Parlament und Staaten hatten die Neuregelung vergangenes Jahr beschlossen. „Dauerhaftes Roaming“ ist darin nicht vorgesehen. Was das heißt, sollte die EU-Kommission ausarbeiten. Diese Woche hatte sie in ihrem Entwurf unter anderem vorgeschlagen, dass Anbieter nur mindestens 90 Tage pro Jahr ohne Zusatzkosten für Telefonate, SMS und Datennutzung im EU-Ausland gewähren müssen. Auch sollte eine Beschränkung auf 30 Tage Auslandsnutzung am Stück ohne Aufschlag möglich sein. Grenzpendler waren ausgenommen, für Flatrate-Kunden waren Einschränkungen vorgesehen.
Wie Sie sich vor Handy-Kostenfallen im Ausland schützen (Stand April 207)
Mit Roaming (zu deutsch etwa "wandern", mit Bezug auf den Nutzer, der durch die Mobilfunknetze wandert) werden jene Gebühren bezeichnet, die anfallen, wenn Mobilfunkkunden im EU-Ausland zum Handy greifen.
Zum Ärger von Verbraucherschützern und Regulierern hielten die Roaming-Kosten die Tarife lange Zeit hoch und sorgten dafür, dass die Anbieter sich eine goldene Nase verdienten.
Quelle: Bundesnetzagentur, Verbraucherzentrale, dpa
Stand: April 2017
Um allzu hohe Rechnungen zu vermeiden, schreibt die Roaming-Verordnung innerhalb der europäischen Union vor, dass Mobilfunkanbieter eine Obergrenze von 50 Euro anbieten müssen. Seit 2012 gilt zudem der Kostenairbag: Jeder Anbieter mit Sitz in der EU darf für weltweites Datenroaming auch im außereuropäischen Ausland maximal 50 Euro (zzgl. Mehrwertsteuer) berechnen.
Aber: Lässt der Netzbetreiber im Nicht-EU-Land, das der Nutzer besucht, es nicht zu, dass der Roamingpartner das Nutzerverhalten in Echtzeit überwacht, gibt es keinen Kostenairbag. Dann muss dem Kunden aber bei Einreise auf dem Handy mitgeteilt werden, dass die Kostenbegrenzung nicht zur Verfügung steht.
Smartphones können sich vom Nutzer unbemerkt ins Internet einwählen, um zum Beispiel ein Software-Update auszuführen, automatisch E-Mails abzurufen oder die Wetterinformationen zu aktualisieren. Dies kann durch rechtzeitiges Ausschalten dieser Funktion beziehungsweise des gesamten Mobiltelefons verhindert werden. Am einfachsten ist es, das Smartphone einfach auf den Flugmodus zu setzen. Dann ist allerdings auch das Telefonieren nicht mehr möglich. Alternativ können auch Softwareaktualisierungen nur noch per WLAN zugelassen werden. Eine entsprechende Einstellung gibt es in jedem Betriebssystem.
Auch Rufweiterleitung oder das Abhören der Mailbox kostet, vor allem in Ländern außerhalb der EU. Hier lauert die Kostenfalle der doppelten Umleitung: Man zahlt zum einen für die Weiterleitung des Gesprächs ins Urlaubsland und dann noch einmal für die Rückleitung auf die deutsche Mailbox.
Reiseführer und City-Guides gibt es auch als Apps, die sich unterwegs mit einem Smartphone nutzen lassen. Das Herunterladen vor Reiseantritt spart Roaming-Gebühren, da die Reiseführer nach dem Download in der Regel ohne Internetverbindung, also offline, zur Verfügung stehen.
In vielen Hotels, Bars und Restaurants stehen WLAN-Hotspots zur Verfügung, mit deren Hilfe günstig, oder sogar kostenfrei, am Urlaubsort im Internet gesurft werden kann. Allerdings muss von der Eingabe von sensiblen persönlichen Daten (wie etwa Online-Banking, Kreditkartennummer) abgeraten werden, da diese leicht ausgespäht werden können.
Der 15. Juni 2017 ist eine Zäsur in der Entwicklung des Mobilfunks: Das umstrittene EU-Roaming wird kostenfrei. Nun soll EU-Reisenden kein Eurocent extra mehr fürs Herumwandern durch fremde Netze aus der Tasche gezogen werden. Zwar müssen auch künftig Roaming-Kosten bezahlt werden, aber es sind nicht mehr die Endkunden, die zur Kasse gebeten werden - im Prinzip jedenfalls.
„Es ist völlig unklar, was nach dem 15. Juni passiert“, analysiert etwa Susanne Blohm, Referentin für Digitales und Medien bei der Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin.
Andere wie das Vergleichsportal Verivox sehen eine Preiswende am Mobilfunk-Himmel heraufziehen. Verbraucher würden für eine Leistung bezahlen, die eigentlich kostenfrei sei, unterstreicht Christian Schiele, Produktchef Telekommunikation bei Verivox. Anbieter wie Telekom und Telefónica hatten bereits vor längerer Zeit ihre Tarife angepasst und EU-Roaming als Inklusivleistung ins Programm genommen. Dafür wurde der Preis leicht nach oben angepasst. Entfallen nun die Roaminggebühren, kommt es zu einer indirekten Preiserhöhung. Es sei denn, die Unternehmen rechnen die Kosten wieder heraus.
Der Kostenfaktor Roaming, argumentiert Verivox, werde nun aufs Inland verlagert und in die Handytarife eingepreist. Folge: Nichtreisende und Geringverdienende zahlten am Ende die Zeche. Einige Discounter wie Billigmarken bei Drillisch sind bereits dazu übergegangen, rein nationale Tarifmodelle zu entwickeln, die eine Auslandsnutzung ausschließen.
Der Sprecher deutete an, dass die Behörde kommende Woche Einzelheiten zum neuen Vorschlag bekanntgeben könne. Kommissionspräsident Juncker hält am Mittwoch seine jährliche Rede vor dem Europaparlament zur Lage der Europäischen Union. „Er hat die Rückmeldungen, die wir bekommen haben, gehört und gesehen.“
Abgeordnete des Europaparlaments reagierten erfreut - aus ihren Reihen hatte es viel Kritik gegeben. „Gut, dass die EU-Kommission einen neuen Vorschlag macht“, schrieb der Chef der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber, bei Twitter. Auch die Sozialdemokratin Constanze Krehl befürwortete einen neuen Anlauf: „Der überraschende Rückzug von der Abschaffung der Zusatzkosten war nicht nachvollziehbar.“ Der Grünen-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht schrieb: „Das ist überraschend und sorgt hoffentlich dann doch für das erwünschte Ende des Roaming in der EU.“ Angelika Niebler (CSU) nannte es bedauerlich, dass die Kommission solch einen „unnötigen Vorstoß“ überhaupt gemacht habe. Auch die luxemburgische Abgeordnete und ehemalige EU-Kommissarin Viviane Reding begrüßte die Kehrtwende.
Die EU-Kommission hatte zuvor argumentiert, eine längere Nutzungsfrist könne Missbrauch ermöglichen: Nutzer könnten sich einfach im EU-Land mit den günstigsten Preisen eine Sim-Karte besorgen und in teuren Ländern auf Dauer damit telefonieren. Dies würde aus Sicht der Behörde längerfristig auch zu höheren Preisen für Verbraucher führen. Das ursprünglich vorgeschlagene Mindestkontingent von 90 Tagen decke aber praktisch jeden Bedarf von Reisenden - sie verbrächten in der Regel weitaus weniger Tage im EU-Ausland, hatte es geheißen. Die Kommission betonte, dass die EU-Roaming-Gebühren seit 2007 um mehr als 90 Prozent gefallen seien.
Der internationale Mobilfunkverband GSMA zeigte sich offen für eine Neuregelung, die ausreichendes Roaming mit verständlichen Regeln und Sicherheit gegen Missbrauch in Einklang bringe. Der europäische Branchenverband Etno hält 90 Tage für ausreichend und betont, dass es spezielle Angebote für Auslands-Nutzung gebe. Missbrauch schade allen Verbrauchern.