Rückkehr mit Chancen Wie Deutschland abgelehnten Asylbewerbern beim Neustart hilft

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"Im Kosovo lebt die jüngste Gesellschaft Europas"

„Der Kosovo ist ein Staat in der Pubertät: Es läuft noch manches schief, aber insgesamt geht es wirtschaftlich langsam bergauf“, sagt der deutsche Politikberater Michael Sauer. Der Mann muss es wissen, er sitzt sozusagen an der Quelle: Sauer hat ein 16-Quadratmeter Büro im Arbeitsministerium des Kosovo und soll dort unter anderem Kooperationsprojekte mit der deutschen Wirtschaft anschieben. Ganz frisch ist ein Deal mit der bayrischen Bauinnung, deren Betriebe im kommenden Herbst rund 20 Azubis aus dem Kosovo einstellen wollen. Die Kosten für die vorgeschalteten Sprachkurse teilen sich Innung, GIZ und das kosovarische Arbeitsministerium.

Für Sauer hat der überwiegend muslimische Kosovo einen zentralen Vorteil: „Hier lebt die jüngste Gesellschaft Europas“. Nirgendwo sonst auf dem Kontinent ist die Geburtenrate so hoch, 44 Prozent der Einwohner sind jünger als 25 Jahre. Wer in Pristina auf dem Mutter-Theresa-Boulevard zur Nationalbibliothek schlendert, sieht überwiegend junge Menschen. Dass ständig neue Absolventen auf den Arbeitsmarkt drängen, belastet zwar den heimischen Arbeitsmarkt und macht die Re-Integration zurückkehrender Flüchtlinge nicht leichter.

Allerdings entkräftet es auch die Kritik, das reiche Deutschland schicke mittellose Flüchtlinge zurück und sauge im Gegenzug begehrte Fachkräfte ab. „Das Brain-Drain-Problem gibt es hier kaum“, glaubt Sauer. Insgesamt reisten 2016 bereits 5000 Kosovaren mit einem offiziellen Arbeitsvisum nach Deutschland ein.

Wer in Pristina auf dem Mutter-Theresa-Boulevard zur Nationalbibliothek schlendert, sieht überwiegend junge Menschen. Quelle: Thomas Imo

Politisch vermint ist die Migrationsfrage dennoch. Der Ausreisewelle nach Deutschland 2015 sah die Regierung des Kosovo lange tatenlos zu – auch aus ökonomischem Kalkül. Die Diaspora ist für das Land ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Im Kosovo gehen rund 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf Heimatüberweisungen der Auslandskosovaren zurück, für deren Belange die Regierung in Pristina ein eigenes „Diaspora-Ministerium“ eingerichtet hat. Gut ein Drittel der Haushalte halten sich nur durch Geld aus dem Ausland über Wasser, ohne die Überweisungen von Freunden und Verwandten würden sie unter die Armutsgrenze rutschen.

"Wir warten hier nicht auf die Polizei“

Wer ins Ausland geht und Geld nach Hause schickt, nimmt für die Politik somit gehörig Druck aus dem Kessel. Erst als die deutsche Seite klar machte, die Ausreisewelle sei für die vom Kosovo herbeigesehnte Visafreiheit nicht hilfreich, ging die Regierung in Pristina gegen Schlepper und Busunternehmen vor, die sich mit Flüchtlingstransporten die Taschen füllten.

Flucht – davon kann auch Endri Hametaj viel erzählen. Der 17-jährige Albaner sitzt mit 20 Schülern in einem frisch renovierten Klassenraum vor einem Monitor, auf dem Lehrplan steht IT und das Jahr 2015 ist weit weg. Damals verließen seine Eltern mit ihm das Land und beantragten in Deutschland politisches Asyl. Sechs Monate lebte die Familien in Sangerhausen in Sachsen-Anhalt. „Als unser Asylantrag abgelehnt wurde, hat mein Vater sofort gesagt: Wir gehen zurück. Wir warten hier nicht auf die Polizei“, erinnert sich Endri.

Von Flucht kann auch Endri Hametaj viel erzählen. Jetzt besucht er die Berufsschule in Kamza, einem heruntergekommenen Vorort von Tirana.

Jetzt besucht der Junge die Berufsschule in Kamza, einem heruntergekommenen Vorort von Tirana. In der 150.000-Einwohner-Stadt stranden viele Menschen aus dem armen Norden des Landes, in den vergangenen Jahren war die Stadt für viele auch Durchgangsstation für den Weg in den Westen. Wohl nicht ohne Kalkül ist hier mit deutscher Unterstützung die größte Berufsschule Albaniens entstanden. 1600 Schüler werden in IT, Landwirtschaft, Pflege, Gastronomie und Automechanik ausgebildet. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat die Kooperation gerade bis 2019 verlängert und stellt sechs Millionen Euro bereit.

Größte Berufsschule Albaniens: 1600 Schüler werden in IT, Landwirtschaft, Pflege, Gastronomie und Automechanik ausgebildet. Quelle: Thomas Imo

Endri will Programmierer werden. Über Deutschland weiß er nichts Schlechtes zu sagen, er ist nur traurig, dass seine ehemaligen Mitschüler nicht mehr auf seine WhatsApp-Botschaften reagieren. Wenn möglich, will der Jugendliche nach seinem Abschluss 2019 wieder raus aus Albanien, zurück nach Deutschland.

Und zwar nicht als Asylbewerber, nicht als Bittsteller, nicht als billige Hilfskraft in einer Restaurantküche. Sondern als Informatikstudent an einer Universität.

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