Rundfunkgebühren Europa stellt die Systemfrage

Am Sonntag entscheidet die Schweiz über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. In ganz Europa sorgt der digitale Wandel für Umbrüche bei der Rundfunkgebühr. Ein Land könnte bald ganz den Stecker ziehen.

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Auf einem Tisch liegt ein Anschreiben zu den Rundfunkgebühren und ein Überweisungsschein für ein Jahr Rundfunkgebühr. Quelle: dpa

Eines steht fest: Es wird eine knappe Angelegenheit. Wenn kommenden Sonntag die Schweizer darüber entscheiden, ob die bisherige geräteabhängige Rundfunkgebühr durch eine Abgabe für alle Haushalte ersetzt werden soll, wie sie in Deutschland bereits 2013 eingeführt wurde, dürfte es ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben. Nach jüngsten Umfragen liegen die Gegner der neuen Haushaltsabgabe vorn. Demnach lehnen 47 Prozent der Schweizer die Umstellung ab, 43 Prozent befürworten sie. Allerdings haben sich zehn Prozent der Wahlberechtigten noch keine Meinung gebildet.

Nicht nur in der Schweiz, fast überall in Europa gibt es mehr oder weniger konkrete Pläne zur Neuordnung der Rundfunkgebühren. Manche wurden auch schon in die Tat umgesetzt. Hintergrund für den Reformeifer ist die digitale Revolution, die eine geräteabhängige Gebühr obsolet macht. Wer heute fernsehen will, benötigt kein TV-Gerät mehr. Ein Laptop, ein Tablet-PC oder ein Smartphone tun es auch.

Nicht immer aber lassen sich die neuen Gebührenmodelle vergleichen. So unterscheidet sich die Haushaltsabgabe in Deutschland von der in der Schweiz geplanten gewaltig. Die Eidgenossen etwa wollen die Gebührenumstellung aufkommensneutral gestalten. Deshalb ist geplant, dass mit Einführung der Haushaltsabgabe die Rundfunkgebühr von derzeit 462 Franken (442 Euro) im Jahr auf 400 Franken (338 Euro) sinkt. Kleinere Unternehmen mit einem Umsatz von weniger als 500.000 Franken (478.556 Euro) sollen von der Abgabe freigestellt werden.

Auch in Deutschland sollte die Umstellung aufkommensneutral erfolgen. Anders als in der Schweiz hielt es der Gesetzgeber aber nicht für nötig, mit Einführung der Haushaltsabgabe die Rundfunkgebühr zu senken, die seither Rundfunkbeitrag heißt. Die Folge war, dass die Sender nun innerhalb der vierjährigen Gebührenperiode 1,5 Milliarden Euro mehr einnehmen als vor der Umstellung. Was mit dem Betrag geschehen soll, den ARD, ZDF und Deutschlandradio einstweilen nicht ausgeben dürfen, ist noch unklar. Immerhin wurde zum 1. April der monatliche Rundfunkbeitrag um 48 Cent auf 17,50 Euro gesenkt.

Die wichtigsten Fragen zur neuen Rundfunkabgabe

Auch bei der Gebührenpflicht für Unternehmen gehen die Deutschen andere Wege als die Schweizer. Zwar müssen auch in Deutschland große Unternehmen mehr zahlen als kleine. Eine generelle Befreiung von der Abgabe gibt es aber für keinen deutschen Unternehmer, mag er noch so klein sein.

In Ländern, in denen es noch eine geräteabhängige Gebühr gibt, steht das neue deutsche Modell unter Beobachtung. „Wir schauen uns das deutsche Beispiel genau an“, sagte der Intendant des österreichischen ORF, Alexander Wrabetz, kürzlich dem Handelsblatt. „Aus meiner Sicht müssen wir angesichts der disruptiven Veränderungen in der Medienwelt entweder mehr Geräte erfassen oder zu einer Haushaltsgebühr wie in Deutschland kommen.“

Hund soll Rundfunkgebühr zahlen
Eine kuriose Zahlungsaufforderung zum Rundfunkbeitrag ist Anfang 2015 in Koblenz an einen Janosch Städtler gegangen. Doch dabei handelt es sich um einen Hund - genauer gesagt, um einen sechsjährigen Ungarischen Jagdhund, wie sein Herrchen Christian Städtler berichtet. Dabei schaue Janosch gar nicht gern Fernsehen, meinte Städtler scherzend - anders als sein früherer Hund, der Tierfilme mitgeguckt habe. „Janosch will abends seine Ruhe haben.“ Bleibt die Frage, wie es zu dem Missgeschick kommen konnte. „Das hört sich sehr nach einem Scherz an“, zitierte die „Rhein-Zeitung“ einen Sprecher des Beitragsservices. Angemeldet worden sei das Tier im Internet auf der Seite rundfunkbeitrag.de - vermutlich von einem Witzbold. Quelle: dpa
Auch Tote stehen auf der GEZ-Fahndungsliste: Schon im Jahr 2009 bekam der Rechenmeister Adam Ries, besser bekannt als Adam Riese, Post von der GEZ. Das Adam-Ries-Museum in dessen ehemaligem Wohnhaus im sächsischen Annaberg-Buchholz erhielt ein Schreiben, das den Mathematiker aufforderte, seine Rundfunkgeräte anzumelden. Allerdings war Ries bereits am 30. März 1559 gestorben, also vor gut 450 Jahren. Die Berichte zu der Posse haben das Museum damals sogar im Ausland bekannt gemacht - das fand der Chef des Adam-Ries-Bundes, Rainer Gebhardt, noch ziemlich gut. Erst ein klärender Anruf der Museumsdirektion konnte die Gebührenfahnder davon überzeugen, dass bei Adam Ries nichts mehr zu holen war. Diese wertvolle Information hat die Umwandlung der GEZ in den ARD-ZDF-Deutschlandradio-Beitragsservice offensichtlich nicht überdauert: Denn Anfang Februar ist beim Adam-Ries-Museum wieder Post eingegangen. In dem Schreiben wurde "Herr Adam Ries" aufgefordert, für das erste Quartal dieses Jahres 53,94 Euro an Rundfunkgebühren zu entrichten. Der Verein, der das Museum betreibt, habe höflich geantwortet, dass maximal 17,97 Euro fällig sein dürften - wegen der Gemeinnützigkeit von Verein und Museum, teilte Gebhardt mit. Diesmal findet er den Vorfall weniger lustig. "Wir wollen als seriöses Museum wahrgenommen werden", sagte er. Quelle: Gemeinfrei
Bei ihrer Jagd auf Schwarzseher macht die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) keine Kompromisse. So forderte sie 2003 von einer „Frau Walburga ST“ im Münsterland unter Androhung von 1000 Euro Bußgeld ultimativ die Entrichtung von Rundfunkgebühren. Jedoch handelte es sich bei der vermuteten Schwarzseherin um die Heilige Walburga, Schutzpatronin einer katholischen Kirchengemeinde. Der Pfarrer der Kirche schrieb zunächst noch belustigt einen Antwortbrief im Namen der Schutzpatronin: „Ich - um 710 geboren, da es noch keine Radio- und Fernsehgeräte gab - kann ja verstehen, dass man in Zeiten knapper Kassen jedem Hinweis nachgehen muss, wo noch was zu holen ist. Aber dass Sie dabei nicht einmal vor der Kirche und den Heiligen Halt machen, stimmt mich doch ein bisschen traurig.“ Ein Jahr war Ruhe, dann forderte die GEZ von Frau Walburga ST 1242,82 Euro für den Betrieb eines alten Videogeräts im örtlichen Pfarrheim. Quelle: dpa
In München forderte die GEZ einen toten Dackel auf, für seinen Fernseher zu zahlen. 2010 flatterte der ehemaligen Besitzerin des bereits vor fünf Jahren verstorbenen Hundes ein Bescheid ins Haus. Die GEZ entschuldigte sich für die Panne und begründete sie damit, dass der Name des Hundes, "Bini", nicht als Haustiername erkannt worden sei. Zudem würden Besitzer oft den Namen ihres Haustiers etwa bei Gewinnspielen angeben - über Adresshändler landeten die Daten dann bei der GEZ. Quelle: dpa
frau spielt mit baby Quelle: dpa
Auch Dichter Friedrich Schiller war nicht vor einem GEZ-Schreiben gefeiht. Die "Dresdner Morgenpost" berichtete 2008, dass die GEZ Mahnbriefe an die sächsische "Friedrich Schiller"-Grundschule schickte. Die Briefe waren an "Herrn Friedrich Schiller" addressiert; in der Schule hielt man es zunächst für einen schlechten Scherz und antwortete der Zentrale, dass Schiller seit 200 Jahren tot und nicht mehr in der Lage sei, ein Radio anzumelden. Daraufhin erhielt die Schule jedoch nur ein weiteres Mahnschreiben. Quelle: dpa/dpaweb
2010 berichtete die Zeitung „tz“ von einem Brief der GEZ, der an einen Orlando Henne adressiert war. Allerdings handelte es sich bei Orlando um das Haustier eines Münchners. Der Golden Retriever war auf mysteriöse Weise in den Datenbestand der GEZ gelangt. Quelle: dpa

Einen kurzfristigen Handlungsbedarf sieht er aber nicht. In Deutschland sei der Anteil der Schwarzseher vor Einführung der Haushaltsabgabe wesentlich höher gewesen, als er es derzeit in Österreich ist: „Es gibt bei uns keinen fühlbaren Widerstand gegen die Gebühr“, findet der Intendant. 98,5 Prozent aller Haushalte entrichteten brav die Abgabe.

In Österreich variiert die Höhe der Rundfunkgebühr von Bundesland zu Bundesland. Sie liegt zwischen 19,78 und 25,18 Euro im Monat.Von diesem Betrag erhält der öffentlich-rechtliche ORF aber nur 15,76 Euro. Der Rest geht unter anderem in die Kunstförderung oder direkt an Länder und Gemeinden. Laut ORF zahlen die 3,2 Millionen Haushalte in Österreich rund 600 Millionen Euro an den Sender.

Finnen gehen dritten Weg

Einen dritten Weg zwischen geräteabhängiger Gebühr und Haushaltsabgabe haben 2013 die Finnen gefunden. Sie zahlen die sogenannte YLE-Steuer. YLE heißt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Finnland.

Die Steuer muss von jedem Finnen über 18 Jahre entrichtet werden, unabhängig davon, ob er ein Radio oder ein Fernsehgerät besitzt. Sie liegt derzeit bei 0,68 Prozent des Jahreseinkommens. Auch Kapitaleinkünfte werden zur Berechnung hinzugezogen. Allerdings hat der Gesetzgeber sowohl eine Unter- als auch eine Obergrenze für die Rundfunksteuer definiert. Wer weniger als 7353 Euro im Jahr verdient, wird von der Steuer befreit. Gleichzeitig ist die Höhe der Steuer derzeit bei 143 Euro pro Jahr gedeckelt. Weniger als 51 Euro zahlt aber kein Finne.

Für die Finnen bedeutete der Übergang von den Rundfunkgebühren zu der YLE-Steuer eine Senkung der Abgabe. Denn die alte, bis 2013 geltende Rundfunkgebühr lag bei rund 250 Euro im Jahr. Allerdings musste sie nur von denen bezahlt werden, die tatsächlich ein Radio oder ein Fernsehgerät besaßen.

Kritiker der Steuer sehen vor allem die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Sender in Gefahr. Durch eine staatlich erhobene Abgabe, so fürchten sie, könnte eine Regierung auch Einfluss auf die Programmgestaltung ausüben.

Das ist auch der Grund, weshalb Schweden das Modell der finnischen Rundfunksteuer nicht übernehmen will. Zurzeit liegt die Rundfunkgebühr im größten nordeuropäischen Land bei 2076 Kronen (221 Euro). Es handelt sich um eine klassische Haushaltsabgabe. Sie dient auch der Wirtschaftsförderung in einer schwierigen Region: Die Behörde, die für die Erhebung der Rundfunkgebühren zuständig ist, wurde bewusst in Kiruna, nördlich des Polarkreises, angesiedelt, um in der äußerst dünnbesiedelten Gegend neue Arbeitsplätze zu schaffen. Kritik gibt es an den Verwaltungskosten der Behörde. Kontrolle und Verwaltung der Gebühren verschlingen jährlich über 10 Millionen Euro.

Rundfunkgebühren seit 1970

Wie in Finnland ist auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Schweden werbefrei. Damit unterscheiden sich die Skandinavier von den deutschsprachigen Ländern Europas. Dabei hätten nach dem Willen des Vaters der deutschen Haushaltsabgabe, des Verfassungsrechtlers Paul Kirchhof, ARD und ZDF mit der Einführung des neuen Rundfunkbeitrags auch die Werbung in ihrem Programm abschaffen müssen. Doch die für Rundfunkpolitik zuständigen Bundesländer mochten der Empfehlung des Juristen nicht folgen.

Die BBC steht unter Druck

Seit eh und je werbefrei ist die britische BBC, die Mutter aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Die Rundfunkgebühr, die nur zahlen muss, wer ein Radio oder Fernsehgerät besitzt, liegt bei 145,50 Pfund (202 Euro). So kommen jährlich 3,7 Milliarden Pfund (4,2 Milliarden Euro) zusammen.

Doch der BBC droht Ungemach. Nach der gewonnen Unterhauswahl im Mai berief Premier David Cameon mit John Whittingdale einen scharfen BBC-Kritiker zum Kulturminister seiner Regierung. Bereits im Wahlkampf hatte er angekündigt, die Rundfunkgebühren senken zu wollen. Die Gebühr sei in ihrer derzeitigen Höhe „nicht haltbar“, ließ der ultrakonservative Politiker wissen.

Allerdings nannte er einen sehr langen Zeitraum für seine Rotstiftaktion: Er gehe davon aus, dass es bei der derzeitigen Höhe des Rundfunkbeitrages noch bis 2026 bleibe. Den Druck der konservativen Regierung dürfte die BBC jedoch bereits 2016 zu spüren bekommen, wenn das nächste Mal die auf jeweils zehn Jahre angelegte Royal Charter der BBC, ihre Finanzierungsgrundlage, neu verhandelt wird.

Noch weitaus rabiater als der Brite Whittingdale springt der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi mit den Öffentlich-Rechtlichen seines Landes um. Der Radio Televisione Italiana (Rai) will er die Rundfunkgebühr komplett streichen. Bisher kostet die Italiener die Abgabe 113,50 Euro im Jahr. Sie bringt der Rai rund 1,8 Milliarden Euro jährlich. Dabei zahlen längst nicht alle Italiener die Abgabe. Schätzungen gehen davon aus, dass sich mehr als ein Viertel der italienischen Haushalte vor der geräteabhängigen Gebühr drücken. Das ist relativ einfach, denn scharfe Kontrollen gibt es kaum.

Wegen des hohen Anteils an Schwarzsehern hatten Renzis Vorgänger erwogen, die Rundfunkgebühr einfach zusammen mit der Stromrechnung einzuziehen. Davon hält der derzeitige Regierungschef nichts. Er setzt eher auf eine populistische Lösung: Zuletzt sprachen sich mehr als zwei Drittel der Italiener für die Abschaffung der Gebühr aus.

Sollte es tatsächlich so weit kommen, wäre die Rai ausschließlich auf Werbeeinnahmen angewiesen. Schon jetzt kennt sie in puncto Werbung kaum Beschränkungen. Reklame läuft zu fast jeder Tageszeit – und sogar im Kinderprogramm.

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