Russland Wie Putin die russische Provinz kaputt spart

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"Die Krise existiert vor allem in den Köpfen"

Andrej war 22 und frisch diplomierter Elektroingenieur, als er es vor zehn Jahren einfach mal probierte mit der eigenen Firma: Er baute Kühler für die Landwirtschaft, später für Lokomotiven. Heute ist Russlands Staatsbahn RZD ein großer Kunde; ein Kühlsystem lieferte er sogar ins afrikanische Guinea, um es in die Werkslok der Aluminiumfabrik von Oligarch Oleg Deripaska einzubauen. Wie die Waffenfabrik, auf deren Areal er für seine 60 Monteure eine Halle mietet, ist Andrej Ljamin ein Krisengewinner: „Was wir nicht selbst bauen können, kaufen wir in Russland“, sagt er.

Dank des Rubelverfalls seien seine Produkte heute 15 bis 20 Prozent günstiger als jene aus China – früher sei es andersherum gewesen. „Die Krise existiert vor allem in den Köpfen“, glaubt Ljamin, „die Russen trauen sich einfach nicht, sich selbstständig zu machen.“

Trotzdem bremst ihn die Krise. Der Jungunternehmer weiß, dass er vermutlich keinen günstigen Kredit für die Expansion bekommen würde, zumindest jetzt nicht. Zumal die Bahn am Tropf des Budgets hängt und sparen muss: Fürs Erste haben sie ihm das Zahlungsziel von 30 auf 60 Tage erhöht, wenigstens hat es bisher keine Ausfälle gegeben, vor denen Unternehmer auch bei Staatsunternehmen nicht gefeit sind. Trotzdem könnte bald der Auftragseingang sinken, und Ljamin selbst erlebte, wie ein benachbarter Mittelständler unter Druck gerät: Rosneft, ein staatlicher Ölriese mit weiter sprudelndem Gewinn, verlangte zehn Prozent auf bereits gelieferte Komponenten für den Betrieb von Gasfeldern – andernfalls droht die Auslistung.

Kurz bevor er seine Moskau-Reise antritt, hat sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel für eine schrittweise Abbau der Russland-Sanktionen ausgesprochen.

Kühler-König Andrej Ljamin bleibt trotzdem optimistisch: „Wenn es in Russland nicht mehr läuft, gehe ich eben in den Export.“ Dort sei er als Russe dank des niedrigen Rubels etwa 15 Prozent günstiger als die Chinesen. Bloß ist er der einzige, der etwas daraus macht.

4. Der Staat reguliert die Preise

In den Export würde auch Wladimir Sorokin einsteigen. Die Geschäfte am Binnenmarkt sind schwieriger geworden, die Margen sinken. Lange Zeit arbeitete Sorokin in der Waffenindustrie, im Blaumann der Radarkuppel-Fabrik. „In Ischewsk herrscht ein besonderer Stolz auf diese Rüstungsbetriebe“, sagt er, und das bezieht er offenbar auch auf sich: Ein Steckkalender von Kalaschnikow hängt hinter dem Schreibtisch.

Dann baute eine Pharmafabrik auf, die in Lohnfertigung für den Bad Homburger Pharmakonzern Fresenius Dialyseflüssigkeit herstellt. Die Anlagen sind weitgehend ausgelastet, Fresenius liefert die Präparate landesweit an Krankenhäusern und eigene Dialysezentren.

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Sorokin hat aber dasselbe Problem wie Fresenius: „Der Staat gibt seit einiger Zeit die Preise vor.“ Die stiegen derzeit um etwa fünf Prozent im Jahr, also weit weniger als die Einkaufspreise. Einige Substanzen müsse er importieren, was teuer ist, seit der Rubelkurs zum Euro um die Hälfte gesunken ist. Im Inland erhöhen viele Lieferanten die Preise drastisch: „Sogar Verpackungshersteller sind in Russland oft Monopolisten, da es viel zu wenige gute Unternehmen gibt.“ Und eine Monopolstellung nutze hier jeder aus – auf Kosten seiner Margen.

Investieren will er erst einmal nicht, wer weiß, ob die Produktion bei derart fremdgesteuerten Preisen profitabel bleibt. Exportieren würde er gern nach Kasachstan, aber auch dies wäre ohne Investitionen nicht möglich: Die Zertifizierung für den dortigen Markt würde trotz der Zollunion mit Russland viel Geld kosten. Andererseits: Dort regulieren sie die Preise nicht.

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