Russland Wie Putin die russische Provinz kaputt spart

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Kaum Proteste gegen den Stillstand

Proteste gegen den Stillstand gibt es kaum. Im Januar gingen in Sotschi einige Hundert Rentner wegen gestiegener Lebensmittelpreise auf die Straße. Doch seit die Regierung unter dem blassen Ministerpräsidenten Dmitri Medwedjew über einen Anti-Krisen-Plan berät, scheinen die Russen in die Problemlösungskompetenz ihrer Regierung zu vertrauen – auch wenn die selbst nicht weiß, woher sie diesmal das Geld für ein Konjunkturpaket nehmen soll. Auch als vor einem Jahr eine Lkw-Maut eingeführt wurde, brachen Trucker aus dem ganzen Land auf zu einer Sternfahrt gen Moskau, im Schneckentempo.

Je näher sie der Hauptstadt kamen, desto größer wurde das Verkehrschaos. Breiter Protest indes blieb aus; längst ist die Maut in Kraft.

Auch Jewgeni Kusnezow hat mal protestiert – gegen die „Optimierung“ im medizinischen Sektor. So nennt die Provinzregierung den Personalabbau über die Fusion von Kliniken, ein Begriff, der für den Arzt Schönfärberei ist: „In der Chirurgie fehlt überall Personal“, sagt er. Mit dem Sparzwang werde es immer schlimmer. Er selbst habe mit 50 seinen zweiten Herzinfarkt hinter sich, sagt Kusnezow.

„Ich will schon lange kürzer treten und nur eine Schicht fahren, aber die Ärzte fehlen.“ In anderen Kliniken gebe es neben Personalmangel ein weiteres Problem: „In den Budgets fehlt das Geld, um teure Arznei zu kaufen, die Russland nicht herstellt“, sagt er, etwa Krebs-Therapeutika.

Binnen Minuten hat sich Kusnezow in Rage geredet. Wie sich herausstellt, ist er ein politischer Mensch. Es ärgert ihn, welch honorige Versprechen die russische Führung macht – und vergisst. So wie das Gesetz, das Ärzten bis 2017 ein doppelt so hohes Gehalt verspricht wie der Durchschnitt in einer Region. Kuszenow holt seine Lohnabrechnung: Darauf steht der Betrag von 13524 Rubel, also 188,95 Euro – und man möge das bitte fotografieren.

Der Durchschnittslohn in Udmurtien lag zum Jahresbeginn bei 30457 Rubel, das sind 425,43 Euro. So viel verdiente der Chirurg noch nie, selbst wenn er die Überstunden einrechnet. Dieses Jahr fällt sogar der Inflationsausgleich weg, sagt Kusnezow: „Putins Geopolitik spüre ich in meinem Geldbeutel.“

Immerhin wurden der Klinik vor zwei Jahren Endoskope zugeteilt. Möglich war das, da der Staat die Ausgaben für den Gesundheitssektor von 2008 bis 2012 verdoppelt hat. Doch seither sinken die Budgetmittel wieder, die Krise lässt grüßen. Und so muss Kusnezow täglich ansehen, wie seine Chirurgie langsam zerfällt, denn um die Probleme in der Provinz kümmere sich Moskau nicht. Kusnezow betrachtet sein Land wie ein Arzt einen Patienten.

Er sehe, dass der Patient krank ist. Dieser Patient wirkt auf ihn wie ein Dinosaurier: „Seine Glieder schmerzen, aber der Schmerz kommt oben im kleinen Kopf nicht an.“ Bis der Patient aus medizinischer Sicht nicht mehr zu retten ist.

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