Schuldenkrise Der Euro ist nicht schuld an der Krise

Freispruch für den Euro. Ohne die Währungsunion wäre die Schuldenkrise in den meisten Ländern wohl noch wesentlich schlimmer. Der Politologe Thomas König spricht die Einheitswährung von populären Vorwürfen frei.

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Jeder dritte Deutsche sehnt sich nach der D-Mark
Der Fünf-Euro-Schein zeigt Bettina von Arnim: Vor allem Menschen zwischen 40 und 49 Jahren sind skeptisch. Hier wünscht sich knapp die Hälfte der Befragten die alten Zahlungsmittel zurück. Quelle: Bundesbank
In der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen sind lediglich 16 Prozent skeptisch gegenüber dem Euro. 35 Prozent der 60-bis 69-Jährigen wünschen sich die D-Mark ebenfalls zurück. Quelle: Bundesbank
Annette von Droste-Hülshoff ziert den 20 D-Mark-Schein: Besonders Arbeiter und Hausfrauen trauern der D-Mark nach; Schüler und Studenten hingegen nur in ganz geringem Maße. Quelle: Bundesbank
"Früher war alles besser" sagen mit 37 Prozent vor allem Menschen, die mit einem Netto-Einkommen zwischen 1000 und 2000 Euro leben. Sie sind die D-Mark-Liebhaber unter den Deutschen. Quelle: Bundesbank
Unter denjenigen, die mehr als 4000 Euro im Monat verdienen, sind lediglich 21 Prozent D-Mark-Liebhaber. Sie machen sich schlicht keine Gedanken darüber. Quelle: Bundesbank
Zum Thema Inflation: Der Aussage "Durch die Inflation werden die Sparer schleichend enteignet" stimmten lediglich 34 Prozent zu. Quelle: Bundesbank
Rund die Hälfte der 60- bis 69-jährigen Befragten stimmt der Aussage nach der Enteignung allerdings zu - das ist der höchste Wert. Lediglich 28 Prozent in den Altersklassen der 18 bis 49-Jährigen ist davon überzeugt. Quelle: Bundesbank

Angesichts wachsender Schuldenberge in den Euro-Ländern wachsen die Zweifel, ob die Währungsunion ein gelungener Reformschritt für Europa war. Die „Alternative für Deutschland“ sieht im Euro die Ursache für die Schuldenkrise. Mit der Forderung nach Auflösung des Euro-Währungsgebietes wirbt die Partei bei der kommenden Bundestagswahl um Stimmen und kann vielleicht Zünglein an der Koalitionswaage spielen.

Aber hat der Euro tatsächlich Griechenland und den Rest Europas in die Schuldenkrise getrieben? Um diese Frage zu beantworten haben mein Kollege Sebastian Köhler und ich  untersucht, wie hoch die Verschuldung der Euro-Länder heute ohne Einführung des Euro wäre. Die Modellrechnungen liefern drei überraschende Antworten:

  • Erstens wäre der Schuldenstand in den Euro-Ländern heute ohne die Einführung des Euro höher.

  • Zweitens sind hierfür die so genannten Geberländer des Nordens verantwortlich, während die Schuldenentwicklung in den Nehmerländern des Südens ohne den Euro teilweise niedriger, teilweise höher ausgefallen wäre.

  • Drittens ist nicht die Einführung des Euro schuld am griechischen Schuldenstand: Griechenland verschuldete sich bereits ab seinem EU-Beitritt im Jahr 1981 rasant.

Bevor ich diese Ergebnisse im Einzelnen erläutere, möchte ich daran erinnern, worauf sich die bislang vorherrschende Bewertung des Euro und des Schuldenstands in den Euro-Ländern stützt. Zum einen ist noch gut in Erinnerung, wie der deutsche Kanzler Gerhard Schröder und der französische Präsident Jacques Chirac den europäischen Wachstums- und Stabilitätspakt vor einigen Jahren aushebelten.

Gemeinsam brachten sie die Kommission sowie die anderen Mitgliedstaaten davon ab, ein so genanntes Defizitverfahren gegen die beiden europäischen Führungsnationen einzuleiten. Dieses Verfahren hätte laut Artikel 126 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union  im Rahmen des Wachstums- und Stabilitätspakts greifen sollen, wenn das Haushaltsdefizit eines Landes den Referenzwert von 3 Prozent seines Bruttonationaleinkommens überschreitet. 

Zum anderen scheint vielen Beobachtern der Blick auf den aktuellen Schuldenstand der Länder mit und ohne Euro auszureichen, um die höhere Überschuldung in den Euro-Ländern als Argument gegen den Euro zu werten. Griechenland liegt zurzeit bei einer Verschuldungsquote von über 150 Prozent seines Bruttonationaleinkommens, Italien über 120 und Irland über 100 Prozent, obwohl nur 60 Prozent laut Wachstums- und Stabilitätspakt erlaubt sind.

Zusammenhänge zwischen Staatsverschuldung und Euro

Nach meiner Meinung trübt eine auf diesen Aspekten beruhende Bewertung jedoch den Blick für den Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und Euro. Unbestritten hat die Aushebelung des Defizitverfahrens durch Gerhard Schröder und Jacques Chirac zu einem Glaubwürdigkeitsverlust gegenüber dem Euro geführt, der heute schmerzt. Jedoch reicht aus meiner Sicht eine punktuelle Abweichung einzelner Länder vom Drei-Prozent-Ziel nicht aus, um die generelle Wirkungskraft des Wachstums- und Stabilitätspakts in Frage zu stellen.

Ich halte es sogar für plausibel, dass das damalige Defizit unter Schröder und Chirac noch deutlich höher ausgefallen wäre, wenn es keinen entsprechenden Referenzwert gegeben hätte. Auch den Verweis auf die hohe Schuldenlast der Euro-Länder sehe ich als nicht ausreichend für eine Bewertung des Euro an. Schließlich waren die Schuldenstände der heutigen Euro-Staaten schon vor der Einführung des Euro höher als in den Nicht-Euro-Staaten. Dass der Euro wenig mit der Verfehlung der vom Wachstums- und Stabilitätspakt vorgeschriebenen 60-Prozent-Verschuldungsquote zu tun hat, zeigt schon der Umstand, dass die wenigsten Länder dieses Kriterium bei der Einführung des Euro erfüllten. Auch Deutschland, das als Vorbild für eine solide Fiskalpolitik gilt, ist nach wie vor mit fast 80 Prozent Verschuldung weit von diesem Kriterium entfernt.

Die zehn größten Euro-Lügen 2013
Francois hollande Quelle: dpa
Mario Draghi Quelle: dpa
José Manuel Barroso Quelle: REUTERS
Wolfgang Schäuble Quelle: AP
Martin Schulz Quelle: REUTERS
Antonis Samaras Quelle: dapd
Jean-Claude Juncker Quelle: dpa

Um schließlich die Bedeutung des Euro einschätzen zu können, möchte ich die Frage in den Mittelpunkt rücken, wie hoch die Verschuldung in den heutigen Euro-Ländern läge, wenn dort der Euro nicht eingeführt worden wäre. Ohne experimentelle Rahmenbedingungen fällt allerdings eine Antwort schwer. Einige bezweifeln grundsätzlich, dass man Länder und die Auswirkungen von Reformen wie der Einführung des Euro quasi im Labor betrachten könne.

Zu einzigartig erscheint die Situation in Ländern wie Griechenland, Italien oder Spanien, deren Verschuldung auf einen komplexen Mix an ökonomischen und politischen Faktoren zurückgeht. So erklären laut empirischer Forschung Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum, Steuereinnahmen in Kombination mit Föderalismus und ideologischer Ausrichtung der Regierung die Verschuldung eines Landes, die durch ein „schockartiges“ Ereignis wie das Platzen einer Spekulationsblase noch sprunghaft ansteigen kann. Diese grundsätzlichen Einwände halten aber weder Kritiker noch Befürworter davon ab, den Euro beziehungsweise seine Abschaffung für alternativlos zu halten.

Aufbau der Studie

Simulierte Entwicklung der Staatsverschuldung ohne Euro-Einführung Quelle: Reinhardt-Rogoff

Ohne ein Credo für oder wider den Euro abzugeben: Man kann die Erkenntnisse der empirischen Forschung mit experimentellen Rahmenbedingungen verbinden und damit zeigen, wie hoch der Schuldenstand in den Euro-Ländern heute ohne die Einführung des Euro wäre. Hierfür haben wir in einem ersten Schritt zwischen den Euro-Ländern einerseits und den Nicht-Euro-Ländern der OECD als Kontrollgruppe andererseits unterschieden. Überall erklärt im Prinzip derselbe komplexe Mix aus ökonomischen und politischen Faktoren die Verschuldung. Nachdem wir die Erklärungskraft dieser Faktoren in allen Ländern über einen langen Zeitraum bis zur Einführung des Euro empirisch feststellten, haben wir in einem zweiten Schritt die vermeintliche Entwicklung in den Euro-Ländern so simuliert, als hätten sie den Euro nicht eingeführt (im Schaubild: „synthetische Euro 11“).  Im dritten Schritt lassen sich die simulierten mit den tatsächlichen Schuldenständen vergleichen, um eine Aussage über den Zusammenhang zwischen Schuldenstand und Einführung des Euro zu treffen, die im Schaubild vereinfachend dargestellt wird.

Die Ergebnisse sind überraschend und widersprechen der Kritik am Euro als Verursacher eines hohen Schuldenstands in den Euro-Ländern insgesamt. Zunächst einmal macht der Grad an Übereinstimmung beider Linien deutlich, wie gut die Vorhersage für beide Ländergruppen bis zum Zeitpunkt der Einführung des Euros, also der Vorperiode bis zum Jahr 1999 ist. Anschließend zeigt der Linienverlauf, dass der heutige Schuldenstand in den simulierten Euro-Ländern ohne Euro-Einführung weitaus höher liegen würde. In Zahlen umgerechnet wären nach unserer Berechnung die Schulden der 11 Euro-Gründungsländer (inklusive Griechenland) schon bis 2011 um ca. 400 Milliarden Euro höher ausgefallen – eine Zahl, die über dem heutigen Gesamtschuldenstand Griechenlands liegt. So hat die Kontrollgruppe bestehend aus den USA, Kanada, Großbritannien, Japan, Norwegen und Island vergleichbar mehr Schulden gemacht als die Euro-Länder. Unterscheidet man in einem weiteren Schritt zwischen Geber- und Nehmerländern des europäischen Strukturfonds, dann sind vor allem die Geberländer Deutschland, Niederlande, Belgien, Frankreich, Finnland und Österreich für dieses Ergebnis verantwortlich.

Warum findet sich dieser Effekt in den Geberländern? Meine Erklärung folgt dem Beispiel Gerhard Schröders und Jacques Chiracs: Ohne Stabilitäts- und Wachstumspakt würde in diesen Ländern (noch) weniger Haushaltsdisziplin herrschen. Ein wichtiger Grund dürfte sein, dass die Regierungen in diesen Ländern eher fürchten, von ihren Wählern bestraft zu werden. Anders ausgedrückt können selbst „zahnlose“ Vereinbarungen wie der Stabilitäts- und Wachstumspakt wirken, indem sie ein Signal an den Wähler über die Performance ihrer Regierung senden. In den Nehmerländern scheint dieser Zusammenhang nur in Irland und Spanien vorzuliegen, während in Griechenland und Italien eher ein gegenteiliger Effekt zu erkennen ist.

Die großen Länder sind das Problem

Staatsverschuldung Griechenland Quelle: Reinhardt-Rogoff

Für Griechenland möchte ich mit einem einfachen Schaubild verdeutlichen, dass die griechische Verschuldung nicht erst mit der Einführung des Euro angestiegen ist. Ganz im Gegenteil; die griechische Verschuldung wuchs kontinuierlich und rasant seit dem EU-Beitritt des Landes im Jahr 1981.

Diese Entwicklung setzte allerdings auf der Zielgeraden zur Einführung des Euro aus und stieg erst wieder mit der Wirtschaftskrise im Jahr 2006/7 an. Insofern stoppte die Einführung des Euro den griechischen Schuldenverlauf über einen Zeitraum von etwa 10 Jahren. Mittlerweile stehen Griechenland, aber auch Irland und Portugal unter Aufsicht der Troika, während sich große Nehmerländer wie Italien und Spanien erfolgreich gegen diese Kontrolle wehren. Die europäische Zentralbank kam Italien sogar mit ihrer Entscheidung zu Hilfe, Staatsanleihen unbegrenzt aufkaufen zu wollen.

Das wirft eine bisher vernachlässigte Frage auf: Sind weniger die kleinen als vielmehr die großen Länder das eigentliche Problem des Euro? Offensichtlich kommen kleine Länder unter das Diktat der Troika, während sich die größeren Länder diesem entziehen. Gleichzeitig übertrifft das Schuldenvolumen größerer Länder das der kleinen um ein Vielfaches, das Deutschland mit einem eheblichen Anteil absichert.

Anstatt also den Austritt Griechenlands zu propagieren, wäre die Forderung nach dem Austritt Italiens, Spaniens und vielleicht sogar Frankreichs aus dem Euro oder sogar der EU konsequent. Das hat die „Alternative für Deutschland“ im bisherigen Wahlkampf vielleicht lediglich aus wahltaktischen Gründen vermieden. Zwar steigt das Unbehagen über die Absicherung des Euro, aber selbst dem eurokritischen Wähler würde eine Austrittsforderung gegenüber Gründungsmitgliedern der EU wohl zu weit gehen. Aussichtsreicher erscheinen aus meiner Sicht deshalb die Versuche, den Wirtschafts- und Stabilitätspakt zu reformieren. 

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