Schuldenkrise Europas Sparern droht eine kalte Enteignung

Die Verbindlichkeiten der USA und Europas haben ein Ausmaß angenommen, das durch Sparen und Wachstum nicht mehr zu beherrschen ist. Was bleibt, ist der Zugriff auf die Konten der Sparer durch Regulierung, niedrige Zinsen und Inflation.

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Kampf gegen die Staatsschulden
Winston Churchill Quelle: dpa
Diagramm: Fisikalische Repression Großbritannien
Harry S. Truman Quelle: AP
Diagramm: Fisikalische Reperssion USA
Angela Merkel Quelle: dpa
Deutschland 1950-2050...um den wachsenden Schuldenberg zeitnah abzutragen.

Paul Krugman, 58-jähriger US-Starökonom und Nobelpreisträger, gibt sich modern: Er pflegt eine Facebook-Fanseite, bloggt regelmäßig bei Twitter und im Online-Portal der „New York Times“. Da überrascht eine Eigenschaft, die man eher von Ewiggestrigen kennt. Er redet sich die Vergangenheit schön: „Das Amerika der Nachkriegszeit war enorm erfolgreich. Warum denken wir so schlecht darüber?“

Das Amerika der Nachkriegszeit – das war vor allem die Zeit eines gewaltigen Booms, der dem zeitgleichen westdeutschen Wirtschaftswunder kaum nachstand: Von 1946 bis 1973 wuchs die Wirtschaft der USA jährlich um durchschnittlich 3,8 Prozent, die steigenden Einkommen ermöglichten vor allem der amerikanischen Mittelschicht einen wirtschaftlichen Aufstieg wie niemals zuvor oder danach: Eigenheime und Autos, Farbfernseher und elektrische Küchengeräte wurden zu Selbstverständlichkeiten des amerikanischen Traums. So weit klingt Krugmans Bemerkung plausibel.

Wie von Zauberhand

Doch da gab es noch ein anderes Phänomen. Das hängt mit der US-Staatsverschuldung zusammen, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf erschreckende 116 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) gestiegen war. Ohne Zweifel haben die Jahre des starken Wachstums Amerika dabei geholfen, diesen gigantischen Schuldenberg abzutragen. Doch die amerikanischen Ökonominnen Carmen Reinhart vom Peterson Institute for International Economics und Belen Sbrancia von der University of Maryland haben noch eine andere Erklärung für die wundersame Gesundung der Staatsfinanzen gefunden: die systematische Enteignung der Sparer durch den Staat.

Dazu kommt es, wenn die Zinsen, zu denen sich der Staat von seinen Bürgern Geld leiht, niedriger sind als die Inflation. Ökonomen sprechen dann von einem negativen Realzins. Den Prozess der Enteignung nennen sie finanzielle Repression. Die Amerikaner der Nachkriegszeit wähnten sich so glücklich, dass es ihnen gar nicht auffiel, dass ihr gespartes Vermögen real an Wert verlor. Es ging ihnen wie dem Helden im Märchen „Hans im Glück“ der Gebrüder Grimm: Mit jedem neuen Tausch ist Hans hochzufrieden, ohne zu merken, dass aus einem Goldklumpen am Ende zwei Steine geworden sind. Tatsächlich reduzierte die finanzielle Repression den Schuldenstand in den USA – ebenso wie zur gleichen Zeit in Großbritannien – um drei bis vier Prozent des BIPs pro Jahr.

Teure Rettung

Wolfgang Schäuble Quelle: dapd

Eine ähnlich kalte Enteignung könnte den Sparern der USA und Europas auch jetzt wieder bevorstehen. Trotz Jahrzehnten des Friedens, haben die Schulden vieler Industriestaaten erneut eine Dimension wie zu Kriegszeiten erreicht. Während die Wirtschaftsleistung dieser Länder seit 1991 um 65 Prozent gestiegen ist, legten die Schulden fast dreimal so schnell um 183 Prozent zu. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Um 300 Milliarden Euro werden sich allein die Euro-Länder im laufenden Jahr zusätzlich verschulden. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Weil die Regierungen ständig auslaufende Schuldtitel zurückzahlen und diese durch neue ersetzen müssen, erhöht sich der tatsächliche Refinanzierungsbedarf auf ein Vielfaches.

Selbst der Euro-Zuchtmeister Deutschland ist kein Ausbund an Solidität. Zum Jahresende ist die Staatsschuld auf 80,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Auf jeden Bürger entfallen 25 682 Euro staatliche Schulden. 2012 wird Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) etwa 35 Milliarden Euro neu aufnehmen müssen. Das ist fast doppelt so viel wie 2011 und deutlich mehr als die ursprünglich angepeilten 26,1 Milliarden Euro. Der Grund: Der europäische Rettungsschirm ESM wurde vorgezogen, und nach jüngsten Planungen sollen zudem gleich zwei Jahresraten – das sind 8,6 Milliarden Euro – nach Luxemburg überwiesen werden. Die Rettung Europas ist teuer.

Ausweg Enteignung

Inzwischen hat das endlose Wachstum der Staatsschulden die Toleranzgrenze der Investoren überschritten. Die Märkte glauben nicht mehr daran, dass die Verbindlichkeiten einiger Länder problemlos bedient werden – und sie haben einen prominenten Zeugen. Der Ökonom Kenneth Rogoff hat gemeinsam mit Reinhart festgestellt, dass ab einem Staatsschuldenstand von 90 Prozent der Wirtschaftsleistung das Wachstum des betreffenden Landes so sehr gedrückt wird, dass die Refinanzierung problematisch wird. Deswegen müssen sich nun alle entschulden, angefangen bei der Weltmacht USA, die mit 15 Billionen Dollar oder 101 Prozent vom BIP in der Kreide steht und seit 1962 bereits 75-mal die Obergrenze ihrer zulässigen Verschuldung erhöht hat.

Diagramm: Staat prellt Gläubiger Quelle: Reinhart, Sbrancia

Nur wie? „Langfristig läuft alles auf Einbußen in den Realvermögen der Steuerzahler hinaus“, sagt Stefan Homburg, Finanzwissenschaftler von der Universität Hannover. Das sei für die Politiker leichter durchsetzbar als strikte Sparpläne. Hinzu kommt: Die Sanierung der Staatsfinanzen hat Grenzen. Das zeigt eindrucksvoll das Beispiel Griechenland. Als Folge von Lohn- und Rentenkürzungen, Entlassungen und Steuererhöhungen schrumpfte die Wirtschaft des noch immer von der Staatspleite bedrohten Landes zuletzt um mehr als fünf Prozent. Werden die Sparprogramme verstärkt, steuern die Hellenen auf das vierte Rezessionsjahr in Folge zu. Ähnlich restriktiv wirken die Sparprogramme in Italien, Spanien und Portugal. „Wir brauchen definitiv eine Entschuldung. Das kann sanft über niedrige Zinsen und eine höhere Inflationsrate geschehen“, sagt Alexander Krüger, Chefvolkswirt beim Bankhaus Lampe. Vieles spricht dafür, dass sich die Staaten in den nächsten Jahren für eine Kombination aus finanzieller Repression und Inflation entscheiden.

Notenbanken helfen

EZB Quelle: dapd

„Der Effekt ist der gleiche wie bei einem Schuldenschnitt, nur dass es keine Panik auf den Märkten gibt“, sagt Homburg. Über mehrere Dekaden schmilzt das Vermögen unbemerkt dahin. Es schmerzt nicht so sehr, weil es langsam und geräuschlos geht. Tatsächlich haben die US-Ökonominnen Reinhart und Sbrancia in ihrer Analyse der Entschuldungsmechanismen der Industrie- und Entwicklungsländer im 20. Jahrhundert herausgefunden, dass der Realzins in den Industrieländern in der Hälfte der Jahre zwischen 1945 und 1980 negativ war. Im Schnitt lag er bei minus 1,6 Prozent.

Die den Staat entlastende Wirkung der Zinsmanipulation nimmt noch zu, wenn man sie mit etwas Inflation hebelt. Normalerweise steigt der Nominalzins mit der Inflation, da die Anleger einen Ausgleich für die Geldentwertung fordern, und der Realzins bleibt so konstant. Doch dank staatlich verfügter Zinsobergrenzen und Regulierungen des Anlageverhaltens blieb er in der Vergangenheit konstant. So lag 1981 in den USA die Inflation bei 8,9 Prozent, der regulierte Sparzins dagegen nur bei fünf Prozent und der regulierte Sichteinlagenzins sogar bei null Prozent.

Diagramm: Billig wie nie Quelle: Finanzagentur

Auch heute greift der Staat zu Repressionsmaßnahmen. Allerdings agiert er diskreter als früher. So gibt es Gesetze, die Pensionsfonds und Versicherungen dazu veranlassen, bestimmte Teile ihrer Anlegergelder in Staatspapiere zu investieren. Auch die Zentralbanken spielen am Markt für Staatsanleihen eine immer wichtigere Rolle. In der aktuellen Krise hat allein die EZB seit Mai 2010 für 211 Milliarden Euro Anleihen gekauft und damit für Länder wie Italien, Spanien und Portugal die Zinsen deutlich gedrückt. Aber auch die noch umfangreichen Anleihekäufe der Federal Reserve und Bank of England drücken die Renditen der betreffenden Staatspapiere.

In der Kritik stehen auch die Basel-II-Vorschriften, nach denen die Banken für Staatsanleihen kein Eigenkapital vorhalten müssen, für Unternehmensanleihen aber sehr wohl. „Nach der Erfahrung mit Griechenland halte ich das für absurd“, sagt der Finanzmarktexperte Martin Hellwig. Trotzdem bleibt dieses Refinanzierungsprivileg des Staates nicht nur erhalten, es wird durch die neuen Liquiditätsvorschriften in Basel III sogar noch ausgeweitet. Dafür sorgten nicht die Regulierungsexperten in Basel, sondern die europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel.

Die Staaten brauchen höhere Inflation

Euromünze auf einer Dollar-Note Quelle: REUTERS

Auch hinter den Kulissen wird ordentlich Druck ausgeübt. Erst in der vergangenen Woche machten Meldungen die Runde, die italienische Regierung dränge die Banken des Landes dazu, Staatsanleihen zu kaufen, und drohe, ansonsten die Anforderungen der Stresstests zu erhöhen und mehr Institute durchfallen zu lassen.

Damit es mit der Entschuldung noch besser klappt, brauchen die Staaten höhere Inflation. Ökonomen gehen davon aus, dass die Teuerung im Euro-Raum aufgrund der Geldflut der EZB im nächsten Aufschwung deutlich steigen wird. Die Bank of England (BoE) und die amerikanische Zentralbank Fed tolerieren schon jetzt eine deutlich höhere Inflationsrate. In Großbritannien liegt diese bei vier, in den USA bei drei Prozent. Gleichzeitig liegt hier der Leitzins bei 0,5 beziehungsweise 0 bis 0,25 Prozent. Damit sind die Realzinsen in diesen Ländern deutlich negativ. Mohamed El-Erian, Investmentchef vom weltgrößten Rentenfondsmanager Pimco, resümiert: „Wir leben in einer Welt, in der viele Nationen, insbesondere die USA, versuchen durch milde Inflation und Repression ihre Schulden abzubauen.“

Realzins liegt bei minus 0,25 Prozent

Deutschland macht da keine Ausnahme: Die Verzinsung zehnjähriger Staatspapiere liegt unter zwei Prozent, während die Inflationsrate zuletzt mit 2,3 Prozent deutlich darüber liegt. Im Schnitt liegt der Realzins bei etwa minus 0,25 Prozent, was für einen Investor, der eine halbe Million Euro angelegt hat, jährlich einen Verlust von 1250 Euro bedeutet.

Doch ohne eine erhöhte Inflation und finanzielle Repression kann die Entschuldung Deutschlands nicht funktionieren. Dies zeigt eine Rechnung, die Andreas Rees, Chefvolkswirt bei der UniCredit, exklusiv für die WirtschaftsWoche angestellt hat. Unter der Annahme, dass die Zinsen durchschnittlich bei 2,5 bis 3,0 Prozent liegen und die deutsche Wirtschaft um 1,5 Prozent wächst, würde bei einer Inflationsrate von 1,5 Prozent der deutsche Staat – trotz Einhaltung der Schuldenbremse – 40 Jahre brauchen, um den aktuellen Schuldenstand auf 31 Prozent zu senken. Das ist deutlich zu lange. Die Enteignung des deutschen Steuerzahlers ist daher unvermeidbar.

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