Schuldenkrise Irland setzt auf seine Bauern

Der Inselstaat entscheidet heute per Referendum über den Fiskalpakt. Für die Zukunft setzen die Iren auf eine traditionelle Stärke: die Landwirtschaft. Können ausgerechnet die Bauern das Land wieder nach oben bringen?

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Der irische Landwirt Kevin Kiersey hält 200 Milchkühe Quelle: Michael O'Toole für WirtschaftsWoche

Richard Dollard errötet vor Stolz. Der 24-Jährige ist soeben zum besten Agrarwissenschafts-Studenten Irlands gekürt worden. „Ich sehe eine künftige Führungskraft“, sagt Landwirtschaftsminister Simon Coveney und überreicht dem jungen Mann schwungvoll eine Urkunde. Auch die anderen Jungbauern, die zur Preisverleihung nach Dublin gekommen sind, lobt der Minister: „Ihr werdet ein Motor für das künftige Wachstum unseres Landes sein!“ Coveneys Zukunftsvision: ein Agrarsektor mit High-Tech-Farmen und gut ausgebildeten Landwirten, die Produkte an eine moderne Nahrungsmittelindustrie liefern.

Attraktives Bauernleben

Tatsächlich gehören Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie, die während der stürmischen Wachstumsjahre des keltischen Tigers ins Abseits gerieten, plötzlich zu den Wirtschaftssektoren, die Irland aus der Krise führen sollen. Die Regierung glaubt, sich beim Aufbau eines nachhaltigen Wirtschaftsmodells nicht allein auf ausländische Pharma-, Technologie- und Internet-Konzerne stützen zu können, die das kleine Land an der Peripherie Europas mit seiner nur 12,5-prozentigen Körperschaftsteuer gerne als Brückenkopf in die EU nutzen. Auf die Finanzwirtschaft mag in Irland erst recht keiner mehr bauen.

In den vergangenen Jahren trug die Landwirtschaft gerade mal ein Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, lediglich 4,4 Prozent der Erwerbstätigen waren dort beschäftigt. Die Durchschnittsgröße der landwirtschaftlichen Betriebe liegt aktuell nur bei 32,7 Hektar, die meisten sind Familienunternehmen. Die Zahl der Höfe hat sich seit 1990 nahezu halbiert – auf rund 128.000.

Doch seitdem sich Irland nach dem Platzen der Immobilienblase und einem Bankencrash als erstes Land unter den EU-Rettungsschirm flüchten musste und die Arbeitslosenquote auf rund 14 Prozent hochschoss, ist es wieder attraktiv, Bauer zu werden. Die Ausbildungskurse für angehende Landwirte sind überlaufen, junge Leute, die früher in gut bezahlte Jobs in der Bauwirtschaft drängten, satteln um. „Die Zahl unser Studenten ist um 100 Prozent gestiegen, wir haben keine Kapazitäten mehr“, sagt Paddy Brown, der bei Teagasc, einem Beratungs- und Ausbildungsdienstleister für Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie, den Bildungsbereich leitet.

Rekordwert bei Agrarexporten

Schon jetzt gehen 85 Prozent aller irischen Agrarprodukte ins Ausland. 2011 stiegen die Agrarexporte auf einen Rekordwert von 8,5 Milliarden Euro, rund 60 Prozent davon entfallen auf Rindfleisch und Milchprodukte. Irland ist der größte Rindfleischexporteur Europas und der viertgrößte weltweit.

Jeder fünfte Hamburger bei McDonald’s in Europa wird aus irischem Rindfleisch hergestellt. „Lange Jahre lang galt Irland als billiger Zulieferer für die Supermärkte Europas“, sagt Teagasc-Experte Tom Kelly. Nun will sich die Grüne Insel stärker als bisher als Lieferant qualitativ hochwertiger und damit teurer Lebensmittel etablieren. Ziel ist der vermehrter Export verarbeiteter Nahrungsgüter.

Unter dem Titel „Harvest 2020“ (Ernte 2020) hat die Regierung nun eine Wachstumsoffensive für die Landwirtschaft gestartet. Ziel ist es, die Agrarexporte in den nächsten acht Jahren von heute rund 8,5 Milliarden auf 12,0 Milliarden Euro zu steigern. Dafür müsste allein die irische Milchproduktion im Vergleich zu 2009 um 50 Prozent steigen – von 5,0 Milliarden auf 7,5 Milliarden Liter pro Jahr. Da kommt es den Iren mehr als gelegen, dass die EU-Milchquote, die den Landwirten Produktionsbeschränkungen auferlegt, 2015 fallen soll.

Neue Absatzmärkte für Irlands Agrarexpansion

Wachstumsstrategien für Europa
François Hollandes Mission lässt sich auf einen kurzen Nenner bringen: Wachstum. Der neue französische Präsident hat sich zum Ziel gesetzt, Europa die seiner Meinung nach einseitige Ausrichtung auf die Sanierung der Staatsfinanzen auszutreiben und den Kontinent damit aus der Wirtschaftskrise zu führen. Das Thema ist keine Erfindung Hollandes - die EU-Regierungschefs haben sich immer wieder damit beschäftigt, wie der Kontinent Rezession und Arbeitslosigkeit entrinnen kann. Aber die Debatte um die richtige Strategie erhält durch die Wahl des Sozialisten eine ganz neue Dynamik. Quelle: dpa
Die Leitfrage dabei lautet: Wie lässt sich die Wirtschaft ankurbeln, ohne dafür viel Geld in die Hand zu nehmen? Schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme gelten nicht als Option - schließlich sind die Staatskassen leer. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso propagiert daher, "auf wachstumsfreundliche Art und Weise zu sparen". Nach Ansicht vieler Ökonomen lässt sich die Konjunktur nur dann ankurbeln, wenn Wirtschafts- und Finanzpolitiker sowie Notenbanker einige bislang als unantastbar geltende Prinzipien aufgeben. Quelle: dpa
1. Weniger SparenDie heftigen Sparprogramme in Griechenland, Spanien, Italien und Co. sind nach ihrer Einschätzung Teil des Problems, nicht Teil der Lösung: „Der derzeitige Austeritätskurs ist zu hart“, sagt der Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn. Die Sparziele sollten auf vier bis fünf Jahre gestreckt werden. Ähnlich argumentiert Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank: „Wer Wachstum will, darf die Austeritätspolitik in den Krisenländern nicht übertreiben.“ Quelle: dapd
Barroso setzt dabei unter anderem auf die von ihm vorgeschlagenen Projektbonds. Damit will die EU-Kommission dieses und nächstes Jahr private Investitionen in Höhe von 4,5 Milliarden Euro in Infrastrukturprojekte in den Bereichen Verkehr und Energie anstoßen. Die EU selbst soll die privaten Investitionen mit 230 Millionen Euro ins Rollen bringen. Quelle: dapd
2. Unkonventionelle GeldpolitikDie Europäische Zentralbank kann nach Auffassung von Ökonomen mehr für das Wachstum tun. Die EZB sei deutlich restriktiver als die Notenbanken in vielen anderen Industrieländern, betont etwa Patrick Artus, Chefvolkswirt der französischen Investmentbank Natixis. So seien die kurz- und langfristigen Zinsen nach Abzug der Inflationsrate deutlich höher als in den USA oder Großbritannien. Um Abhilfe zu schaffen, könnte die EZB die Leitzinsen von derzeit einem Prozent auf die Untergrenze von null senken - so, wie es die Zentralbanken in den USA und in Großbritannien schon vor mehreren Jahren getan haben. Quelle: dpa
Noch wichtiger ist nach Ansicht vieler Beobachter aber, dass die EZB die Panik auf dem Markt für Staatsanleihen bekämpft - indem sie signalisiert, dass sie im äußersten Notfall als Käufer agiert. Europas Kernproblem sei die Gefahr, dass die kleineren Länder größere Staaten wie Italien anstecken, so Schmieding. „Das Risiko einer Finanzmarktpanik könnte die EZB mit solch einer Ankündigung in den Griff bekommen“, glaubt der Volkswirt. An den Finanzmärkten würden die Risikoaufschläge sinken, Staaten wie Unternehmen könnten sich leichter refinanzieren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werde die EZB eine solche Ankündigung gar nicht einlösen müssen, sagt IMK-Chef Horn: „Das ist wie im Kalten Krieg: Da hat es gereicht, seine Atomwaffen zu zeigen.“ Quelle: Reuters
3. Sanierung der BankenEin stabiles, funktionierendes Bankensystem ist Grundvoraussetzung für eine prosperierende Volkswirtschaft - viele Geldinstitute in der Euro-Zone gehen aber nach wie vor am Stock und zaudern bei der Vergabe von Krediten. „Wir brauchen dringend eine Sanierung und Rekapitalisierung der Banken“, betont Oxford-Professor Clemens Fuest. „So kann die Politik einen katastrophalen Absturz der europäischen Wirtschaft verhindern.“ Zudem brauche die Währungsunion eine einheitliche Bankenaufsicht und Regeln dafür, wie in Schieflage geratene Banken saniert werden. Quelle: Reuters

Irland setzt bei seiner Agrarexpansion aber auch auf neue Märkte in den Schwellenländern und in Afrika. Der Irish Dairy Board (IDB), die Vermarktungsorganisation irischer Molkereigenossenschaften und Molkereien, hat bereits Auslandsbüros in Peking und Shanghai eröffnet. Als der stellvertretende chinesische Staatspräsident Xi Jinping im Februar drei Tage nach Irland kam, besuchte er einen Bauernhof, wo ein neugeborenes Kalb nach ihm benannt wurde. Im April bereiste Landwirtschaftsminister Coveney mit einer Delegation von Agrarunternehmern die Volksrepublik auf der Suche nach künftigen Großkunden.

Auch in Afrika sucht Irland nach neuen Absatzmärkten. Die Regierung stellt zwei Millionen Euro für einen afrikanischen Agrarfonds zur Verfügung, der Partnerschaften mitfördern soll. „Irlands Lebensmittelunternehmen sind gut positioniert, um beim zunehmenden Nahrungsmittelbedarf des Schwarzen Kontinents eine führende Rolle zu spielen“, sagt Außenminister Eamon Gilmore.

Marktführer Kerrygold

Eine Schlüsselrolle spielt dabei die irische Marke Kerrygold. Unter diesem Label vertreibt der IDB irische Milchprodukte weltweit. Kerrygold-Produkte gibt es mittlerweile in 14 afrikanischen Staaten, insgesamt verkauft Kerrygold Butter, Käse und Milchpulver in mehr als 60 Länder. In Deutschland ist die Marke mit einem wertmäßigen Anteil von 14,1 Prozent bei Butter sogar der Marktführer. 2011 stieg der Absatz von Kerrygold-Produkten in Deutschland um fast 20 Prozent auf mehr als 150 Millionen Euro. Das Besondere an der irischen Butter ist deren gelbe Färbung, die daraus resultiert, dass irische Kühe überwiegend frisches Gras fressen, das mehr Carotin enthält als das Kraftfutter, das Stallkühe erhalten.

Vorsichtiges Abwarten

Doch taugt die Agrarwirtschaft wirklich als Wachstumstreiber? Wenn das klappen soll, braucht die Regierung viele Leute wie Kevin Kiersey. Der Landwirt beackert im Landkreis Waterford mit seinem Bruder John einen Hof, der mit 250 Hektar Fläche zu den größeren des Landes zählt. Die Kierseys halten 200 Milchkühe, John hat das Haus der Eltern übernommen, Kevin ein schmuckes Eigenheim gebaut, er fährt BMW. Als Vorsitzender des Milchausschusses im irischen Bauernverband wird er nach dem geplanten Wegfall der EU-Milchquoten im Jahr 2015 eine Schlüsselstellung bei der angepeilten 50-prozentigen Erhöhung des irischen Milchproduktion einnehmen. „Für diesen Anstieg dürften Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro erforderlich sein“, sagt er – durchaus sorgenvoll.

Denn ob es tatsächlich zur offiziell gewünschten Expansion kommt, hängt auch davon ab, ob die klammen irischen Banken genügend Kredite an die Bauern vergeben. Auch wollen viele Landwirte erst einmal abwarten, wie sich die Preise entwickeln, bevor sie sich mehr Land und Kühe anschaffen, zusätzliche Ställe bauen und Geräte kaufen. „Die Milchquoten bestehen schon seit 1984, die Mentalität einer ganzen Generation von Bauern ist von den Quoten geprägt“, sagt Kiersey. Auf seinem Hof kann er derzeit 5000 Hektoliter im Jahr erzeugen, möglich wären ohne große Investitionen 6500 Hektoliter im Jahr. Er will nun zunächst abwarten, welche zusätzlichen Mengen seine Molkereigenossenschaft überhaupt abnehmen kann – sie hat signalisiert, dass bis 2020 maximal ein Plus von 40 Prozent möglich sei.

Wichtiger noch dürfte sein, dass er sich mit seinem Bruder John einigt, der einer Expansion skeptisch gegenübersteht. „Stellen Sie sich vor, wenn wir 600 Kühe hätten – der Charakter unseres Hofes wäre dann ein ganz anderer.“ Er warnt vor tief greifenden Veränderungen in Irland, wenn die Quoten fallen. „Ich fürchte, dass dann viele landwirtschaftliche Großbetriebe versuchen, Land aufzukaufen.“

Den Preis des Wachstums würden am Ende die Kleinbauern zahlen.

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