Schuldenkrise Zeugnistag für Europas Pleitekandidaten

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Italien und Frankreich vor dem Absturz?

Italiens größte Steuer-Eskapaden
Busfahrer in PalermoDie Hauptstadt der Autonomen Region Sizilien plante 2011 eine Serviceoffensive. 110 neue Busfahrer wurden eingestellt. Das Problem: Nicht einer von ihnen hatte einen Busführerschein. Die Stadt sprang ein und spendierte die Ausbildung. Als die Fahrer bereit waren, stellte die Stadt fest, dass es weder genug Busse, noch genug Busrouten für die ganzen Fahrer gab. Die Hälfte der neuen Angestellten sitzt nun in der Verwaltung. Einen Führerschein brauchen sie da nicht. Quelle: AP
Milch von PhantomkühenIn Italien wurde über Jahre die Milch von 300.000 Kühen verkauft, obwohl sie uralt – oder längst tot sind. In der Regel werden Kühe aussortiert und geschlachtet, wenn sie etwa acht Jahre alt sind. Sie geben dann kaum noch Milch, und viel älter würden sie ohnehin nicht. Anders in Italien. Dort stehen nach offiziellen Angaben etwa 300.000 Kühe in den Ställen und werden gemolken, berichtete der „Spiegel“. Manche müssten demnach auch mit 83 Jahren noch Milch wie zu ihren besten Zeiten produzieren. Klarer Fall von Betrug. 1,2 Milliarden Liter Milch kamen zusammen, von denen bislang niemand weiß, woher sie stammen. Den Schaden hat der Steuerzahler: Weil die nach Brüssel gemeldeten Milchmengen von italienischen Kühen regelmäßig die dem Land zugeteilte Gesamtquote überschritten, musste Rom deftige Strafen zahlen. Über die Jahre summierten sich diese angeblich auf rund vier Milliarden Euro. Quelle: dpa
Brücke nach SizilienTrotz aller Haushaltsprobleme fehlt es der Politik nicht an Visionen. Silvio Berlusconi setzt sich seit 2005 für den Bau einer Brücke über die Straße von Messina ein. Kostenpunkt: 3,9 Milliarden Euro. Mehrere regionale Politiker, aber auch die Regierung Romano Prodis, stuften das Projekt als unsinnig und umweltschädigend ein und ließen es ruhen. Berlusconi, der 2008 wieder ins Amt stürmte, nahm zurück an der Macht das Projekt wieder auf. Der Kostenplan sah inzwischen Investitionen von fast 8,5 Milliarden Euro vor. Das war Nachfolger Mario Monti zu viel. Er wollte auf den Brückenbau verzichten, fasste aber keinen Beschluss zum Baustopp, weil ansonsten eine Konventionalstrafe in Höhe von 300 Millionen Euro fällig geworden wäre. Nun soll ein chinesischer Investor das Projekt weiterführen. Quelle: dpa
Autobahn A3400 Millionen Euro an EU-Fördergelder flossen bereits in den Ausbau und die Verbesserung der Autobahn 3 in Süditalien, von Neapel nach Reggio Calabria. Wofür das Geld verwendet wurde, weiß keiner. Fest steht nur: Die Autobahn befindet sich in einem desolaten Zustand. Schlaglöcher, fehlende Fahrbahnmarkierungen und unbeleuchtete Tunnel: zeitweise durfte auf einigen Abschnitten nur mit maximal 40 Stundenkilometer über die Autobahn gefahren werden. Quelle: AP
Kirchenimmobilie in Italien Quelle: dpa
Rote Ferraris in einer Reihe Quelle: rtr
Satellitenaufnahme vom Oktoberfest Quelle: dpa

Bislang haben es Italien, Slowenien und Frankreich geschafft, sich mit eigenen Kräften gegen die Krise zu stemmen. Doch zum Jahresende 2012 stehen alle drei genannten Länder mit dem Rücken zur Wand. Wie haben sich die Länder im ablaufenden Jahr geschlagen – und droht die Flucht unter den Rettungsschirm?

Italien

Mario Monti hat Italien auf den rechten Weg gebracht. Ab 2014 soll eine Schuldenbremse ausgeglichene Haushalte garantieren, die Mehrwertsteuer wurde angehoben, Steuererleichterungen abgeschafft. Eine Reichen- und Immobiliensteuer soll zehn Milliarden Euro in die Kasse spülen, Privatisierungen weitere 15 Milliarden Euro. 

Auch das Renteneintrittsalter wurde angehoben, der Kündigungsschutz wurde gelockert. Der Lohn der Bemühungen: Das Geld kommt zurück ins Land. Zwischen Juli und September wurden im Schnitt 11,5 Milliarden Euro pro Monat ins Land gebracht. In der Folge mussten sich Italiens Banken weniger Geld bei der Europäischen Zentralbank leihen.

Italiens Abschlusszeugnis 2012

Doch Mitte Dezember der Schock: Mario Monti tritt nach Querelen mit den italienischen Parteien, die ihn dulden noch in diesem Jahr zurück. Noch im Februar soll neu gewählt werden, Silvio Berlusconi, der das Land kaputt wirtschaftete, arbeitet an seinem Comeback. Die Märkte reagierten besorgt, die Renditen für italienische Anleihen schossen in die Höhe, die EU warnt, Italien dürfe sein Reformweg nicht verlassen.

Frankreich

Moody’s entzog Frankreich Ende November sein „AAA“-Rating. Überraschend ist das nicht: Das Land ignoriert die Herausforderungen der Globalisierung, ifo-Präsident Hans-Werner Sinn ist sich sicher: „Kein Land in Europa ist dem Sozialismus näher als Frankreich.“

Frankreichs Staatsverschuldung liegt inzwischen bei über 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – Tendenz steigend. Über drei Millionen Franzosen sind inzwischen arbeitslos, das sind mehr als zehn Prozent aller Bürger im erwerbsfähigen Alter. Bei den Jung-Erwachsenen ist gar jeder vierte ohne Job. Noch wächst die französische Volkswirtschaft minimal, doch schon im neuen Jahr könnte damit Schluss sein. Glaubt man den Prognosen, steuert das Land geradewegs auf eine Rezession zu.

Frankreichs Abschlusszeugnis 2012

Die Gründe sind vielfältig: Während das Land zum Zeitpunkt der Euro-Einführung 1999 bei den Lohnstückkosten noch hinter Deutschland lag, ist es nun fast 25 Prozent teurer als der große Nachbar im Osten. Der gesetzliche Mindestlohn wurde kontinuierlich angehoben, auf derzeit 9,19 Euro pro Stunde oder 1.400 Euro im Monat. Mit den Sätzen liegt Frankreich im weltweiten Vergleich im Spitzenfeld.

Das üppige französische Sozialsystem oder der Arbeitsmarkt, auf dem beinharter Kündigungsschutz, 35-Stunden-Woche und bis zu neun Wochen Urlaub regieren, sind für Hollande heilige Kühe. Trotzdem haben sich seine Wähler von ihm abgewandt. Umfragen sehen große Gewinne für die extremen Parteien am linken und rechten Rand.

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