Wie viele Schulden darf ein Staat jährlich neu aufnehmen? Darf das Staatsdefizit bei 8,5 Prozent liegen – wie im Fall Griechenland 2011 – oder bei drei Prozent, wie im Vertrag von Maastricht festgelegt? Vertreter der europäischen Staats- und Regierungschefs haben offenbar eine neue gemeinsame Antwort für sich und die Europäische Union gefunden: Das strukturelle Defizit eines Landes darf „in keinem Fall höher als 1,0 Prozent des nominalen BIP sein“. So steht es laut "Handelsblatt" im neuesten Entwurf des EU-Vertrages, über den die Staats- und Regierungschefs Europas Ende des Monats abstimmen sollen.
Um die Konjunktur anzukurbeln oder Katastrophen abzumildern, darf das Defizit demnach bis zu drei Prozent des BIP betragen, in der Regel aber nur bis zu einem Prozent. Macht ein Land mehr Schulden, sollen Strafmaßnahmen automatisch greifen. Auch wenn ein Land insgesamt mit mehr als 60 Prozent des BIP verschuldet ist, wird es zur Kasse gebeten.
Was die Euro-Krise Deutschland im Ernstfall kostet
Das Rettungspaket des Internationalen Währungsfond (IWF) hat einen Gesamtumfang von 250 Milliarden Euro.
Daran wäre Deutschland im Fall eines Ausfalls von Griechenland, Italien, Portugal und Spanien mit 15 Milliarden Euro beteiligt.
Insgesamt 80 Milliarden Euro in bar haben die beteiligten Staaten zum Euro-Rettungsschirm ESM beigesteuert.
Deutschland trägt im Fall eines Ausfalls von Griechenland, Italien, Portugal und Spanien mit 22 Milliarden Euro fast ein Drittel.
Zu den Bareinzahlungen haben die Euro-Länder Garantien in Höhe von insgesamt 620 Milliarden Euro übernommen.
Im Ernstfall müsste Deutschland die Kosten bis zu 168 Milliarden Euro mittragen.
Für die Rettung Griechenlands hat der IWF 30 Milliarden Euro bereit gestellt.
Zwei Milliarden Euro davon kommen aus Berlin.
Die Europäische Union hat für die Griechenland-Rettung ein Paket von 80 Milliarden Euro geschnürt.
Die Bundesregierung ist mit 27 Milliarden Euro beteiligt.
Die Europäische Zentralbank hat für rund 96 Milliarden Euro Staatsanleihen gefährdeter Euro-Länder erworben.
Mit 32 Milliarden Euro trägt Deutschland davon ein Drittel.
Die Target-Verbindlichkeiten Griechenlands, Portugals, Irlands und Spaniens machen mit 340 Milliarden Euro einen Großteil der Gesamtsumme aus.
Deutschlands Anteil: 113 Milliarden Euro.
Insgesamt umfassen sämtliche Rettungspakete ein Volumen von 1496 Milliarden Euro.
Im denkbar schlechtesten Fall müsste Deutschland also mit 379 Milliarden Euro tief in die Tasche greifen.
„Wir wollen deutlich machen, dass wir ein starkes, modernes und wettbewerbsfähiges Europa wollen. Jeder ist dazu bereit“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittag nach einem Treffen mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Sie sei optimistisch, dass die neuen EU-Verträge "im Januar, spätestens im März" unterzeichnet werden können." Die Verhandlungen zum Fiskalpakt kommen gut voran", erklärte Merkel ohne Details des Paktes zu nennen. "Wir müssen unsere Verpflichtungen erfüllen, die Defizite zu reduzieren", sagte auch Sarkozy, der ankündigte, dass Frankreich bessere Defizitzahlen für das Jahr 2011 vorlegen kann, als zunächst prognostiziert.
Allerdings: Die hohen Hürden, die der Gesetzesentwurf zur EU-Reform vorsieht, wird Frankreich bei Weitem nicht erfüllen. Für 2011 prognostizierte Eurostat/ die EU-Kommission, dass Paris ein Haushaltsdefizit von 5,8 Prozent aufweisen wird. Selbst wenn Frankreich, wie von Sarkozy angekündigt, bessere Zahlen verkünden kann, dürfte das Defizit noch deutlich über dem Maastricht-Grenzwert liegen - und Lichtjahre entfernt von dem Reformvorschlag von 1,0 Prozent.
Die Hürden aus der Gesetzesvorlage sind derart hoch, dass kaum ein Land der Eurozone die Kriterien in den vergangenen Jahren erfüllt hätte. Auch Deutschland nicht. 2010 lag das Haushaltssaldo des Bundes bei minus 3,3 Prozent des BIP. Im vergangenen Jahr, so Schätzungen, konnte Finanzminister Wolfgang Schäuble dank der sehr guten wirtschaftlichen Entwicklung das Defizit drücken. Es wird aber voraussichtlich zwischen 1,5 und 2 Prozent liegen – und damit über der europäischen Wunschgrenze. Die Gesamtverschuldung Deutschlands liegt derzeit gar 21,7 Prozentpunkte über der Maastricht-Grenze von 60 Prozent im Vergleich zum BIP.
Nur vier Staaten erfüllen die Kriterien
Von den 27 EU-Staaten haben laut Schätzungen von Eurostat und der Europäischen Kommission Ende 2011 nur 13 Länder die 60-Prozent-Grenze unterschritten. Gar nur vier dieser Länder können zudem ein Haushaltssaldo bis zu minus einem Prozent des BIP vorweisen: Finnland (-1,0 Prozent), Luxemburg (-0,6 Prozent), Estland (+0,8 Prozent) und Schweden (+0,9 Prozent).
Die Skepsis, sich in Haushaltsfragen von der Brüsseler Kommission hereinreden zu lassen, wird durch den neuerlichen Gesetzesentwurf weiter wachsen. Eine Zustimmung zu der Gesetzesänderung, die beim EU-Gipfel im Dezember im Grunde gebilligt wurde, wird nach der Verschärfung der Bedingungen - trotz aller Beteurungen von Angela Merkel, die Verhandlungen kämen gut voran - neu diskutiert werden müssen, Ausnahmen von der Regel werden gefordert und definiert werden.
Selbst wenn es Merkel und Sarkozy, zwei Verfechter eines drastischen Strafkatalogs, Ende des Monates beim EU-Gipfel gelänge, einen automatischen Sanktionsmechanismus in den Verträgen zu installieren, bleiben Zweifel, ob von dem hehren Ziel viel übrig bleibt. Der Umgang mit den Stabilitäts- und Wachstumskriterien aus dem Vertrag von Maastricht haben deutlich gemacht, dass sich nationale Regierungen über alle Regeln hinweg setzen, wenn es ihnen politisch opportun erscheint. Frankreich und Deutschland vorneweg.
Apropos opportun: Frankreich plant bei der umstrittenen Abgabe auf Finanzgeschäfte notfalls einen Sonderweg - auch ohne Deutschland und die anderen europäischen Partner. Das kündigte Sarkozy nach einem Gespräch mit Italiens Premier Mario Monti an. Die Finanztransaktionssteuer ist bei den Bürgern beliebt, Sarkozy hofft auf Stimmen für die im April/Mai anstehende Präsidentenwahl in Frankreich. Deutschland lehnt einen Alleingang weiter ab und pocht auf eine Einführung in allen 27 EU-Staaten. "Sollte das nicht gelingen, müssen wir überlegen, wie wir dann weitermachen", sagte Merkel. Sie halte eine Finanztransaktionssteuer für sinnvoll.
Griechenland hinkt den Erwartungen hinterher
Für Griechenland scheint – eine Änderung der EU-Verträge hin oder her – jede Rettung zu spät zu kommen. Eine Woche vor neuen Kontrollen der Troika, bestehend aus Vertretern des IWF, der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank mehren sich die Zweifel, ob die bislang geplanten Sanierungspläne im Kampf gegen die Staatspleite ausreichen. Wie der „Spiegel“ berichtet, glaubt der Internationale Währungsfonds (IWF) nicht, dass Athen auf Basis der bisherigen Pläne seine Schulden dauerhaft tragen könne.
„In den meisten Bereichen liegen die Ergebnisse hinter unseren Erwartungen zurück“, zitiert das Magazin des Chefgesandten des IWF für Griechenland, Poul Thomsen. Eigentlich sollte die griechische Wirtschaft im vergangenen Jahr nur um etwa drei Prozent schrumpfen, am Ende waren es knapp sechs Prozent. Auch 2012 dürfte es weiter abwärts gehen, zum fünften Mal in Folge.
Gelingt Athen nicht schnellstens die Trendwende, muss die Regierung um Premierminister Lucas Papademos um das Aussetzen der Milliardenhilfen bangen. Das betrifft sowohl die ursprünglich schon für Dezember geplante siebte Tranche von fünf Milliarden Euro aus dem ersten Hilfspaket, als auch das zweite Rettungspaket von 130 Milliarden Euro. "Griechenland muss seine Verpflichtungen gegenüber der Troika umsetzen", sagte Merkel. "Dazu hatte ich bereits ein Gespräch mit Athen."
Bleibt die Hilfe aus Europa aus, gäbe es für Griechenland nur zwei Auswege: Entweder verzichten die privaten Gläubiger auf mehr als die verhandelten 50 Prozent ihrer Forderungen – oder das Land muss die Eurozone verlassen und mit einer eigenen Landeswährung den Neuanfang versuchen.
Der Euro fiel aufgrund der neuerlichen Negativ-Nachrichten aus Athen am Montag zeitweise unter die Marke von 1,27 Dollar. Das ist der tiefste Stand seit September 2010.