Mit dem Jahr 2008 hört die Erfolgsgeschichte abrupt auf. Erst 1993 gegründet, hat die „Factor Banka d.d.“ rund um die Jahrtausendwende stetig Marktanteile, Umsätze und Aktionäre gewonnen. Stolz präsentiert das slowenische Institut auf seiner Internetseite die Erfolgszahlen („Historical Highlights“), meldet wie das Grundkapital mal um 441 Million Tolar (1,84 Millionen Euro), mal um 16,2 Millionen Euro gesteigert werden konnte. Doch mit dem Ausbruch der Finanzkrise endet die Auflistung der Daten. Der Grund: Danach ging es für die „Factor Banka“ steil bergab. Die Bank vergab großzügig Kredite, kaufte und finanzierte Grundstücke und Immobilien in Slowenien, im Kosovo, in Kroatien, in der Ukraine und in Bulgarien – immer in der Hoffnung, dass die Preise weiter steigen. Dass der Boom – Slowenien zählte zu den europäischen Wachstumsriesen zwischen 2000 und 2008 – irgendwann enden musste, blendeten die Banker aus.
Fünf Jahre später sitzt die „Factor Banka“ auf faulen Krediten in dreistelliger Millionenhöhe und auf Dutzenden wertlosen Grundstücken und Immobilien. Die Pleite-Bank soll nun abgewickelt werden, die Kosten trägt der Steuerzahler. Zuerst wird die slowenische Bevölkerung die Lasten tragen, sind die Fehl-Beträge durch die maroden Banken (nicht nur die „Factor Banka“, auch weitere Institute sind ins Wanken geraten) zu groß, was derzeit eine realistische Gefahr ist, muss wohl Europa mit seinen Rettungsfonds einspringen. Das Scheitern der „Factor Banka“ ist ein Musterbeispiel, wie die Banken Europas Krisenländer in die Knie gezwungen haben, wie die Geldinstitute auf Kosten der öffentlichen Hand zockten.
Klaus Schuster schnappt sich einen Ordner aus dem Umzugskarton, der vor seinem Schreibtisch steht, und blättert sich durch Verträge, die die Bank mit ihren Kunden abschloss. Der Österreicher, ehemaliger Bank-Vorstand, der 2006 ein Beratungsunternehmen in Ljubljana gründete, ist zurück in seinem alten Beruf. Seit dem 6. September ist er Vorstandsvorsitzender der „Factor Banka“, die eine Bilanzsumme von rund einer Milliarde Euro ausweist. Eingesetzt wurde er vom neuen Eigentümer der Bank, der slowenischen Nationalbank. Schusters Aufgabe: Er soll das Institut kontrolliert auflösen und den Schaden für die Steuerzahler so gut wie möglich begrenzen. In den ersten eineinhalb Wochen hat Schuster mit seinen zwei Vorstandskollegen in einem provisorischen Besprechungszimmer gearbeitet, inzwischen sind die drei Männer in die sechsstöckige Zentrale der „Factor Banka“ im Zentrum der slowenischen Hauptstadt Ljubljana gezogen. Hier wühlen sich Schuster und seine Mitstreiter durch Verträge, Dokumente und Bilanzen. Schnell wird klar: Das Trio steht vor einer Herkules-Aufgabe, denn die Zahl der faulen Kredite ist hoch und die Zeit drängt.
Die Bank hat praktisch Jedem Kredit gewährt
„Wir haben 45 Tage Zeit, einen Plan zu entwickeln, wie die Bank abgewickelt werden soll. Den stellen wir dann der Europäischen Kommission vor, die ihr Okay geben muss“, erklärt Schuster. Der Grund: Garantien in Höhe von 540 Millionen Euro, die die Bank derzeit liquide halten, kommen von der Nationalbank. Die wiederum bedient sich aus Mitteln der „Emergency Liquidity Assistance“, kurz: ELA, einer paneuropäischen Einrichtung. Banken in Belgien, Griechenland, Irland und Zypern haben ELA-Leistungen bisher in Anspruch genommen. Nun gehört auch Slowenien zu diesem wenig ruhmreichen Klub. Doch die Entscheidung der Euro-Partner, Geld abrufen zu dürfen, ist vorerst nur temporär.
„Die Lage in Slowenien ist ernst“, sagt Schuster. Nicht nur „seine“ Bank, auch die „Probanka d.d.“ wird abgewickelt. Weitere Großbanken des Landes werden derzeit unter die Lupe genommen und sollen rekapitalisiert werden. Bis zu 7,5 Milliarden Euro, mehr als ein Fünftel der Wirtschaftsleistung Sloweniens, könnten benötigt werden.
Wissenswertes über Slowenien
Das kleine Slowenien hat vier Nachbarn: Österreich, Italien, Ungarn und Kroatien. Trotz seiner relativ kleinen Staatsfläche von gut 20.000 Quadratkilometern ist es sehr vielseitig. Im Norden ist die Landschaft alpin, hier befindet sich auch der höchste Berg: der 2864 Meter hohe Triglav. Im äußersten Südwesten des Landes liegt die nur 46,6 Kilometer lange Adria-Küste.
Seit seiner Unabhängigkeit 1991 hat das Land schon sieben Premierminister verschleißt. Das ergibt eine durchschnittliche Amtszeit von 2,6 Jahren.
In Slowenien lebt eine der größten Populationen des Braunbären in Europa. Es soll zwischen 500 und 700 Exemplare geben.
Der Kampf für die Unabhängigkeit Sloweniens 1991, auch bekannt als 10-Tage-Krieg, war der erste Krieg in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Trotz der kurzen Dauer gab es 76 Opfer zu beklagen.
Die zumindest 45.000 Jahre alte und in Slowenien gefundene Neandertaler-Flöte ist eines der ältesten Musikinstrumente der Welt.
Der Speisessaal des Kohlebergwerks in Velenje, 160 Meter unter der Erdoberfläche, ist der am tiefsten gelegene Speisesaal in Europa. Der Raum ist ungefähr 15 Meter lang, dort gibt es zwölf Tische, an denen 48 Menschen essen können.
In Slowenien befindet sich der höchste Industrieschornstein Europas. Der Schornstein des Wärmekraftwerks in Trbovlje ist 362 Meter hoch. Mit der ungewöhnlichen Höhe wollte man die Luftverschmutzung in niedrigeren Luftschichten verhindern.
Der Slowene Davo Karničar ist als Erster vom höchsten Gipfel der Erde, dem Mount Everest, mit Skier hinab gefahren. Karničar war auch der erste Mensch der Welt, der alle höchsten Gipfel auf sieben Kontinenten mit Skiern bezwang.
In Maribor, der zweitgrößten Stadt Sloweniens, wächst der älteste Weinstock der Welt. Obwohl die „Alte Rebe“ über 400 Jahre alt ist, werden aus ihren Trauben alljährlich noch immer 25 Liter Wein der autochthonen Weinsorte Žametovka („Blauer Kölner“) hergestellt.
„Wir müssen die Entwicklung abwarten“, sagt Schuster. Wichtig sei, dass die Bürger die Ruhe bewahren. „Die kontrollierte Auflösung hat zur Folge, dass die Regierung für alle Einlagen zu 100 Prozent haftet. Egal, wie hoch die Sparguthaben sind.“ Alles Weitere sei Spekulation. Es gelte nun, die eigenen Hausaufgaben zu machen. Dazu gehört auch: Das Kreditvolumina drastisch runterzufahren. Bei den solventen Kunden ist das kein Problem. Die gehen freiwillig bzw. sind längst weg. „Wir haben die Bilanzsumme von über 900 Millionen Euro gleich in den ersten Tagen um einen zweistelligen Millionenbetrag reduziert“, sagt Schuster.
Weitere Millionen könne man wohl noch recht einfach drücken, doch dann werde es schwierig. Mehr möchte Schuster nicht sagen. WirtschaftsWoche Online hat mit slowenischen Journalisten, ehemaligen Mitarbeitern der „Factor Banka“ und Behördenmitarbeiter gesprochen. Was dabei zu Tage kommt, ist erschreckend.
Die Bank hat unmittelbar nach der Jahrtausendwende praktisch Jedem Kredit gewährt – und darüber hinaus einen dreistelligen Millionenbetrag in Großprojekten verzockt. „Man habe sich verkalkuliert“, räumt eine Ex-Führungskraft ein, die sich und ihre ehemaligen Chefs schützen und anonym bleiben will. Der ehemalige Mitarbeiter verrät: Rund 300 Millionen Euro, ein Drittel des gesamten Kreditportfolios, seien in Immobilienprojekten versenkt worden. Vor allem in Slowenien, in Bulgarien und im Kosovo.
Völlig utopische Verkaufspreise
80 Kilometer südwestlich der slowenischen Hauptstadt Ljubljana und nah an der italienischen Grenze liegt das kleine Örtchen Divača. 2050 Männer und 1850 Frauen leben in dem kleinen, rustikalen Städtchen, das mit den Höhlen von Škocjan das einzige slowenische Unesco-Weltkulturerbe beherbergt. Darüber hinaus gibt es eine Pfarrkirche und viele altertümliche Gebäude, zum Teil aus dem 17. Jahrhundert. In diesem Umfeld baute die „Factor Banka“ die Siedlung „Gabrovo“: 24 moderne Wohnungen mit großen Fenstern und Balkonen und roten und gelben Außenwänden. 15 Reihenhäuser komplettieren die Siedlung, in der Singles oder junge Familien auf 10 bis 115 Quadratmeter Wohnfläche perfekt wohnen könnten.
Doch die Immobilien stehen leer, das Gras vor den Wohnungen ist auf Kniehöhe gewachsen. Ein Grund: Die Zielgruppe fehlt. Das Durchschnittsalter in Divača liegt bei 43,1 Jahren, deutlich über dem Landesdurchschnitt. In der Ortschaft gibt es gerade einmal zwei Kindergärten. Es gibt mehr Über-65-Jährige in Divača als unter 14-Jährige.
Zudem spielen wirtschaftliche Gründe eine Rolle. „Die Arbeitslosigkeit in Divača liegt mit rund sieben Prozent deutlich unter dem Landesdurchschnitt von 10,7 Prozent“, sagt Bürgermeister Drago Božac stolz. Allerdings verdienen die Menschen im Südwesten deutlich weniger, als etwa in der Hauptstadt Ljubljana. Der Bruttoverdienst liegt sieben Prozent unter dem Landesdurchschnitt. Im Durchschnitt hat ein Angestellter 935,88 Euro im Monat zur Verfügung. „Die weltweite Finanzkrise und die europäische Schuldenkrise hat die Einkommen der Menschen belastet“, sagt Božac.
So korrupt ist Europa
Laut einer Befragung der Wirtschaftsberatung Ernst & Young unter Managern liegt Slowenien bei der Korruption im europäischen Vergleich ganz vorne. 96 Prozent der Befragten gaben an, dass Bestechlichkeit in ihrem Land an der Tagesordnung sei. Damit liegt Slowenien auf dem gleichen Niveau von afrikanischen Ländern wie Kenia und Nigeria.
In der Ukraine erklärten 85 Prozent der gefragten Manager und Finanzvorstände Käuflichkeit in der Wirtschaft für üblich.
Im krisengeschüttelten Griechenland, wo Steuerhinterziehung immer noch gängige Praxis ist, neigen die Manager auch zu Bestechlichkeit. 84 Prozent von ihnen antworteten auf die Frage "Sind Bestechung bzw. korrupte Methoden im Geschäftsleben hierzulande weit verbreitet?" mit Ja.
Spanien, immerhin die viertgrößte Volkswirtschaft im Euro-Raum, liegt laut Ernst & Young im Mittelfeld. Immerhin 65 Prozent der befragten Manager hielten Käuflichkeit in ihrem Land nicht für unüblich.
Das zum Teil von der Mafia beherrschte Italien liegt mit 60 Prozent ebenfalls im Mittelfeld.
Die Bundesrepublik liegt bei der Bestechlichkeit mit 30 Prozent unter dem europäischen Durchschnitt (39 Prozent).
27 Prozent der französischen Manager gaben an, dass Korruption bei ihnen im Land nicht unüblich sei.
Die skandinavischen Länder schnitten im Vergleich besser ab. Finnland und Schweden liegen bei jeweils zwölf Prozent, Norwegen bei 17.
Gewinner der Studie ist die Schweiz. Hier sind die wenigsten Manager für Geld zu kaufen. Nur zehn Prozent erklärten, dass Korruption bei ihnen im Land eine Rolle spiele.
Dennoch verlangt die „Factor Banka“ für ihre Wohnungen und Häuser satte Preise. 1.520 Euro pro Quadratmeter rufen die Slowenien für ihre Eigentumswohnungen auf, 870 Euro pro Quadratmeter für die Reihenhäuser.
„Die Bank hatte offensichtlich wenig Kenntnis über die Lage vor Ort. Man hat schlicht spekuliert, dass die Preise auf europäisches Niveau steigen werden und einfach eine Summe in den Raum geworfen“, erklärt eine slowenische Finanzjournalistin gegenüber WirtschaftsWoche Online.
Divača ist kein Einzelfall. Auch in Maribor (Slowenien) stehen Eigentumswohnungen seit Jahren erfolglos zum Verkauf. Im Kosovo hat die Bank ein Grundstück gekauft, auf den ein Einkaufszentrum und Eigentumswohnungen entstehen sollten. Das Problem: Es gab nie eine Baugenehmigung.
„Die Banker haben sich gedacht: Wenn wir das Grundstück kaufen und der Flächenentwicklungsplan geändert wird, werden wir reich“, so die slowenische Kollegin. Dass sich die Behörden querstellen könnten, wurde ausgeblendet. „Man kann das Treiben der Ex-Banker durchaus mit dem Gang ins Kasino vergleichen. Das ganze Geld wurde auf eine Karte gesetzt in der Hoffnung auf hohe Renditen. Sie haben sich verzockt. Jetzt heißt es: Oh, scheiße.“
„Das Wort Zockerei kann ich nicht bestätigen“
Und wohl auch: Her mit dem Steuergeld. Wie hoch der Schaden für die öffentliche Hand im ungünstigsten Fall sein könnte, wird erst nach Vorliegen des Restrukturierungsplans abschätzbar sein. Insgesamt jedoch sollen in den Bankbilanzen slowenischer Institute Löcher von rund 7,5 Milliarden Euro sein. Für ein Land mit zwei Millionen Einwohnern, das 2012 ein Bruttoinlandsprodukt von 35,5 Milliarden Euro vorweisen konnte, ist diese Summe kaum zu stemmen. Seit Monaten diskutieren die Euro-Finanzminister, ob Slowenien diese Last tragen kann oder ob es als sechstes Land Kredite aus dem Euro-Rettungsschirm ESM braucht. Damit würde dann die Gemeinschaft für die Banken-Rettung – nachträglich also für das Missmanagement der Ex-Vorstände von „Factor Banka“ & Co. – haften. Ist das gerecht?
„Ich weiß es nicht“, sagt Klaus Schuster, der neue Vorstandsvorsitzender der „Factor Banka“, offen. „Ich verstehe, dass der Steuerzahler Zweifel hat und es lieber sehen würde, wenn die Schuldigen oder auch die Banken-Eigner beteiligt werden würden. Auf der anderen Seite wäre bei einer Banken-Pleite alle Einlagen oberhalb von 100.000 Euro weg gewesen.“ Er verstehe seine Aufgabe so, „dass wir alles daran setzen, den Steuerzahler so wenig wie möglich zu belasten“. Ganz ohne das Geld der öffentlichen Hand werden sich die faulen Kredite aber nicht aus der Welt schaffen, gibt auch der Österreicher unumwunden zu.
„Überall dort, wo wir einen Verdacht schöpfen, die ehemaligen Entscheidungsträger der Bank hätten vorsätzliche Fehler begangen, müssen wir es der Staatsanwaltschaft und den Korruptionsbehörden melden“, unterstreicht Schuster. An einer Hexenjagd wolle er sich aber nicht beteiligen.
Ein vorsätzliches Fehlvorhalten wird den ehemaligen Entscheidern so oder so kaum nachweisbar sein. Denn klar ist auch, dass eine Bank, die eine hohe Rendite will, auch ein höheres Risiko tragen muss. Die Frage ist nur: Wo ist es noch Risiko, wo beginnt die Zockerei – dazu noch mit fremden Geld?
„Das Wort Zockerei kann ich nicht bestätigen“, sagt Klaus Schuster. Dass es zu Fehlverhalten gekommen ist, mag er nicht ausschließen. „Bisher galt allzu oft das Motto: Augen zu, alle Wünsche der Kunden und des Management finanzieren und das Beste hoffen.“ So könne es nicht weitergehen, ohne die Wirtschaft und den Staat zu ruinieren. Genau das haben Schusters Vorgänger – fahrlässig oder vorsätzlich – gemacht.