Schuldenland Deutschland "Unsere Staatsschulden werden gewaltig steigen"

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Es droht die völlige Handlungsunfähigkeit

Sie haben ein Buch mit dem provozierenden Titel geschrieben: "Vor dem dritten Staatsbankrott?" Ist es wirklich so schlimm?

Nein, wir stehen aktuell nicht vor einem Staatsbankrott. Aber wir hatten in Friedenszeiten noch nie so einen hohen Schuldenstand. Ab einer Schuldenquote von etwa 90 Prozent wird das Wirtschaftswachstum schwächer. Davon sind wir nicht mehr weit entfernt. Niemand kann momentan abschätzen, was die EU-Schuldenkrise und die Bankenkrise uns am Ende kosten werden. Die Alterung der Gesellschaft wird über den Bundeszuschuss zur Rentenversicherung – heute schon der mit Abstand größte Kostenblock im Bundeshaushalt – und die steigenden Gesundheitskosten ebenfalls die Staatsfinanzen belasten.

Hinzu kommen die Pensionsansprüche...
... als großes Problem der Länderhaushalte, genau. Das Land Hessen ist – wie die Eröffnungsbilanz gezeigt hat – trotz seiner hohen Steuerkraft völlig überschuldet, und Niedersachsen hat nur einmal in der Geschichte einen ausgeglichenen Haushalt erreicht. Das war 1947. Es droht zwar kein Staatsbankrott, aber die völlige Handlungsunfähigkeit.

Gegenwärtig bezahlt Deutschland historisch niedrige Zinsen. Wenn die Finanzmärkte nun, anfingen, Deutschland zu beargwöhnen – ab welchem Zinsniveau würde es eng für den Bund, seine Schulden zu refinanzieren?

Italien und Spanien müssen momentan zwischen sechs und sieben Prozent zahlen. Das ist über Steuern nur sehr schwierig zu erwirtschaften. Es ist langfristig verheerend, Zinsen immer nur mit neuen Schulden zu bezahlen. Das erleben wir auch in Deutschland. Wir sind trotz der niedrigen Zinsen in der Schuldenfalle: Die Schulden eröffnen schon längst keine neuen Handlungsspielräume mehr, was ja eigentlich der Sinn einer Kreditaufnahme ist. So hat der deutsche Staat von 1965 bis 2008 neue Schulden in Höhe von 1,3 Billionen Euro aufgenommen und 1,5 Billionen Euro an Zinsen gezahlt. Das ist gut für die Banken, aber schlecht für die Gesellschaft.

Welches Risiko schätzen Sie gegenwärtig höher ein? Politische Reformuntätigkeit in Deutschland, steigende Kapitalmarktzinsen oder Pleiteländer in Europa?

Kurz- und mittelfristig wird uns die EU-Schuldenkrise noch gewaltig belasten. Die Politik wird den Euro um jeden Preis verteidigen, ist aber meines Erachtens nicht bereit, den Weg einer Fiskalunion zu gehen, so dass die Staatsschuldenkrise nicht richtig gelöst werden kann. Griechenland, Spanien – und auch das Deutschland in der Weltwirtschaftskrise von 1929 – verdeutlichen, dass es Gesellschaften zerreißt, wenn man in einer akuten Krise den Haushalt sanieren will. Daher ist es wichtig, rechtzeitig eine nachhaltige Wirtschafts- und Finanzpolitik zu verfolgen.

Kommen wir aus dem Schlamassel je wieder heraus? Und wenn ja: Wie?

Die Vereinigten Staaten von Europa wären die richtige Antwort auf die Staatsschuldenkrise. Durch eine gemeinsame Steuer- und Haushaltspolitik – einschließlich des Budgetrechts für das Europäische Parlament – und durch eine europäische Bankenaufsicht könnten die Probleme, die durch die Staatsschuldenkrise offenkundig geworden ist, dauerhaft gelöst werden. Bei den deutschen und europäischen Schuldenbremsen bin ich dagegen skeptisch. Die Schuldenbremsen sorgen ja nicht automatisch für ein Ende der Schuldenwirtschaft. Bisher hat es keine juristische Regelung geschafft, die Staatsverschuldung wirkungsvoll zu begrenzen.

Was wäre stattdessen denkbar?

Sinnvoller wäre ein ökonomischer Mechanismus: die Insolvenzfähigkeit von Staaten und Gebietskörperschaften. Heute ist die Finanzierung der Ausgaben alleinige Aufgabe des Finanzministers. Die Fachressorts und die Politik wollen immer nur mehr Geld ausgeben. Wenn nun klar würde, dass die Insolvenz drohte, würde sich das Interesse an seriöser Finanzpolitik schlagartig auf sämtliche Entscheidungsträger ausdehnen. Insofern verspräche ich mir von der Insolvenzfähigkeit eine disziplinierende Wirkung.

Und wenn sich die Insolvenz eines Staates trotz aller Anstrengungen nicht mehr vermeiden ließe...

... wäre sie ein Erfolg versprechender Sanierungsansatz. Die Gläubiger müssten sich an einem Schuldenausfall beteiligen, und es könnte eine Reihe von unpopulären Maßnahmen durchgesetzt werden.

Was muss Deutschland tun, damit es keinen dritten Staatsbankrott erlebt?

Es führt kein Weg an einer nachhaltigen Finanzpolitik mit strukturell ausgeglichenen Haushalten vorbei. Manchmal scheint es so, dass wir ein skandinavisches Ausgabenniveau, aber ein angelsächsisches Steuerniveau anstreben. Das passt nicht zusammen. Stattdessen müssen die Ausgaben gedeckelt und die Steuern erhöht werden. Wir müssen zudem eine langfristig angelegte Bildungspolitik verfolgen, und zwar von der frühkindlichen Bildung bis zur Universität. Vor einem scheinbar leichten Weg kann ich angesichts der verheerenden Erfahrungen von 1923 nur warnen: die Schulden weginflationieren zu wollen. Wenn Notenbanken den Staat finanzieren, löst das früher oder später eine Inflation aus, die kaum zu kontrollieren ist. Ich hoffe sehr, dass die Europäische Zentralbank sich dieser Gefahr bewusst ist.

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