Berlin Nach den gescheiterten Verhandlungen zur Lösung der griechischen Schuldenkrise könnte das Land im schlimmsten Fall in die Pleite rutschen – und als Folge daraus sogar aus dem Euro ausscheiden. Die Hilfsmilliarden, die Athen bis dato am Leben hielten, wären damit verloren. Selbst wenn noch in letzter Minute eine Einigung zwischen Athen und den internationalen Geldgebern gefunden würde, kämen auf die Geldgeber hohe Kosten zu.
Insgesamt stehen 240 Milliarden Euro Hilfen auf dem Spiel. „Für Deutschland stehen 70 Milliarden Euro im griechischen Feuer“, sagte der Präsident des Steuerzahlerbunds, Reiner Holznagel, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Ein Umstand, der aus Holznagels Sicht eigentlich niemanden überraschen dürfte. „Es war von Anfang klar, dass mit der milliardenschweren Stützung Griechenlands Zeit gekauft wurde“, betonte er. „Dabei war bereits mit dem Bruch der No-Bailout-Klausel offensichtlich, dass das Konzept der Euro-Retter, die griechische Schuldenmisere mit noch mehr Schulden bekämpfen zu wollen, nicht aufgehen kann.“
Die Bundesregierung hatte dagegen nie ernsthaft damit gerechnet, dass sich die Dinge irgendwann so entwickeln, dass die jetzt diskutierten Horrorszenarien als Optionen in Frage kommen könnten. Im Gegenteil: Sie erklärte immer wieder, die Griechen-Rettung werde deutsche Steuerzahler nichts kosten.
Weitere Stationen im griechischen Schuldendrama
Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB). Dabei könnte eine Aufstockung und Verlängerung der Notfallhilfe für Griechenland bewilligt werden. Die griechischen Banken haben immer größere Probleme, weil Bürger des Landes ihre Konten aus Furcht vor der finanziellen Zukunft abräumen. Seit vergangenen Mittwoch können die Banken griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit für EZB-Kredite hinterlegen, um an frisches Geld zu kommen.
Das Ultimatum der Europartner für Griechenland läuft ab. Bis dahin soll Athen einen Antrag für eine sechsmonatige Verlängerung des Hilfsprogramms stellen - zusammen mit verbindlichen Zusagen.
Das bereits verlängerte Hilfsprogramm der Europäer endet. Aus dem Programm stehen noch 1,8 Milliarden Euro aus.
2,1 Milliarden Euro müssen an den IWF und 1,9 Milliarden Euro an Zinsen gezahlt werden.
Die Finanzminister der Euro-Zone kommen routinemäßig zusammen, Griechenland dürfte wieder ein Thema sein.
Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU.
Im Juni sind 2,62 Milliarden an Schulden fällig, im Juli 5,12 Milliarden und im August 3,69 Milliarden Euro. 6,68 Milliarden davon sind Schulden bei europäischen Institutionen. Insgesamt muss Athen 2015 rund 22,5 Milliarden Euro zurückzahlen.
Sätze wie dieser von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vom 16. Oktober 2010 kommen jetzt wie ein Bumerang zurück: „Alle Experten bestätigen“, erklärte Merkel damals, „dass Griechenland und auch Irland die Schuldenlasten, also Zins und Tilgung, auf Dauer schultern können.“ Und auch am 22. Juli 2011 versicherte die Kanzlerin in der „Bild-Zeitung“: „Was wir in diesen Zeiten aufwenden, bekommen wir um ein Vielfaches zurück.“
Als Griechenland-Optimist gab sich auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), als er am 19. Mai 2010 sagte: „Natürlich gehen wir davon aus, dass jeder seine Schulden auch zurückzahlt.“
Noch deutlicher formulierte Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU), als er am 30. April 2010 versprach: „Es wird kein Steuergeld aus dem Haushalt fließen. Im Gegenteil: Durch die Verzinsung der Darlehen entstehen sogar noch Einnahmen.“
Und der frühere CDU-Chefhaushälter Norbert Barthle glaubte schon am 13. April 2010, noch zehn Tage bevor Griechenland das erste Hilfsprogramm beantragte, dass die Hilfen „für den Bund ein gutes Geschäft“ seien - wegen der hohen Zinsen, die Athen zahlen müsse.
Dass Merkel falsch lag, habe sich „bereits mehrfach bestätigt“, sagte der Fachbereichsleiter Wirtschafts- und Fiskalpolitik am Centrum für Europäische Wirtschaftspolitik (CEP), Matthias Kullas, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). So habe es im Jahr 2012 einen Schuldenschnitt für Griechenland gegeben, da die Schuldenlast nicht mehr tragfähig gewesen sei.
Zudem seien die Laufzeiten der Kredite, die Griechenland insbesondere von den Euro-Staaten erhalten hat, verlängert und Zinsen gesenkt worden. „Dieser weitere faktische Schuldenschnitt war notwendig, da die Schuldenlast nicht mehr tragfähig war“, betonte Kullas.
Was droht Griechenland und seinen Banken?
Die EZB verleiht Geld nur an Geschäftsbanken, die als Sicherheiten Wertpapiere hinterlegen, denen Ratingagenturen gute Noten geben. Das ist bei Griechenland-Anleihen nicht der Fall. Bislang machten die Währungshüter eine Ausnahme, weil Athen ein EU-Sanierungsprogramm mit harten Reformauflagen durchlief. Diese Grundlage ist nun weggefallen: Die Regierung des linksgerichteten Ministerpräsidenten Alexis Tsipras lehnt das EU-Rettungsprogramm ab. Die EZB begründete ihre Entscheidung damit, dass man im Moment nicht davon ausgehen könne, dass Hellas sein Reformprogramm erfolgreich abschließen wird.
Ende Dezember 2014 hatten sich die griechischen Banken rund 56 Milliarden Euro bei der EZB beschafft. Davon entfielen nach Angaben der Commerzbank 47 Milliarden Euro auf kurzfristige Geschäfte, die inzwischen ausgelaufen sein dürften - und die nur wiederholt werden können, wenn die Institute andere Sicherheiten haben als griechische Staatsanleihen. Die übrigen neun Milliarden Euro steckten in Langfristgeschäften. „Das Geld muss zurückbezahlt werden, wenn es in diesem Umfang keine anderen Sicherheiten gibt“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Nein. Die Institute können vorerst bei der griechischen Zentralbank ELA-Notkredite nachfragen. Der EZB-Rat hat dafür ein Volumen von bis zu rund 60 Milliarden Euro bewilligt. Damit könnte das Refinanzierungsvolumen griechischer Banken bei der EZB vollständig in eine ELA-Finanzierung überführt werden, schreiben Ökonomen der BayernLB: „Es wäre aber nur wenig Raum vorhanden, um einen weiteren Abfluss von Einlagen zu kompensieren.“ Ein weiterer Haken für die Banken: EZB-Kredite kosten aktuell 0,05 Prozent, ELA-Notkredite 1,55 Prozent. Der Vorteil für die EZB und Europas Steuerzahler: Sie müssen nicht geradestehen, wenn die Kredite ausfallen. Das Risiko liegt bei der Zentralbank in Athen und damit beim Steuerzahler Griechenlands.
Nein. Der EZB-Rat kann diesen Geldhahn mit Zwei-Drittel-Mehrheit zudrehen. ELA darf nur an Institute vergeben werden, die zwar vorübergehende Liquiditätsengpässe haben, aber solvent sind. Das wird ohne ein Hilfsprogramm oder zumindest die begründete Erwartung, dass ein neues Programm schnell in Kraft tritt, unwahrscheinlicher. Die Experten der BayernLB sind daher überzeugt: „Sollte sich Griechenland mit seinen Gläubigern bis Ende Februar nicht zumindest auf eine Brückenfinanzierung einigen, ist damit zu rechnen, dass die EZB griechische Banken von der ELA-Finanzierung ausschließt.“
Dann dürfte den Banken sehr schnell das Geld ausgehen. „Wenn die EZB ELA abklemmt, haben die Institute keinen Zugriff mehr aus EZB-Liquidität. Das wäre der Rausschmiss, Griechenland würde die Währungsunion faktisch verlassen“, sagt Commerzbank-Experte Krämer. Daher sei die Entscheidung auch eine politische. Experten der UBS sehen das ähnlich: „In dem Moment, in dem die EZB das ELA-Fenster schließt, müssen die Verhandlungspartner entweder sofort Kompromisse finden, oder Griechenlands Banken kommen nicht mehr an Geld.“ Um einen Bankenkollaps zu verhindern, müsse Athen dann umgehend eine eigene Währung einführen: „Das wäre das Ende Griechenlands im Euroraum und könnte eine gefährliche Kettenreaktion in Gang setzen.“
Denkbar wäre, die Laufzeit der Hilfskredite zu verlängern oder den Schuldendienst vorrübergehend auszusetzen. Krämer erwartet, dass am Ende auch die Bundesregierung einem „faulen Kompromiss“ zustimmen würde: „Denn bei einem Austritt Griechenlands schlitterte das Land ins Chaos und die Bundesregierung müsste ihren Wählern erklären, dass die direkt und indirekt auf Deutschland entfallenen Hilfskredite an Griechenland in Höhe von 61 Milliarden Euro verloren wären.“
DIW-Chef: „Athen will Staatsbankrott absichtlich herbeiführen“
Die Lage hat sich seitdem aber nicht grundlegend gebessert. Nach den geplatzten Verhandlungen steht es Spitz auf Knopf für die Hellenen. Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem appellierte an die griechische Regierung, doch noch einzulenken. Man hoffe, dass Athen um eine Verlängerung des Ende Februar auslaufenden Hilfsprogramms bitte, sagte Dijsselbloem in Brüssel, wo an diesem Dienstag die Finanzminister der 28 EU-Staaten tagen. Damit könnte den Euro-Partnern ein gewisser Handlungsspielraum gewährt werden.
Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis äußerte sich zurückhaltend. Er sagte lediglich, der nächste Schritt werde ein verantwortlicher sein. In Europa wisse man, wie man trotz anfänglicher Uneinigkeit zu einer Lösung komme. Die Euro-Gruppe hat Griechenland eine Frist bis Ende der Woche gesetzt, um einen Antrag auf eine sechsmonatige Verlängerung des Programms zu stellen.