Die Wirtschaft der Eurozone boomt. Signale der Erholung nach der Krise gibt es viele. In Italien legte die Konjunktur zum Jahresbeginn stärker zu als angenommen. Ebenso in Frankreich: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs kräftiger als gedacht. Die Europäische Kommission geht für 2017 und 2018 von einem BIP-Wachstum im Euroraum von 1,7 bzw.1,8 Prozent aus.
Zur Serie
In einer vierteiligen Serie von Gastbeiträgen stellen wir an jedem Samstag bis zu den Bundestagswahlen zentrale europapolitische Probleme vor, die auf die künftige Bundesregierung zukommen werden. Sie basieren auf Veröffentlichungen der Publikationsreihe „Europa Briefing“, welche gemeinsam von der Bertelsmann Stiftung und dem Jacques Delors Institut – Berlin herausgegeben wird.
Diese und weitere Veröffentlichungen der Reihe sowie Informationen zum Kooperationsprojekt finden sie unter www.strengthentheeuro.eu.
Aber dieses Wachstum ist weiterhin uneinheitlich: Während heute besonders Griechenland, Italien und Spanien unter hoher Arbeitslosigkeit leiden, ist die Erwerbslosenquote in Deutschland so niedrig wie lange nicht. Große Unterschiede gibt es nach wie vor auch bei den Lebensstandards: Das BIP pro Kopf liegt in Griechenland etwa 30 Prozent unter dem EU-Durchschnitt; in den Niederlanden liegt es 30 Prozent darüber.
Die wirtschaftliche Angleichung der Euroländer, die eigentlich im Maastricht-Vertrag vereinbart war und vor allem für Deutschland eine wichtige Vorbedingung für die Schaffung einer Währungsunion war, ist bislang ausgeblieben.
Die Eurokrise hat gezeigt, dass ein Mangel an Konvergenz der Währungsunion sowohl wirtschaftlich als auch politisch schadet. Wie die wirtschaftliche Schere innerhalb der Eurozone geschlossen werden kann, wird auch im deutschen Wahlkampf 2017 diskutiert. Die Grünen werfen der Großen Koalition eine fehlende Vision für die EU vor und fordern mehr wirtschaftliche Solidarität der wirtschaftlich starken Mitglieder. Nur so lasse sich eine Spaltung in Kerneuropa und Peripherie vermeiden. Die SPD schlägt eine gemeinsame Wirtschaftsregierung vor – einschließlich der Kompetenz, wirtschaftliche Ungleichgewichte durch Koordinierung und Finanzmittel aktiv zu korrigieren. CDU/CSU fordern in erster Linie die wirtschaftlich schwächeren EU-Staaten zu wirtschafts- und sozialpolitischen Strukturmaßnahmen auf, darunter Arbeitsmarkts-, Renten-, Bildungsreformen.
Wirtschaftliche Begriffe
Konvergenz beschreibt das Angleichen wirtschaftlicher Verhältnisse: von der Produktivität bis hin zum Lebensstandard. Die wirtschaftliche Struktur der Länder ist ein wichtiger Faktor dafür, wie sehr sich die Lebensstandards annähern können.
Die durchschnittliche Länge eines wirtschaftlichen Zyklus’ von Boom zur Rezession liegt bei ungefähr fünf Jahren. Sind diese Phasen bei den Euroländern verschoben, muss die EZB gleichzeitig auf Aufschwung und Abschwung reagieren.
Derzeit werden 14 Indikatoren von der Europäischen Kommission überwacht: dazu zählen Auslandsschulden, Langzeitarbeitslosigkeit und Immobilienpreisentwicklung. Bauen sich gefährliche Ungleichgewichte auf, erhält das Land Reformempfehlungen. Diese müssen von den Euroländern umgesetzt werden, sonst drohen Sanktionen.
Reformen, die in die Organisation der Märkte und des Staates eingreifen, können zu mehr Wachstum und Konvergenz führen. Die Europäische Kommission erarbeitet regelmäßig länderspezifische Empfehlungen. Sie zielen unter anderem auf eine höhere Erwerbsquote, mehr Wettbewerb in einzelnen Sektoren und bessere Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen ab.
Die Debatte lässt viele Fragen offen: Welche wirtschaftlichen Unterschiede dürfen oder sollten bestehen bleiben? In welchen Bereichen müssen sich die EU-Staaten angleichen, um die Stabilität des Euro nicht zu gefährden? Und welche Instrumente sind dafür notwendig?
Warum fehlende Konvergenz im Euroraum ein Problem ist
Wirtschaftliche Unterschiede in der Eurozone können aus zwei Gründen problematisch sein: Erstens erfordert die gemeinsame Währungspolitik eine ähnliche Preisentwicklung, damit der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) für alle passt. Zweitens hängt das Vertrauen der Bevölkerung und der Märkte in das europäische Projekt vom Erfolg des Euro ab. Konvergenz ist daher nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein politisches Thema.
Seit der Einführung des Euro gab es im gemeinsamen Währungsraum zu wenig Konvergenz. Schon im ersten Jahrzehnt unterschieden sich die Inflationsraten deutlich: die deutsche Inflation lag zum Beispiel deutlich unter dem Durchschnitt, die spanische darüber. Der Leitzins der EZB war deshalb zu hoch für Deutschland und zu niedrig für Spanien. Auch die Konjunkturzyklen verliefen nicht synchron: Besonders die spanische Konjunkturentwicklung löste sich sichtbar von den anderen ab.
Wirtschaftliche Ungleichgewichte im Euroraum sind nicht leicht zu korrigieren, wie der Vergleich mit den USA zeigt: Anders als die amerikanische Regierung verfügt die EU nur über einen kleinen Haushalt und kann Ungleichgewichte zum Beispiel nicht durch Sozialleistungen zwischen den Staaten verringern. Außerdem ist der europäische Binnenmarkt weniger integriert als der amerikanische: besonders die Arbeitskräftemobilität ist gering. Deshalb kann sich die EU nicht nur auf die Währungsunion verlassen, sondern braucht auch eine Wirtschaftsunion.