Spanien Ein Land wählt sich lahm

Nach zwei Parlamentswahlen Ende 2015 und im Juni 2016 droht Spanien in 2017 der dritte Gang zur Urne. Ministerpräsident Mariano Rajoy könnte am Haushaltsplan scheitern. Ein Drama für Europa.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Spaniens Noch-Premierminister Mariano Rajoy Quelle: REUTERS

Ach ja, Bürgermeister von Albacete müsste man sein. Hier in der Mancha, Heimatregion des Don Quijote, verabschiedeten die Stadträte noch am Tag vor Heiligabend das Gemeinde-Budget für das Jahr 2017. Die Abgeordneten der konservativen Minderheitsregierung stimmten gemeinsam mit den Bürgerlichen von Ciudadanos dafür, die linksgerichtete Opposition enthielt sich in weihnachtsfriedlicher Stimmung, und anschließend gingen alle frohgemut in den bis zum 8. Januar dauernden Urlaub.

Ein solches Haushalts-Szenario hatte sich auch der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy 200 Kilometer nördlich in der Hauptstadt Madrid gewünscht. Doch wie befürchtet droht seine PP-Minderheitsregierung im Landesparlament gleich an ihrer ersten wichtigen Bewährungsprobe zu scheitern. Und so lauert nicht einmal zwei Monate nach Amtsantritt schon wieder die Gefahr von Neuwahlen über Europas viertgrößter Wirtschaftsmacht. 

Die Fronten sind verhärtet. Finanzminister Cristóbal Montoro droht damit, dass die 17 spanischen Regionen keinen Cent Vorschuss erhalten, so lange der Haushalt nicht verabschiedet ist. Die Antwort der größten Oppositionspartei PSOE folgte postwendend: Sie lasse sich nicht erpressen. Nein und nochmals nein, dem Haushalt werde man „aus vielen guten Gründen“ nicht zustimmen. Weshalb die PP die Daumenschrauben weiter andreht und die Möglichkeit von Neuwahlen ins Spiel bringt. 

In der Region Mancha hat der Bürgermeister Albacetes Glück: Er konnte seinen Haushalt vor Weihnachten absegnen lassen. Im Gegensatz zu Spaniens Ministerpräsident Rajoy. Quelle: REUTERS

Bei der EU-Kommission geht man zum Jahreswechsel deshalb mit einiger Resignation davon aus, dass 2017 neben dem Wahlmarathon in den Niederlanden, Frankreich, Italien und Deutschland auch noch ein Urnengang in Spanien ansteht - und das ohnehin krisengeschwächte Projekt Europa damit mindestens ein Dreivierteljahr auf dem Abstellgleis stehen bleibt. Ohne entscheidungsfähige Regierungen in mindestens vier, womöglich sogar fünf der größten Länder der Euro-Zone kann Brüssel keine Beschlüsse von großer Tragweite fassen.

Dabei mussten die Spanier in den vergangenen zwölf Monaten bereits zweimal an die Urnen gehen, ehe endlich nach zähen Machtkämpfen der Parteien Anfang November eine Regierung zustande kam. 

Dass Brüssel im Herbst Gnade vor Recht walten ließ und Madrid keine Strafzahlungen wegen wiederholter Defizitauswüchse aufbrummte, scheint die spanischen Abgeordneten ebenso wenig versöhnlich gestimmt zu haben wie die zehn verlorene Monate, in denen mangels legitimer Regierung wichtige Reformen auf der Strecke blieben. 

Die Opposition lässt Rajoy genüsslich spüren, dass er nicht mehr wie in seiner ersten Amtszeit zwischen 2011 und 2015 mit absoluter Mehrheit herrschen kann, sondern auf ihre Unterstützung angewiesen ist. Im Streit um den Haushalt geht es nicht allein um die gut fünf Milliarden Euro, die Rajoy auf Druck aus Brüssel  nächstes Jahr zusätzlich einsparen soll, um wenigstens wieder in die Nähe des für die Euro-Länder eigentlich obligatorischen Defizitlimits von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu kommen. Dieses Jahr geht mit einer Lücke von 4,6 Prozent zu Ende. Lediglich die linke Protestpartei Podemos fordert, die Vorgaben aus Brüssel als „unsozial“ rundweg zu ignorieren. 

Manch anderen geht es vielmehr darum, den höchsten Preis für ihre Zustimmung zu erhalten. Die Abgeordneten der baskischen Nationalisten zum Beispiel verlangen den Bau einer Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnstrecke und den Erhalt des steuerpolitischen Sonderstatus der nordspanischen Region. 

Heillos zerstrittene Opposition

Die Bürgerlichen der Partei Ciudadanos wiederum wollen den Haushaltsentwurf der PP nur unterstützen, wenn er Mehrausgaben in Höhe von vier Milliarden Euro für Gesundheit, Bildung und Forschung vorsieht. 

„Die Themen Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung sind die größten Herausforderungen und müssen für unsere Wirtschaftspolitik vorrangig sein,“mahnt Eugenio Recio, Professor an der spanischen Hochschule für Wirtschaft und Recht Esade. „Die so oft kritisierte Austerität ist keineswegs eine Laune der Deutschen. Es wäre gut anzuerkennen, dass jede öffentliche Ausgabe, die nicht gegenfinanziert ist, zu einem weiteren Anschwellen der Staatsverschuldung beiträgt.“Die liegt mit gut einer Billion Euro bereits bei mehr als 100 Prozent des spanischen BIP. Recio warnt vor dem Tag, da die Europäische Zentralbank ihre Nullzinspolitik aufgibt und Spanien unter der Last seiner Schulden erdrückt werde. 

Doch die Warnungen verhallen derzeit ungehört. Spaniens Regierung ist erpressbar geworden. Weil nur die Arbeiterpartei PSOE ihr auf einen Schlag die nötigen Stimmen zur Mehrheit im Parlament verschaffen kann, ohne den mühsamen Umweg über Verhandlungen mit mehreren kleineren Gruppierungen zu nehmen, rückte die PP in den vergangenen Wochen bereits ein gutes Stück nach links. So steigt der Mindestlohn auf Verlangen der PSOE nächstes Jahr von derzeit 655 auf 707 Euro monatlich. Es ist die großzügigste Erhöhung seit 30 Jahren.

Spaniens Parteien

Ebenfalls die PSOE setzte durch, dass die spanischen Regionen ihr Haushaltsdefizit bis auf 0,6 Prozent des BIP ausreizen dürfen und die höhere Besteuerung von Unternehmen, Tabak und Alkohol sowie eine neue Abgabe auf zuckerhaltige Erfrischungsgetränke die neugeschaffenen Haushaltslöcher notdürftig stopfen. Die Unternehmenssteuer, die erst vor einem Jahr von 28 auf 25 Prozent gesenkt wurde, wird zwar nicht wieder angehoben. Allerdings fallen mehrere Abschreibungsmöglichkeiten weg. 

Das alles reichte aber nur, um der Arbeiterpartei die grundsätzliche Zustimmung zu einem Ausgabenlimit bei 118 Milliarden Euro im Jahr 2017 abzuringen. Kürzungen im Sozialbereich auf Kosten der Bürger wie etwa beim Arbeitslosengeld will sie nicht mittragen. Das gilt umso mehr, als die Regierung vor wenigen Tagen ankündigte, mehrere während des Immobilienbooms um die Jahrtausendwende gebaute, aber nie ausgelastete und damit hochdefizitäre Maut-Autobahnen um Madrid und im Süden des Landes zu verstaatlichen. Kostenpunkt zu Gunsten der privaten Betreiber, zu denen Baukonzerne wie Acciona, ACS, Sacyr, Ferrovial und OHL gehören: 5,5 Milliarden Euro, also etwa so viel wie die zusätzlich von Brüssel geforderten Einsparungen. 

"Wenn Rajoy einen Haushalt der Kürzungen durchbringen will, muss er sich bei der parlamentarischen Rechten die nötige Unterstützung suchen,“ lässt die PSOE-Regionalpräsidentin von Andalusien, Susana Díaz, schnippisch wissen. Die Politikerin ist sich bewusst, dass die Region Andalusien das größte Wählerreservoir für die Arbeiterpartei birgt. Nach dem Rücktritt des glücklosen Parteivorsitzenden Pedro Sánchez ist sie außerdem bereits im Wahlkampf um dessen Nachfolge. 

Für die nach zwei verlorenen Wahlen über ihren Kurs völlig zerstrittene Arbeiterpartei PSOE zählt, den Wählern erneut ein linkes Profil zu zeigen und deren Fahnenflucht zu der radikaleren Konkurrenz von Podemos zu stoppen. Viele Spanier, die nach vier Jahren Rajoy den politischen Wandel wählten, sind nämlich wütend darüber, dass die PSOE durch ihre Enthaltung bei der Wahl des Regierungschefs Ende Oktober letztlich Rajoy erneut ins Amt verhalf. Bei einem Großteil dieser Klientel kommen die frohen Botschaften von einem Ende der Krisenjahre und einem erneut fulminanten Wirtschaftswachstum nicht an.

2016 geht vermutlich wie schon 2015 mit einem Plus von 3,2 Prozent zu Ende. Doch noch immer sind rund 20 Prozent der Spanier arbeitslos, und die meisten der neuen Jobs sind zeitlich befristet und werden mit weniger als 1000 Euro monatlich entlohnt. Da für nächstes und übernächstes Jahr nur noch 2,5 beziehungsweise zwei Prozent Wachstum erwartet werden, gibt es noch weniger zu verteilen. Dass stets Geld für die Rettung von Banken und jetzt auch für die Verstaatlichung von Autobahnen zur Verfügung steht, sie aber den Gürtel immer enger schnallen sollen, schürt den Groll der Spanier. 

Auch deshalb signalisiert die PSOE den Gewerkschaften Unterstützung in deren Kampf um die Rücknahme von Arbeitsmarktreformen, die Rajoy während seiner ersten Amtszeit verfügte und zum Beispiel Kündigungen vereinfachen. Erste Protestmärsche mit zehntausenden Demonstranten galten Mitte Dezember als Warnschuss. Wenn sich die PP-Regierung nicht bewegt, drohen die Gewerkschaften damit, im Frühjahr das Land lahm zu legen. 

Rajoy hofft derweil darauf, spätestens Mitte Februar einen zustimmungsfähigen Haushalt vorlegen zu können. Ende April soll es der dann durch das Parlament geschafft haben. Andernfalls endet am 3. Mai die in der Verfassung festgelegte Frist für die Ausrufung von Neuwahlen. Ach ja, Bürgermeister von Albacete müsste man sein. Wie Rajoys Parteifreund Javier Cuenca. Der sprach nach der geglückten Abstimmung in seinem Stadtrat von einem „großen Tag für alle Bürger der Stadt“.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%