Die Euro-Zone braucht dringend gute Wirtschaftsnachrichten. Laut neuesten Prognosen der Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy wird sich Spaniens Wirtschaft schneller erholen als erwartet. Für 2014 und 2015 wurden die erwarteten Wachstumsraten von 0,7 und 1,2 Prozent auf jeweils 1,5 Prozent angehoben. Wirtschaftsminister Luis de Guindos sprach von einem „grundlegenden Wandel“ der Situation. Der Mann könnte auch als Rosstäuscher reüssieren. Der spanische Staat macht Schulden wie noch nie, deshalb die erhöhten Wachstumsprognosen. Wachstum auf Pump, am Ende bleiben nur Schulden. De Guindos sollte das wissen.
2007 lag die spanische Staatsschuldenquote bei nur 37 Prozent der Wirtschaftsleistung. Ende 2013 hatte der Wert schon 94 Prozent erreicht. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung war Spanien nie auf Sparkurs. Im Februar erreichten die spanischen Staatsschulden 987 Milliarden Euro oder 96,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Allein im Februar stiegen die Staatsschulden um 8,13 Milliarden Euro, im Monatsvergleich ein Plus von acht Prozent. Für 2014 wird ein Budgetdefizit von 60 Milliarden Euro oder 5,8 Prozent der Wirtschaftsleistung erwartet. Auf die Reaktion aus Brüssel darf man gespannt sein.
Defizitwirtschaft für vielleicht 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum – ein Stück aus dem Tollhaus. Spanien wird sich davon nicht so schnell erholen. Der Schuldenberg steigt unaufhörlich, während die Anzahl der aktiven Steuerzahler sinkt. Seit Beginn der Krise gingen in Spaniens Privatwirtschaft 3,6 Millionen Arbeitsplätze verloren. Besserung ist nicht in Sicht. Der volkswirtschaftlich wichtige Immobilienmarkt kommt nicht auf die Beine. Im Jahresvergleich wurden von den Banken im Februar 33 Prozent weniger neue Hypotheken ausgereicht. Es war zugleich der 45. Monat in Serie mit einem rückläufigen Volumen.
Die spanischen Banken sind die große Gefahr für den Staat. Offiziell haben die Institute von der spanischen Regierung mehr als 100 Milliarden Euro Transfers, Garantien, und Kreditlinien erhalten – etwa zehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Während von Regierungsseite oft nur die direkten Transfers in Höhe von 40 Milliarden Euro erwähnt werden, kommen kritischere Schätzungen auf 220 Milliarden Euro an Bankenhilfen. Solche Zahlen will die Regierung aber weder der spanischen Öffentlichkeit noch Brüssel oder Berlin zumuten.
Spaniens Sozialsysteme sind tickende Zeitbomben
Wie bedrohlich die Situation bei den spanischen Banken ist, zeigen die Pläne der Regierung, eine weitere mit Staatsgeldern finanzierte „Bad Bank“ mit dem vielversprechenden Namen „Midas“ aufzumachen. Dort landen sollen die Problemkredite der spanischen Banken, etwa notleidende Immobilienkredite und Unternehmensanleihen. Die erste Bad Bank, der Bankenrettungsfonds Frob, sitzt inzwischen auf Verlusten von 37 Milliarden Euro. Davon war beim letzten Treffen des Bankenverbandes AEB vor einigen Tagen in Madrid aber keine Rede. Gefeiert wurde der Gewinnausweis der spanischen Banken für 2013 in Höhe von 7,2 Milliarden Euro.
Staatshilfen und „Financial Engineering“ machen es möglich. Im November hatte die Regierung per Dekret die Umwandlung der üblicherweise aus Verlusten und Rückstellungen der Banken stammenden latenten Steueransprüche (Deferred Tax Assets) in staatlich garantierte Steuerkredite beschlossen.
Laut spanischem Finanzministerium sei das nicht mehr als eine bilanztechnische Operation gewesen. Tatsächlich aber war es ein weiterer Bailout in Höhe von 40 Milliarden Euro, weil sich dadurch auch ohne Realisierung der Verluste die zukünftigen Steuerzahlungen der Banken reduzieren lassen. Die zukünftigen Steueransprüche können als Eigenkapital bilanziert werden.
Die größte Zeitbombe tickt aber in den spanischen Sozialsystemen. Die Berliner Stiftung Marktwirtschaft hat errechnet, dass Spanien bei Berücksichtigung der impliziten, in den Sozialkassen versteckten Schulden nach Irland, Luxemburg und Zypern und noch vor Belgien und Griechenland die vierthöchste Gesamtverschuldung in der Eurozone aufgebaut hat. In den spanischen Sozialsystemen schlummern demnach Staatsschulden in Höhe von 586 Prozent der Wirtschaftsleistung. Auch das ist ein Grund, warum sich das vergleichsweise reiche Katalonien mit seinen 7,5 Millionen Einwohnern von Spanien abspalten will.
Wegen der Zeitbomben in den Sozialsystemen werden Länder wie Frankreich (359 Prozent), Griechenland (475 Prozent) oder Spanien ihre Schulden nie in den Griff bekommen. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird deshalb zwangsläufig ihre Geldpolitik an den Staatsschulden und Finanzierungsnöten der europäischen Wohlfahrtsstaaten ausrichten müssen. Alles andere wäre das sofortige Ende des Euro.
Eine Lösung ist das natürlich nicht. Europa steht für sieben Prozent der Weltbevölkerung, 25 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung und 50 Prozent der weltweiten Sozialausgaben. Am Ende wird sich das Schicksal des Euro an den Wahlurnen entscheiden.