Spanien Mit Vollgas in die Pleite

Spanien erlebt eine beispiellose Schuldenorgie. Regierung und Notenbank verheimlichen den wahren Zustand des Bankensystems. Wachstum auf Pump, am Ende bleiben nur Schulden.

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Europas Baustellen
Arbeitslose stehen vor einem Jobcenter in Madrid Schlange Quelle: dpa
Seit dem 01.01.2014 sind die letzten Jobschranken für Rumänen und Bulgaren gefallen. Quelle: dpa
Die Flagge der Europäischen Union weht im Wind. Quelle: dpa
Verhandlungsführer des Transatlantischen Freihandels- und Investitionsabkommens (TTIP) Ignacio Bercero und Dan Mullane. Quelle: REUTERS
Die große Euro-Skulptur steht in Frankfurt am Main vor der Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB). Quelle: dpa
Hetze gegen die EUIm Europa-Parlament machen Antieuropäer wie Marie Le Pen, Chefin der rechtsextremen Front National in Frankreich und Rechtspopulist Geert Wilders von der niederländischen Freiheitspartei PVV Stimmung gegen das sogenannte "Monster Brüssel". Als Bündnispartner ziehen sie gemeinsam in die Europawahl, um ihre Rolle zu stärken. Was derzeit noch eine Randerscheinung ist, könnte mit ihrer europafeindlichen Rhetorik bis Mai 2014 aber schon viele Wähler aus der bürgerlichen Mitte auf ihre Seite gebracht haben, so das Ergebnis einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Centre for European Studies. Die Wirtschafts- und Euro-Krise mache es ihnen leicht, den Hass auf die EU zu schüren. Quelle: AP
Mitglieder des Europäischen Parlaments während einer Sitzung in Straßburg (Frankreich).i Quelle: dpa

Die Euro-Zone braucht dringend gute Wirtschaftsnachrichten. Laut neuesten Prognosen der Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy wird sich Spaniens Wirtschaft schneller erholen als erwartet. Für 2014 und 2015 wurden die erwarteten Wachstumsraten von 0,7 und 1,2 Prozent auf jeweils 1,5 Prozent angehoben. Wirtschaftsminister Luis de Guindos sprach von einem „grundlegenden Wandel“ der Situation. Der Mann könnte auch als Rosstäuscher reüssieren. Der spanische Staat macht Schulden wie noch nie, deshalb die erhöhten Wachstumsprognosen. Wachstum auf Pump, am Ende bleiben nur Schulden. De Guindos sollte das wissen.

2007 lag die spanische Staatsschuldenquote bei nur 37 Prozent der Wirtschaftsleistung. Ende 2013 hatte der Wert schon 94 Prozent erreicht. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung war Spanien nie auf Sparkurs. Im Februar erreichten die spanischen Staatsschulden 987 Milliarden Euro oder 96,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Allein im Februar stiegen die Staatsschulden um 8,13 Milliarden Euro, im Monatsvergleich ein Plus von acht Prozent. Für 2014 wird ein Budgetdefizit von 60 Milliarden Euro oder 5,8 Prozent der Wirtschaftsleistung erwartet. Auf die Reaktion aus Brüssel darf man gespannt sein.

Defizitwirtschaft für vielleicht 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum – ein Stück aus dem Tollhaus. Spanien wird sich davon nicht so schnell erholen. Der Schuldenberg steigt unaufhörlich, während die Anzahl der aktiven Steuerzahler sinkt. Seit Beginn der Krise gingen in Spaniens Privatwirtschaft 3,6 Millionen Arbeitsplätze verloren. Besserung ist nicht in Sicht. Der volkswirtschaftlich wichtige Immobilienmarkt kommt nicht auf die Beine. Im Jahresvergleich wurden von den Banken im Februar 33 Prozent weniger neue Hypotheken ausgereicht. Es war zugleich der 45. Monat in Serie mit einem rückläufigen Volumen.

Die spanischen Banken sind die große Gefahr für den Staat. Offiziell haben die Institute von der spanischen Regierung mehr als 100 Milliarden Euro Transfers, Garantien, und Kreditlinien erhalten – etwa zehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Während von Regierungsseite oft nur die direkten Transfers in Höhe von 40 Milliarden Euro erwähnt werden, kommen kritischere Schätzungen auf 220 Milliarden Euro an Bankenhilfen. Solche Zahlen will die Regierung aber weder der spanischen Öffentlichkeit noch Brüssel oder Berlin zumuten.

Spaniens Sozialsysteme sind tickende Zeitbomben

Wie bedrohlich die Situation bei den spanischen Banken ist, zeigen die Pläne der Regierung, eine weitere mit Staatsgeldern finanzierte „Bad Bank“ mit dem vielversprechenden Namen „Midas“ aufzumachen. Dort landen sollen die Problemkredite der spanischen Banken, etwa notleidende Immobilienkredite und Unternehmensanleihen. Die erste Bad Bank, der Bankenrettungsfonds Frob, sitzt inzwischen auf Verlusten von 37 Milliarden Euro. Davon war beim letzten Treffen des Bankenverbandes AEB vor einigen Tagen in Madrid aber keine Rede. Gefeiert wurde der Gewinnausweis der spanischen Banken für 2013 in Höhe von 7,2 Milliarden Euro.

So denkt Spanien über Europa
Im Internet waren die satirischen Landkarten des bulgarischen Designers Yanko Tsvetkov schon lange ein Renner. Er zeichnete jeweils den Blick verschiedener Gruppen oder Nationalitäten auf Europa und die Welt, in dem er die Namen der jeweiligen Länder durch Klischees ersetzte, die am häufigsten mit diesen Ländern assoziiert werden. Mittlerweile gibt es die Landkarten auch gebunden, als "Atlas der Vorurteile", erschienen im Knesebeck-Verlag. Auf 80 Seiten stellt der Designer dar, wie die verschiedenen Nationalitäten ihre Nachbarn wahrnehmen. Auch den Spaniern widmet Tsvetkov eine ganze Seite. Und die lassen kein Gutes Haar an ihren Nachbarn - nicht mal an den weiter entfernten. So stehen beispielsweise "verheiratete Priester" für Russland, Estland, Lettland und Litauen werden zum "Russischen Galizien" und Weißrussland zum "Russischen Franco". Ebenfalls wenig schmeichelhaft: Die Ukrainer sind aus Sicht der Spanier "Radioaktive Nannys". Quelle: Screenshot
Ähnlich charmant ist die spanische Sicht auf Rumänien: Wegen der vielen Alten- und Krankenpfleger, die von dort kommen und in anderen europäischen Ländern Arbeit suchen, ist Rumänien in der spanischen Europasicht schlicht das Land der Windelwechsler. Quelle: dpa
Sich selbst sehen die Spanier übrigens als "Café para todos" - also als Café oder beliebten Treffpunkt für alle anderen Europäer. Was ja auch nicht falsch ist. Quelle: dpa
Bei vielen Iren mag die spanische Einordnung als "Rotschöpfe" ja stimmen. Alle Briten unter "kotzende Touristen" zusammenzufassen, tut dagegen sicher sehr vielen Unrecht. Quelle: dpa
Die Türkei kommt mit "östliches Marokko" eigentlich noch recht gut weg. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Deutschland dagegen hat - Sparpolitik & Co. sei Dank - gar keinen guten Stand bei den Spaniern. Wegen der deutschen Rolle in der Euro-Krise wird Deutschland auf der Landkarte, die Spaniens Europasicht verdeutlichen soll, "Cruella de Merkel" genannt. Quelle: dpa
Schöne Strände, gute Küche und guten Wein haben die Spanier selbst. Was fällt ihnen darüber hinaus zu Italien ein? Auf der spanischen Seite im Atlas der Vorurteile steht statt Italien "Muttersöhnchen". Griechenland bekommt dagegen den Beinamen "schlechtes Olivenöl". Auch nicht nett. Quelle: AP

Staatshilfen und „Financial Engineering“ machen es möglich. Im November hatte die Regierung per Dekret die Umwandlung der üblicherweise aus Verlusten und Rückstellungen der Banken stammenden latenten Steueransprüche (Deferred Tax Assets) in staatlich garantierte Steuerkredite beschlossen.

Laut spanischem Finanzministerium sei das nicht mehr als eine bilanztechnische Operation gewesen. Tatsächlich aber war es ein weiterer Bailout in Höhe von 40 Milliarden Euro, weil sich dadurch auch ohne Realisierung der Verluste die zukünftigen Steuerzahlungen der Banken reduzieren lassen. Die zukünftigen Steueransprüche können als Eigenkapital bilanziert werden.

Die größte Zeitbombe tickt aber in den spanischen Sozialsystemen. Die Berliner Stiftung Marktwirtschaft hat errechnet, dass Spanien bei Berücksichtigung der impliziten, in den Sozialkassen versteckten Schulden nach Irland, Luxemburg und Zypern und noch vor Belgien und Griechenland die vierthöchste Gesamtverschuldung in der Eurozone aufgebaut hat. In den spanischen Sozialsystemen schlummern demnach Staatsschulden in Höhe von 586 Prozent der Wirtschaftsleistung. Auch das ist ein Grund, warum sich das vergleichsweise reiche Katalonien mit seinen 7,5 Millionen Einwohnern von Spanien abspalten will.

Wegen der Zeitbomben in den Sozialsystemen werden Länder wie Frankreich (359 Prozent), Griechenland (475 Prozent) oder Spanien ihre Schulden nie in den Griff bekommen. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird deshalb zwangsläufig ihre Geldpolitik an den Staatsschulden und Finanzierungsnöten der europäischen Wohlfahrtsstaaten ausrichten müssen. Alles andere wäre das sofortige Ende des Euro.

Eine Lösung ist das natürlich nicht. Europa steht für sieben Prozent der Weltbevölkerung, 25 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung und 50 Prozent der weltweiten Sozialausgaben. Am Ende wird sich das Schicksal des Euro an den Wahlurnen entscheiden.

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