Spanien Spaniens Hängepartie beunruhigt Investoren

Fünf Wochen nach der Parlamentswahl ringt Spanien noch immer um die Regierungsbildung. Noch-Premier Mariano Rajoy tut es Angela Merkel gleich: schweigen und aussitzen, bis sich seine Gegner selbst erledigen.

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Spaniens Noch-Premierminister Mariano Rajoy Quelle: REUTERS

Spaniens Politik gleicht in diesen Tagen einem Mikado-Spiel: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Man könnte sich über die Unfähigkeit oder Unwilligkeit zur Regierungsbildung fünf Wochen nach der Wahl mokieren - wäre Spanien nicht die viertstärkste, aber Krisen-geplagte Wirtschaftskraft der Euro-Zone und trotz eines schmerzhaften Reformprogramms noch lange nicht über dem Berg.

Der spanische Aktienindex Ibex 38 drehte am Montagmorgen ins Minus. "Wir haben schon in anderen Regionen der Euro-Zone gesehen, dass die Märkte die Ungewissheit über ein politisches Programm oder das Nichtgefallen möglicher Allianzen abstrafen," kommentierte Jorge López, Analyst des Online-Brokers XTB.

Wissenswertes über Spanien

Die als Ermutigung an die Adresse der Anleger gedachten Worte von EZB-Chef Mario Draghi am vergangenen Donnerstag reichen nicht aus, um die Unruhe über die politische Zukunft des Landes einzudämmen.

Spaniens Wahlsieger findet keine Verbündeten

Dort hatte der noch amtierende konservative Regierungschef Mariano Rajoy am Freitag den Auftrag des Königs zur Regierungsbildung abgelehnt. Allerdings nur vorerst und auf Widerruf. Rajoy, dessen Partei PP bei den Wahlen zwar stärkste Kraft wurde, aber die absolute Mehrheit weit verfehlte, hat derzeit keine Chance, im Parlament genügend Unterstützer zu finden. Spaniens Verfassung sieht vor, dass von dem Moment einer gescheiterten Regierungsbildung an ein Count-down von zwei Monaten für Neuwahlen startet.

Also setzte Rajoy den Chef der zweitplatzierten Arbeiterpartei, Pedro Sánchez, taktisch geschickt in Zugzwang. In der Hoffnung, dass der sich bei der beabsichtigten Bildung einer Linksregierung kräftig verheddert und dann reumütig doch zu einer Großen Koalition unter Führung der PP bereit ist.

Der erste Schritt ist Rajoy schon einmal gelungen. Über das Wochenende bremsten führende PSOE-Politiker den Elan ihres Chefs Sánchez, mit der Protestpartei Podemos und weiteren linken Gruppierungen in Koalitionsverhandlungen zu treten. "Erpressung" und "Demütigung", sind die Worte, die seither die Runde machen.

Podemos will "Wandel sichtbar machen"

Denn Podemos-Führer Pablo Iglesias hat die Latte sehr hoch gelegt: Angespornt durch ein Wahlergebnis, das mit 20,6 Prozent nur unweit hinter dem der PSOE zurück blieb, verlangt der 37-jährige politische Bruder von Griechenlands Premier Alexis Tsipras das Amt des Vize-Regierungschefs. Die Ministerien für Wirtschaft, Verteidigung, Inneres, Äußeres und Justiz sollen mit Personen besetzt werden, "die den Wandel sichtbar machen". Zudem pochte Iglesias auf ein Referendum in der nach Unabhängigkeit von Spanien strebenden Region Katalonien. Ein Unding für die Sozialisten. Doch selbstsicher wie immer tönte Iglesias: "Die historische Gelegenheit für Pedro Sánchez, Regierungschef zu sein, ist ein Lächeln des Schicksals, für das er mir dankbar sein muss."

Kein Wunder, dass es in der PSOE nun mehr als rumort, und dass spanische Wirtschaftsführer fast flehentlich an die Vernunft ihrer Politiker appellieren. "Alle stellen mir dieselbe Frage", sagte Francisco González, Chef der spanischen Großbank BBVA, am Rande des Wirtschaftsforums in Davos. "Voriges Jahr waren alle überrascht, wie gut die Dinge in diesem Land laufen, und nun ist die große Frage, was mit der Regierung Spaniens passiert." 

Hohes Wirtschaftswachstum lag an guten Rahmenbedingungen

Wichtige ausländische Investoren glaubten immer noch daran, dass es letztlich auf eine Große Koalition hinaus laufen werde, sagte Roberto L. Ruiz-Scholtes, Strategiedirektor der Schweizer Großbank UBS in Spanien, der Wirtschaftszeitung "Cinco Días". Bisher nähmen sie die politische Lähmung des Landes noch nicht tragisch und stützten sich auf das Wirtschaftswachstum, das im vorigen Jahr mit mehr als 3 Prozent so hoch war wie in keinem anderen Euro-Staat.

Dieses Wachstum sei jedoch außerordentlich günstigen Umständen wie dem niedrigen Ölpreis oder dem Euro-Dollar-Wechselkurs zu verdanken, warnte Ruiz-Scholtes. "Unser tatsächliches Wachstumspotenzial ist mittelfristig auf 1,6 Prozent gesunken. Jede Instabilität von außen oder ein Vertrauensverlust auf Grund der Umstände im Inland, die das Wachstum auf weniger als 2 Prozent drücken, wird zu einem erneuten Anstieg des Haushaltsdefizits führen."

Das ist das Problem, sollte sich Spanien nun ein Beispiel an dem kleinen Nachbarn Portugal nehmen. Dort ist seit einigen Wochen ein Linksbündnis an der Macht, nachdem die Konservativen bei der Parlamentswahl im Oktober das gleiche Schicksal erlitten wie die spanischen Kollegen kurz vor Weihnachten. Da die neue Regierung in Lissabon umgehend zahlreiche Sparmaßnahmen der vergangenen Jahre rückgängig machte, besteht die Gefahr, dass bereits im April die letzte Ratingagentur Portugals Kreditwürdigkeit auf Ramschniveau herabsetzt. In dem Fall dürfte die Europäische Zentralbank keine portugiesischen Anleihen mehr kaufen. "Dann würde Portugal eine ähnliche Situation wie Griechenland im vergangenen Sommer drohen", warnt Commerzbank-Volkswirt Ralph Solveen.

EU ist gegen Ende der Austeritätspolitik

Auch für Spanien schwebt Podemos eine Abkehr von der verhassten "Austeritätspolitik" vor. Dabei hat das Land nach Überzeugung der EU-Kommission in Brüssel auch nach vier Jahren Sparzwang noch genau das Gegenteil nötig. "Die spanische Wirtschaft läuft gut, was das Wachstum angeht. Aber was den Staatshaushalt angeht, muss auch klar sein, dass Normen eingehalten werden müssen," betont EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici. "Da klafft immer noch eine Kluft, und vermutlich müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden."

Angesichts der Gefahr nicht nur für Spanien, sondern für die gesamte EU pocht der sozialliberale Flügel der spanischen Arbeiterpartei PSOE nun darauf, dass Parteichef Sánchez mit Albert Rivera, dem Vorsitzenden der liberalen Partei Ciudadanos, spricht, ehe weitere Treffen mit Podemos-Chef Iglesias stattfinden. Am Samstag kommt der PSOE-Führungszirkel zusammen. Nicht ausgeschlossen, dass die Kritiker Sánchez das ohnehin stets brüchige Vertrauen komplett entziehen.

Der konservative Noch-Premier Rajoy tut derweil das, was er am besten kann: schweigen und aussitzen, bis sich seine Gegner selbst erledigen. Darin ist er Bundeskanzlerin Angela Merkel durchaus ähnlich. "Ich verzichte auf gar nichts. Ich bleibe Kandidat für die Präsidentschaft der Regierung," sagte er vorigen Freitag trotzig. "Ich habe nur noch nicht genügend Unterstützung."

Einer Umfrage vom Wochenende zu Folge wünschen sich mehr als 60 Prozent der Spanier allerdings, dass er die auch nicht bekommt. Rajoy soll gehen, genauso wie Sánchez, und damit mit zwei neuen Köpfen an der Spitze von PP und PSOE endlich den Weg frei machen für eine Große Koalition.

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