Es gibt zwei Dinge, über die Vicent Domingo schmunzeln muss, wenn er sie aus dem Mund von Ausländern hört: „Spanier lernen nie aus ihrer Geschichte.“ Und: „Spanier sind nicht bereit zum Kompromiss.“ Der Chef der an die Stadt Valencia gebundenen Organisation „Nachhaltiges Valencia“ ist maßgeblich daran beteiligt, dass seine autonome Region nicht in diese historische spanische Falle tappt.
Gerade hat er die Konferenz „Valencia Hauptstadt der nachhaltigen Ernährung 2017” zusammen mit anderen Städten wie Mailand organisiert: „Die ausländischen Beobachter haben Recht, wenn sie sagen, dass wir Spanier wenig kompromissbereit und unbelehrbar sind, aber seit dem Regierungswechsel in Valencia vor zwei Jahren, haben wir viel gelernt, auch aus unseren Fehlern. Wir haben jetzt sogar eine Koalitions-Partei, die daran maßgeblich beteiligt ist, die sogar ‚Kompromiss‘ (Compromís) heißt. Es ist ein Bündnis aus Umwelt-, Sozial- und patriotischen Interessen. Wir lernen hier in Valencia damit auch, Pakte zu schließen, die gut für alle sind.”
Nachhaltigkeit und Gemeinwohl sind für Valencia entscheidend
Valencia, das auch nationalistische Bewegungen kennt, ist seit dem Regierungswechsel 2015 weltweit Vorbild für die von dem Österreicher Christian Felber ins Leben gerufene „Gemeinwohl-Ökonomie”. Bürger werden bei diesem Konzept in Entscheidungsprozesse eingebunden und die Ausgaben werden streng und unabhängig kontrolliert. Zudem: Auf Stadt und Regionalebene gibt es in Valencia keine absoluten politischen Mehrheiten mehr, was die Valencianer zu Debatten und Abstimmungen zwingt.
Eine Streitkultur, die der Rest des Landes noch lernen muss. Diese neue Art der Politik hat die valencianischen Nationalisten weitgehend mundtot gemacht, sie sind jetzt Teil von „Compromís”. „Positiv dazu beigetragen hat das Ende der 20-jährigen Alleinherrschaft der auch in Madrid regierenden Volkspartei PP, deren Vorgänger Alianza Popular damals übrigens nicht der Verfassung von 1978 zugestimmt hat, auf die jetzt alle bestehen”, glaubt Paco Álvarez, der für den politischen Wandel in Valencia mit seiner „Gemeinwohl-Ökonomie”-Initiative beiträgt. Er wurde dafür von „Compromís” beauftragt und hat schon viel erreicht, vor allem in Sachen Bewusstseinsänderung: „Durch die Einrichtung von Lehrstühlen an unseren Unis, die sich mit diesem Thema beschäftigen, schärfen wir ein neues Denken.”
Kataloniens Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland
Etwa 1300 deutsche Firmen sind in Spanien aktiv, davon sind etwa 40 Prozent in Katalonien ansässig. Sie kommen besonders aus den großen Industriebranchen Chemie, Pharma und Auto. Zu den Unternehmen zählen unter anderem Allianz, BASF, Bayer, Bosch, Haribo, Siemens, Lidl und Volkswagen. Mehr als 400 katalanische Betriebe sind in Deutschland vertreten, vom Sekterzeuger Freixenet bis zum Tourismuskonzern Grupo Hotusa.
Deutschland ist neben dem benachbarten Frankreich der wichtigste Handelspartner Kataloniens. 18,3 Prozent der katalanischen Importe stammten 2015 aus Deutschland. Sie summierten sich auf fast 14 Milliarden Euro. Aus keinem anderen Land bezieht die Region mehr Waren. Gefragt sind vor allem Fahrzeuge mit einem Anteil von 34,6 Prozent an den deutschen Lieferungen nach Katalonien, gefolgt von Maschinen und Anlagen mit rund zehn Prozent.
Umgekehrt gehen rund zwölf Prozent der katalanischen Exporte nach Deutschland, was einem Warenwert von mehr als 7,5 Milliarden Euro entspricht. Nur Frankreich nimmt noch mehr Waren ab. Die Region liefert vor allem Fahrzeuge (39 Prozent), Geräte und Elektromaterial (6,5) sowie Kunststoffprodukte (6,3) nach Deutschland. Rund 2700 katalanische Unternehmen exportieren regelmäßig in die Bundesrepublik.
Deutsche Unternehmen haben Milliarden in Katalonien investiert. Allein 2013 waren es fast 900 Millionen Euro, die vor allem auf den Pharmasektor entfielen. 2014 kamen gut 200 Millionen Euro hinzu. 2015 waren es mehr als eine halbe Milliarden Euro, wovon fast ein Drittel auf den Lebensmitteleinzelhandel und mehr als 16 Prozent auf die Chemieindustrie entfielen.
Katalonien mit seinen 7,5 Millionen Einwohnern erwirtschaftet rund 200 Milliarden Euro. Das entspricht etwas einem Fünftel des spanischen Bruttoinlandsprodukts. Das Wachstum fiel 2015 und 2016 mit etwa 3,4 Prozent etwas stärker aus als in Spanien insgesamt. Allein Barcelona zählt mehr als 1200 Startup-Unternehmen.
Die bis vor kurzem noch von Korruption durchsetzte Region wagte 2015 einen Neuanfang, der Valencia wieder aufblühen ließ. „Ab nächstem Jahr werden wir ein öffentliches Register haben mit den Unternehmen, die sozial verantwortlich handeln in unserer Region. Nur diese Firmen werden Aufträge der Stadt oder der Regionalregierung bekommen”, sagt Álvarez, der inzwischen durch die ganze Welt reist, um für die „Gemeinwohl-Ökonomie” zu werben. Um in dieses Firmenregister aufgenommen zu werden, müssen viele Hürden überwunden werden, darunter auch die Aufstellung einer sozialen Bilanz. Für viele Unternehmen ist das Neuland. Vetternwirtschaft, bis vor kurzem noch an der Tagesordnung, soll damit in Valencia bekämpft werden.