Spieltheoretiker zu Griechenland-Verhandlungen Grexit-Drohungen aus Berlin sind sehr riskant

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Sympathien für Athen

Von welchen Drohungen sprechen Sie hier? An Drohungen, die Griechen einfach notfalls aus der Euro-Zone rauszuwerfen, kann ich mich nicht erinnern!
Unmittelbar nach der Wahl in Griechenland hätte ich Herrn Tsipras empfohlen, spieltheoretisch betrachtet, als erstes medienwirksam mit der chinesischen und russischen Führung zu telefonieren und sie zu Kreditverhandlungen einzuladen. Damit kann man gegen die Grexit-Gedankenspiele in Berlin eine Drohung aufbauen. Und tatsächlich wurde Russland von einem griechischen Minister schnell ins Spiel gebracht. Von einer Befreiung griechischer Agrarprodukte vom Importstopp war die Rede, wenn die Griechen die EU-Sanktionen gegen Russland nicht verlängerten. Darüber hinaus dürfte gelten: Je länger sich die griechische Regierung hält, ohne offensichtlich ihr Gesicht zu verlieren, umso eher kann sich ihre Strategie in einem Prozess in der Euro-Gruppe „vermehren“. Die Chancen von Podemos auf einen Wahlsieg in Spanien könnten noch wachsen, und auch in Paris, Rom und sogar in London scheinen gewisse Sympathien für Athen durchaus zu existieren.

Diese Akteure entscheiden den Griechenland-Poker
Wolfgang Schäuble Quelle: dpa
Giannis Varoufakis Quelle: dpa
Mario Draghi Quelle: dpa
Christine Lagarde Quelle: dpa
Jean-Claude Juncker Quelle: dpa

Warum würde die Position Griechenlands in einer solchen Situation an Sympathie unter anderen Euro-Ländern gewinnen?
In der sogenannten evolutorischen Spieltheorie sprechen wir von einem Replikatormechanismus: Eine Strategie kann nach einer bestimmten Zeit mehr Anhänger bekommen. Andere Spieler imitieren dann die als erfolgreich angesehene Strategie. Um weitere Nachfolger der Strategie Griechenlands zu verhindern, wäre ein Grexit-Drohaufbau von Berlin aus sehr riskant, da der Aufbau wechselseitiger glaubwürdiger Drohungen in einem möglichen „Austrittsspiel“ dazu führen kann, dass „Grexit“ wirklich für beide Seiten die beste Strategie wird. Vieles könnte hier die Rahmenbedingungen der Interaktionen beeinflussen, das Bild der deutschen Hegemonie, Mitleid mit den Griechen oder auch Bewunderung für den Heldenmut des Athener „David“ – und zwar selbst im Grexit-Fall.

Die Bilder der Griechenland-Wahl
Starke Prognose für Syriza: Auf der Wahlparty des Linksbündnisses wird bei der Veröffentlichung der ersten Zahlen laut gejubelt. Quelle: ap
Den Tränen nahe: Einige Mitglieder feiern den Wahlsieg emotional. Quelle: Reuters
Dagegen herrscht bei der bisherigen Regierungspartei Nea Dimokratia Entsetzen – sie landet deutlich hinter Syriza. Quelle: ap
Pure Enttäuschung bei den Anhängern von Nea Dimokratia. Die bisherige Regierungspartei sackt deutlich ab. Quelle: Reuters
Schon die erste Wahlprognose sah Syriza mit 35,5 bis 39,5 Prozent vorne. Das ließ die Anhänger auf der Wahlparty jubeln. Quelle: Reuters
Auf der Wahlparty des linksradikalen Bündnisses Syriza feierten auch Deutsche mit – Anhänger der Linken. Die wollen „von Griechenland aus Europa verändern“. Quelle: Reuters
Alexis Tsipras (M.) war schon vor den ersten Prognosen der Mann des Tages. Wo der haushohe Favorit vom radikalen Linksbündnis Syriza auch auftauchte, das Interesse war gewaltig. Quelle: dpa

Aber der Grexit kann doch keine erfolgreiche Strategie Griechenland sein. Das Land stünde vor dem Kollaps. Das kann doch niemand ernsthaft nachahmen wollen?
Das ist eine ökonomische Faktenfrage, jenseits spieltheoretischer Argumentation. Ob Griechenland von fortgesetzter Austerität weniger zu befürchten hat im Hinblick auf ökonomischen Kollaps und humanitäre Katastrophe als von einem Ausstieg aus der Eurozone, darüber streiten sich ja Ökonomen und sogar Wall-Street-Größen seit Monaten. Wäre das exakt darstellbar, wüssten wir deutlich mehr über die Anreizstrukturen und könnten spieltheoretisch deutlich besser analysieren. Meiner Ansicht nach sollte Frau Merkel Herrn Tsipras mit dem Angebot, das er gemacht hat, beim Wort nehmen: Wir geben Euch mehr Zeit und Ihr zahlt die Schulden auf Heller und Pfennig zurück. Allerdings sollen Zinszahlungen und Tilgungen, vielleicht nach einigen zins-und tilgungsfreien Jahren, dann an das griechische Wachstum gekoppelt werden. Bisher ist der zu verteilende griechische Kuchen ja nur kleiner geworden. Wenn man es schafft, Wachstum mit dem nötigen Strukturwandel wieder herzustellen, wäre eine Win-Win-Situation wieder möglich. Wie gesagt, ich halte einen möglichen Gewinn für Berlin mit der Strategie „Maximalforderung“ – also der „Draufgänger“ mit starker Drohkulisse – für wesentlich riskanter. Da es sich hierbei aber auch um zum Teil ideologische Fragen handelt, über die kein Konsens besteht, ist es wichtig, dass jede Seite ihre eigene Rhetorik behalten darf, um die Interaktion am Laufen zu halten und weiterhin „gemischt“ miteinander spielen zu können. Jeder darf dann mal als Draufgänger dastehen, und jeder muss mal der Feigling sein.

Das Problem wird nur sein, dass die griechische Regierung nicht den Anschein macht, sich an irgendetwas zu halten, was sie vorher gesagt hat. Denken Sie nur an die Sitzung der Euro-Gruppe am Rosenmontag, als Herr Varoufakis seine Zustimmung zurückzog, obwohl er Initiator des Kompromisses war.
Hauptsache die Interaktion geht weiter und man gibt nicht den gemeinsamen Faden aus der Hand. Das weiß ganz sicher auch Herr Varoufakis als gelernter Spieltheoretiker und Frau Merkel als strategisches Naturtalent. Die Angebote der griechischen Regierung sind ja bereits ein Abweichen von ihren Wahlversprechen. Im normalen Lebensprozess zwischen Gleichberechtigten gibt es immer alle Konstellationen von Zwischenergebnissen, Win-Win, Win-Lose, Lose-Win und Lose-Lose. Wenn beide immer nur ihre Maximalforderungen wollen, nur Draufgänger sein im Autospiel, die ihre Lenkräder vorher demonstrativ festschrauben, dann landen beide auf dem Friedhof.

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