Auf den ersten Blick ist alles wie in Deutschland: Das blau-gelb-rote Lidl-Logo hat seinen festen Blick in der oberen linke Ecke des finnischen Werbeprospekts. Der Discounter wirbt mit Produkten, die auch der deutsche Kunde kennt, und über den Preisen wird in der roten Signalfarbe auf den Rabatt hingewiesen. Um 21 Prozent ist Gulasch in dieser Woche reduziert. Dennoch – und spätestens hier wird der deutsche Lidl-Kunde schlucken – kostet die Packung 4,29 Euro. Einen Schokoriegel gibt es für einen Euro und Lachs in der 1-Kilogramm-Packung kostet 9,99 Euro. Preise, mit denen der Discounter in Deutschland seine Kunden scharenweise zur Konkurrenz treiben würde. Doch in Finnland ist Lidl mit diesen Preisen mehr als konkurrenzfähig.
„So richtig bringt das Einkaufen in Finnland keinen Spaß mehr“, sagt Esther Kreutz. Die junge Mutter, gebürtig aus Neu-Anspach bei Frankfurt, lebt seit sieben Jahren in dem Nordstaat. „Es war schon immer teuer, hier zu leben. Das Problem ist, dass die Preise immer weiter steigen. Zuletzt zu Jahresbeginn.“ Inzwischen liegen die Preise in Finnland 24,7 Prozent über dem Durchschnitt der 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Zum Vergleich: Deutschland liegt nur winzige 3,2 Prozent über dem Durchschnitt. Bei den Lebensmitteln ist es besonders gravierend. Käse ist fast 60 Prozent teurer als in Deutschland, Schokolade und Brot sind mindestens 50 Prozent teurer.
Preisvergleich Finnland - Deutschland
Sind die Lebensmittel in Finnland wirklich so teuer? WirtschaftsWoche Online hat die Prospekte von Discounter Lidl in Deutschland und Finnland Ende Januar/ Anfang Februar studiert und die Preise verglichen.
Drei Salami-Tiefkühlpizzen der Marke Alfredo kosten regulär im finnischen Lidl-Markt 3,99 Euro. Im Angebot gibt es das Dreierpack für 2,99. In Deutschland kosten die drei Pizzen regulär nur 2,49 Euro. In Finnland kosten sie damit 60 Prozent mehr.
In Deutschland kostet die 400-Gramm-Packung von Dulano regulär 1,99 Euro. In Finnland kostet die gleiche Packungsgröße – hier ist das Kebab-Fleisch von der Marke Marvest – normalerweise 3,49 Euro. Reduziert bietet Lidl das Fleisch auch in Finnland für 1,99 Euro an. Regulär allerdings ist das Kebab in Finnland 75 Prozent teurer.
Abgepackter Tilsiter der Marke Milbona in der 400-Gramm-Packung kostet bei Lidl in Deutschland regulär 1,89 Euro. Im Angebot gibt es den Käse 26 Prozent günstiger, also für 1,39 Euro. 100 Gramm kosten demzufolge 35 Cent.
In Finnland kostet die 200-Gramm-Packung Gouda, Marke Linessa regulär 1,69 Euro. Derzeit ist der Käse im Angebot. Er ist 30 Prozent günstiger und kostet 1,19 Euro. Das sind 59,5 Cent pro 100 Gramm. Der Käse ist demnach in Finnland rund 59 Prozent teurer.
Gleiches Produkt, ungleicher Preis: Orangensaft im 1,5-Liter-Tetrapack kostet in Deutschland 0,89 Euro. In Finnland gibt es den Orangennektar derzeit im Angebot für 0,99 Euro. Regulär kostet das Tetrapack 1,39 Euro. Damit ist der Orangensaft in Finnland normalerweise 56 Prozent teurer.
Der italienische Käse aus Kuhmilch der Marke Lovilio kostet in der 125-Gramm-Packung in Deutschland regulär 0,49 Euro. In Finnland gibt es den gleichen Käse derzeit für 0,45 Euro – er ist bei Lidl im Angebot und um 43 Prozent reduziert. Normalerweise kostet der Mozzarella 0,79 Euro und damit 61 Prozent mehr als in Deutschland.
Zwei Gründe sind dafür maßgeblich, erklärt Torsten Pauly, der seit knapp zwei Jahren in Helsinki lebt und dort Repräsentant bei "Germany Trade & Invest" ist, der Bundesgesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing. „Finnland ist ein sehr kleiner Markt. In einem flächenmäßig sehr großen Land, in dem die Spediteure weite Wege zurücklegen müssen, leben nur etwas mehr als 5,3 Millionen Menschen. Das ist eine überschaubare Zielgruppe.“ Zudem sei der Einzelhandel oligopolistisch geprägt. Es gibt nur vier große Unternehmen auf dem Lebensmittelmarkt: Die finnischen Handelskonzerne S-Gruppe, K-Gruppe und Suomen Lähikauppa und der deutsche Discounter Lidl kommen gemeinsam auf über 94 Prozent Marktanteil. „Bäckerei- oder Fleischerketten gibt es in Finnland kaum“, sagt Pauly. Selbst in Helsinki nicht. Auch Bio-Läden sind eine Rarität.
Geringer Wettbewerb in Finnland
Die großen Konzerne können so fast willkürlich die Preise festlegen. Wie in Deutschland auf dem Benzinmarkt gilt: Eine Krähe sticht der anderen kein Auge aus. „Der Wettbewerb ist sehr gering“, sagt Pauly.
Lidl profitiert vom hohen Preisniveau bei den Lebensmitteln. Ohne die Zahl der Filialen zu vergrößern, konnte der deutsche Discounter nach eigenen Angaben seinen Marktanteil von fünf auf rund sieben Prozent ausbauen. Vor allem die Rabatte des gelb-blau-roten Riesen wecken regelmäßig die Aufmerksamkeit der Kunden. Um Hamsterkäufe zu verhindern, rationiert Lidl die Ausgabe von Lebensmitteln. Unglaublich, aber wahr: Mehr als zwei Torten und zwei 500-Gramm-Packungen Kebab-Fleisch darf kein Kunde kaufen.
"Solange der Vorrat reicht" gilt in Finnland nicht
„Lidl Finnland erzielt eine rege Nachfrage, etwa durch Gastronomen“, erklärt das Unternehmen gegenüber WirtschaftsWoche Online. „Weil Lidl aber alle Privatkunden und Haushalte gleichermaßen bedienen möchte, kann es dazu kommen, dass Artikel nur in begrenzter Stückzahl abgegeben werden – eine Praxis, die im finnischen Lebensmitteleinzelhandel durchaus gängig ist und von unseren Kunden akzeptiert wird.“
Das gilt für Fleisch, Tiefkühlkost und Schokolade, aber auch für Obst und Gemüse. Die Mitarbeiter an der Kasse kontrollieren die Einhaltung der Regeln – auf die im Prospekt auch hingewiesen wird. Lidl und seine Konkurrenten wollen mit der begrenzten Abgabe von Lebensmitteln nicht nur die Kunden zufrieden stellen, sondern auch Konflikte mit dem finnischen Wettbewerbsrecht verhindern. Denn wer Angebote ankündigt, muss diese auch im gesamten Aktionszeitraum gewährleisten. „Hinweise wie ,solange der Vorrat reicht‘ sind nicht zulässig“, bedauert Lidl.
Für die Kunden ist der Einkauf so oft mühsam. „Ein typisches finnisches Kaufverhalten kann ich in meinem Bekanntenkreis nicht erkennen “, sagt Esther Kreutz. Viele Familien würden am Freitag einen großen Wocheneinkauf machen, andere eher in kleinen Schüben. „Ich kaufe eher spontan ein und schaue, was gerade im Angebot ist.“
Wissenswertes über Finnland
Finnland ist zwar nur wenig kleiner als Deutschland, dafür hat das Land im Norden lediglich 5,4 Millionen Einwohner. Die Mehrheit davon wohnt im Süden des Landes und im Großraum Helsinki. Etwa 40 Prozent der Bevölkerung leben in Südfinnland, das entspricht einer Dichte von 62,6 Einwohnern pro Quadratkilometer. Im Norden des Landes, in Lappland, sind es nur 1,9 Einwohner je Quadratkilometer.
Die finnische Nationalhymne wird in mehrfacher Hinsicht geteilt: Zum einen benutzt Estland die gleiche Melodie (komponiert von Fredrik Pacius) als Nationalhymne, zum andern existiert die finnische Hymne in zwei Sprachen. Ein Großteil der Bevölkerung singt die Maamme (finnisch), während ein kleiner Teil Vårt land (schwedisch) singt. Die autonome Provinz Åland hat ihre ganz eigene Nationalhymne, das Ålänningens sång.
Wegen der schwedischen Minderheit müssen alle Gemeinden, in denen Finnisch und Schwedisch sprechende Menschen leben, Unterricht in beiden Sprachen anbieten. Die Schulpflicht gilt in Finnland wie auch in Deutschland bis zum 16. Lebensjahr. Neun Jahre lang gehen die Finnen in die peruskoulu, eine Art gemeinsame Grundschule.
In Finnland haben drei Konzerne die Macht über den Lebensmittel- und Getränkemarkt: S-Markt, K-Markt und Suomen Lähikauppa halten gemeinsam fast 90 Prozent. Ausländische Konzerne und Ketten haben es wegen des geringen Marktvolumens eher schwer. Bäckerei- oder Fleischerketten gibt es in Finnland kaum.
Die Finnen verkaufen seit jeher Holz und Papier. In den Siebzigerjahren machten diese Industriezweige über die Hälfte des finnischen Exportes aus. Dann kamen Nokia und Co. und Finnland wandelte sich von einer Agrar- zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Doch auch heute noch stellen die finnischen Wälder den wichtigsten Rohstoff des Landes dar.
Dennoch sind mittlerweile Maschinen der finnische Exportschlager (8,4 Milliarden Euro in 2010). Sie machen 16 Prozent des Exports aus. Gefolgt von Papier und Pappe mit 14 Prozent (7,3 Milliarden Euro im Jahr 2010). Außerdem ist Heavy Metal in Finnland ausgesprochen populär. Die Finnen versorgen Europas und Amerikas Metal-Fans mit Rock- und Metalbands wie Children of Bodom, Nightwish oder dem Eurovision Song Contest-Gewinner Lordi.
Namhafte Finnen sind die Regisseure Aki und Mika Kaurismäki, die Komponisten Jean Sibelius und Levi Madetoja, sowie die Rennfahrer Mika Häkkinen und Kimi Räikkönen. Der reichste Finne ist laut aktueller Forbes-Liste übrigens Antti Herlin, der es dank seiner Maschinenbau- und Servicefirma KONE Corporation auf ein Vermögen von rund zwei Milliarden Dollar gebracht hat.
Der gemeine Finne betätigt sich gern sportlich, zum Teil auch in kuriosen Disziplinen. Großer Beliebtheit erfreut sich in Finnland beispielsweise das Frauentragen. Die "Wife Carrying World Championship Games" finden in Sonkajärvi in Ostfinnland seit 1992 statt. Genauso beliebt sind Melkschemel- oder Handy-Weitwurf, Mückenklatschen und Beeren pflücken als Teamsport. Seit 2011 finden übrigens auch Weltmeisterschaften im Schlammfußball in Finnland statt.
Alkohol ist in Finnland verhältnismäßig teuer, auch wenn 2004 die Alkoholsteuer um 33 Prozent gesenkt worden ist. Auch der Verkauf ist streng reglementiert: Getränke mit mehr als 4,7 Prozent Alkoholgehalt dürfen nur in staatlichen Monopolgeschäften, den Alkoshops, verkauft werden. Wer in der Kneipe eine Flasche Bier bestellt, muss 18 Jahre alt sein und mit fünf Euro pro Flasche rechnen. Vom Trinken scheint das die Finnen aber nicht abzuhalten. Im Jahr 2005 war Alkohol die häufigste Todesursache unter Finnen im arbeitsfähigen Alter.
Längst rufen die Bürger nach dem Staat, fordern Deregulierung und eine Entlastung bei den Preisen. Doch statt etwa die Mehrwertsteuer zu senken, erhöhte die Regierung in Helsinki die Konsumabgabe. Zum Jahresbeginn stieg sie von 23 auf 24 Prozent (Deutschland: 19 Prozent). Auf Lebensmittel gilt eine reduzierte Umsatzsteuer, doch die liegt immerhin noch bei 14 Prozent (Deutschland: sieben Prozent). Grund für die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist die Schuldenkrise.
Finnland fordert, dass in der Währungsgemeinschaft die Haushalte konsolidiert werden – und will mit gutem Beispiel voran gehen. Die Maastricht-Kriterien sollen auch weiter eingehalten werden. In diesem Jahr geht die Regierung von einem Haushaltsdefizit von 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.
Das Problem ist: Die große Mehrheit der Euro-Länder ist nicht annähernd so diszipliniert wie die sparsamen Finnen. Zudem stockt anders als in Finnland fast überall im Euro-Raum die Wirtschaft. Die Europäische Zentralbank reagierte und flutet die Märkte mit billigem Geld. Das hilft dem schwachen Süden, kann aber in den stabilen Ländern zu mehr Inflation führen. So in Finnland. Die Teuerungsrate lag im vergangenen Jahr durchschnittlich bei 2,72 Prozent – und damit deutlich über dem Richtwert der EZB von 2,0 Prozent.
Gute Chancen für deutsche Händler
„Das Preisniveau in Finnland ist schon erheblich“, sagt Pauly. Für Entlastung sollen nun die Unternehmen sorgen. Wie im Jahr 2012 sollen auch in diesem Jahr die Löhne steigen. Bis zu 3,3 Prozent könnten die Angestellten am Ende des Monats mehr im Portemonnaie haben. Auch die Beschäftigung soll steigen (+0,3 Prozent).
Das wiederum könnte den deutschen Discountern in die Karten spielen. „Natürlich böten sich vor diesem Hintergrund auch Chancen für weitere deutsche Unternehmen in Finnland“, sagt Pauly. Die Margen seien attraktiv und würden es auch weiter bleiben.
Der richtige Umgang mit Finnen
Smalltalk ist in Finnland eher unüblich, wichtig ist es, auf den Punkt zu kommen. Bei Gesprächen geht es ruhig bis reserviert zu. Redeflüsse sind, wie auch Unterbrechungen des Gegenübers, eher unhöflich. Wer das Eis brechen möchte, sollte auf gemeinsames Essen oder Saunagänge setzen und nicht versuchen, das Gegenüber mit flapsigen Sprüchen oder Monologen für sich zu begeistern.
Auch auf Höflichkeitsfloskeln wird nicht allzu viel Wert gelegt. Wer in der Kneipe einfach nur "Olut" - also "Bier" - sagt und sich das "bitte" spart, macht nichts falsch. Dafür wird das Wort Kiitos (danke) sehr häufig verwendet. Beim Beispiel Bier bestellen hieße es in diesem Fall "olut kiitos". Wer von Geschäftspartnern zum Essen oder nur zu einem Spaziergang eingeladen wird, sollte sich auf jeden Fall dafür bedanken.
Händeschütteln ist erlaubt, im privaten Rahmen aber eher unüblich. Bei einer geschäftlichen Begrüßung gehört es dazu, beim Händeschütteln Vor- und Nachnamen zu nennen. Im finnischen gibt es zwar eine Entsprechung für die Anredeform "Sie", im Normalfall duzt man sich aber. Briefe beginnen meistens mit Hei, also Hallo.
Wer zum Geschäftspartner oder Kollegen nach Hause eingeladen wird, sollte an ein kleines Geschenk denken. Blumen und Wein sind in Ordnung, zu protzig sollte es nicht werden. Unangemeldet sollte man bei Finnen - weder privat noch dienstlich - aber nie vor der Tür stehen. Auch nicht mit Gastgeschenken.
Bei geschäftlichen Treffen sind Visitenkarten dringend notwendig. Unternehmen, die international tätig sind, haben diese in der Regel auch in Englisch. Für das Überreichen gibt es keine festen Regeln. Wer seinem Gegenüber weiteres Infomaterial über das eigene Unternehmen zukommen lassen möchte, sollte darauf achten, dass die Inhalte kurz und präzise sind. Geschwafel kommt nicht gut an.
Da Smalltalk in Finnland nicht sonderlich verbreitet ist, überlässt man am besten dem Gegenüber die Wahl der Themen. Für Unterhaltungen jenseits des Geschäftsabschlusses ist es von Vorteil, sich ein wenig mit finnischer Geschichte oder finnischen Prominenten auszukennen. Das erleichtert die Themenwahl. Kritik an Finnland, der dortigen Politik oder Gespräche über Arbeit und Geld sind dagegen eher ungeeignet.
Beim Thema Kleiderordnung gilt ähnlich wie in Deutschland: Männer machen mit Anzug und Krawatte nichts falsch, Frauen sollten Hosenanzug, Kostüm oder Kleid tragen. Jeans und T-Shirt gehören genauso wenig zum Businessoutfit wie in Deutschland. Sollte ein bestimmter Dresscode gefordert sein, wird man auf der Einladung darauf hingewiesen.
Einziges Problem: Die Finnen kaufen gerne finnische Produkte. "Die Menschen hier sind sehr heimatbewusst mit Blick auf die Lebensmittel und kaufen lieber 'finnische' als 'deutsche' Milch", weiß Esther Krenz.
Das musste auch Lidl lernen. Der Discounter, seit 2002 in Finnland, hat erst an Attraktivität gewonnen, nachdem der Anteil finnischer Produkte erhöht wurde. Inzwischen aber brummt das Geschäft, die Zahl der Filialen – aktuell betreibt Lidl 140 Geschäfte in Finnland – soll steigen, heißt es auf Nachfrage aus der Konzernzentrale in Neckarslum. „Wir erachten den finnischen Markt als sehr attraktiv und sind bestrebt, unser Engagement in der Zukunft auszubauen."