Stephans Spitzen

Keine Angst vor dem Brexit!

Cora Stephan Politikwissenschaftlerin

Im Brexit-Wahlkampf heizt sich die politische Debatte auf. Auch jenseits von Großbritannien wird es höchste Zeit, die Frage zu stellen, ob die EU tatsächlich eine weltpolitische Notwendigkeit ist.

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Was Partnerländer über einen EU-Ausstieg denken
US-Präsident Barack Obama in London Quelle: AP
Die chinesische Flagge vor einem Hochhaus Quelle: dpa
Ein paar Rial-Scheine Quelle: dpa
Der russische Präsident Wladimir Putin Quelle: REUTERS
Das Logo des japanischen Autobauers Nissan Quelle: REUTERS

Wie wird das Referendum der Briten über den Brexit ausgehen? No one knows. Ich persönlich fände den Ausstieg Großbritanniens aus der EU aus einem Grund bedauerlich, der bei den kühlen Briten allerdings höchstens auf mildes Lächeln stieße: wenn Großbritannien geht, bleibt Deutschland mit Frankreich allein. Das ist, angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs unseres Nachbarn, keine schöne Aussicht. Andererseits: die Chance, dass der britische Pragmatismus in der EU obsiegt oder dass es gar eine nördliche Allianz der Vernunft gibt, ist schon lange verspielt. Auch ohne den Austritt Großbritanniens fällt die EU als Zukunftsmodell aus. Und das ist die eigentliche Frage, die uns umtreiben sollte.

Also: macht, liebe Briten, was ihr für richtig haltet. Habt ihr ja immer schon getan.

Der Theaterdonner, der auf beiden Seiten veranstaltet wird, trifft, scheint mir, nur am Rande, worum es eigentlich geht. Die Briten verlieren weder ihre Kultur und ihre Eigenheiten, wenn sie bleiben, noch verlieren sie ihren Wohlstand, wenn sie gehen. Doch die Stimmung ist auf beiden Seiten derart aufgeheizt, dass selbst der tödliche Angriff auf Jo Cox instrumentalisiert wird – ausgerechnet von jener Seite, die sich ansonsten gern jede Instrumentalisierung verbittet, sofern sie der Gegenseite nützen könnte. Also hieß es umgehend, es könne unmöglich ein gestörter Einzeltäter unterwegs gewesen sein, nein: die „Brexiteers“ hätten beim Angriff auf die EU-Befürworterin mitgestochen und –geschossen.

In deutschen Debatten wird ja gern ähnlich instrumentalisiert: Pegida hat mitgestochen, wusste man im deutschen Blätterwald, als ein Eritreer in Dresden tot aufgefunden wurde (Opfer, wie sich herausstellte, eines Landsmanns). Auch bei der Attacke auf Henriette Reker führten selbstredend alle das Messer, die mit mehr oder weniger guten Gründen die Migrationspolitik der Bundesregierung kritisieren. An solche Kurzschlüsse wird man sich wohl gewöhnen müssen. Die politische Debatte verschärft sich – denn es geht ja um etwas, um etwas Existentielles.

Aber, um bei der EU zu bleiben, um was genau? Um den Frieden, den Wohlstand, die Zukunft, die Solidarität, das wohlverstandene Eigeninteresse, das weltpolitische Gewicht Europas?

Correct me if I’m wrong: aber hat sich das weltpolitische Gewicht Europas nicht längst massiv verringert, vor allem durch das Experiment „Eurozone“, dass uns nicht die Gleichheit, sondern die Gegensätzlichkeit der Interessen der europäischen Nationen vorgeführt hat? Kommt ohne EU der Handel zum Erliegen, der doch vorher auch schon ganz gut geklappt hat? Ist Solidarität in Form einer Transferunion nicht lediglich eine neue Weise, „gerettete“ und subventionierte Länder in Abhängigkeit zu halten? Dass es einem Land auch ohne EU wirtschaftlich glänzend gehen kann, demonstrieren die Schweiz und Norwegen. Gibt es also eine weltpolitische Notwendigkeit für die EU, sofern sie mehr sein will als ein freier Verbund selbständig agierender Gemeinwesen, die ihre Interessen kennen?

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