Sterbehilfe-Weltkonferenz Das harte Ringen um den sanften Tod

Auf dem Tisch liegt eine Glasampulle mit Helium, für den „garantiert“ schmerzlosen Suizid. Sterbehilfe-Aktivisten wollen das Tabu durchbrechen. Doch Staaten tun sich schwer mit dem Tod auf Verlangen.

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Streitfall Sterbehilfe: Die Staaten tun sich schwer mit gesetzlichen Regelungen. Quelle: dpa

Sue Carter will sterben. Die Kanadierin leidet an der Muskelkrankheit ALS. Immer mehr Körperfunktionen fallen aus, Sue leidet qualvoll. Ihr Arzt darf ihr Leben aber nicht beenden, in Kanada ist Sterbehilfe verboten. 1992 zieht Sue vor Gericht - und verliert. Zwei Jahre später stirbt sie - mit der Hilfe eines anonymen Arztes.

Das Schicksal von Sue Carter setzte in Kanada eine Debatte in Gang, die nicht mehr zu stoppen war, berichtete Julie Besner vom kanadischen Justizministerium bei der Weltkonferenz zur Sterbehilfe „Euthanasia“, die an diesem Samstag in Amsterdam zu Ende geht. Jetzt, fast ein Vierteljahrhundert nach dem spektakulären Prozess, legte die Regierung einen Gesetzentwurf zur ärztlichen Sterbehilfe vor. „Es war ein langer Weg“, sagte die Juristin.

Für die rund 800 Aktivisten, Juristen, Wissenschaftler und Mediziner bei der Weltkonferenz in Amsterdam ist es eine Erfolgsstory. Doch es ist eine Ausnahme. Fälle wie die von Sue Carter gibt es in vielen Ländern. Sie erregen viel Anteilnahme, und viele Bürger finden die Urteile gegen Patienten und Ärzte ungerecht.

Doch Staaten tun sich schwer mit gesetzlichen Regelungen. In Europa etwa gibt es nur in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg Gesetze, die die ärztliche Sterbehilfe unter strengen Bedingungen gestatten. In der Schweiz ist Hilfe zum Suizid erlaubt. Nirgendwo gibt es ein Recht auf Sterbehilfe.

Niederlande für viele Vorbild

Keiner will qualvoll sterben. Doch der sanfte Tod hat nur eine kleine Lobby. 50 Organisationen in 22 Ländern streiten für die Selbstbestimmung von Patienten und Straffreiheit für Ärzte. Sie heißen „Dignitas“ oder „Exit“ und warben in Amsterdam mit Postern, Videos und Broschüren für „einen friedlichen Tod als Menschenrecht“. Sie versenden Tipps für einen „würdevollen, schmerzfreien Suizid“. Im Kongress-Zentrum Rai legte eine australische Vereinigung ein Selbsthilfepaket aus: Eine Helium-Ampulle in neutraler Verpackung.

Viele der Organisationen arbeiten am Rande der Legalität. So berichtete die Schweizer Ärztin Erika Preisig emotional: „Wenn ich jetzt nach Deutschland fahre und einen Patienten berate, riskiere ich drei Jahre Gefängnis“. Ende 2015 hatte der Bundestag das Gesetz verabschiedet, das geschäftsmäßige Hilfe zum Suizid verbietet. Dazu gehöre auch die Unterstützung von Sterbehilfe-Vereinen, erläuterte eine Vertreterin der deutschen Gesellschaft für humanes Sterben. „Das ist ein enormer Rückschritt.“

Für die Teilnehmer der Amsterdamer Konferenz sind die Niederlande ein Paradies. Dort war 2002 als erstes Land der Welt ein Euthanasiegesetz in Kraft getreten. Rund 5300 Leben werden jährlich unter strengen Bedingungen von einem Arzt beendet, etwa vier Prozent aller Sterbefälle.

Ein schwieriges Dilemma

Doch einfach war der Weg nicht, sagt der niederländische linksliberale Politiker Boris van der Ham. „Es hat 40 Jahre gedauert.“ Van der Ham gibt Tipps auf der Konferenz. „Suchen Sie Verbündete in allen Parteien, auch und gerade bei den Konservativen.“

Doch für Lebensschützer, aber auch viele Politiker ist die Praxis in den Niederlanden eine Schreckensvision. Bei den Gegnern ist die Angst groß, dass die Legalisierung eine Abwärtsspirale in Richtung Missbrauch in Gang setzt.

In Deutschland etwa ist die Erinnerung an den Massenmord der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg noch lebendig. Der Vernichtung „lebensunwerten Leben“ gaben die Nazis den zynischen Namen „Euthanasie“ - das griechische Wort für den sanften Tod.

Und es gibt eben auch andere Fälle als der von Sue Carter. Demente, Altersmüde oder psychisch Kranke etwa. Wie die junge Niederländerin, die nach sexuellem Missbrauch schwer depressiv geworden war. Sie war unheilbar psychisch krank, bescheinigten die Ärzte. 2015 starb sie mit Hilfe eines Arztes. Der Fall empört nun Lebensschützer in England und Frankreich.

Auch mit einem Gesetz bleibt für den Staat das schwierige Dilemma, sagte die kanadische Juristin Besner. „Wir müssen ein Gleichgewicht finden zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen über seinen Körper und dem staatlichen Auftrag, das Leben zu schützen.“

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