Eine der größten Problembaustellen Griechenlands ist die völlig ineffiziente Finanzverwaltung. Würde sie funktionieren, bräuchte das Land gar kein neues milliardenschweres Hilfsprogramm. So gibt es rechtskräftige Steuerbescheide in Höhe von über 70 Milliarden Euro, bei denen aber kein Geld an den Fiskus geflossen ist. Dieser Betrag reicht an die Dimension des Hilfspakets mit seinen 86 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren heran.
„Das Geld wird gar nicht eingetrieben“, sagt der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, kopfschüttelnd. Für Eigenthaler handelt es sich hier „um eine Mischung aus politischem und verwaltungsmäßigem Versagen“. Und er ist skeptisch hinsichtlich einer baldigen Abschaffung dieses Missstandes.
Der oberste deutsche Steuergewerkschafter erklärte im Gespräch mit der WirtschaftsWoche: „Selbst wenn die Griechen es jetzt wirklich wollen, dauert es zehn Jahre, bis es in Griechenland eine funktionierende moderne Steuerverwaltung gibt.“ Dazu bedürfe es viel neuer Technik und EDV, Ausbildung und staatlicher Vorschriften, mit denen die Finanzbeamten in die Lage versetzt werden könnten, Steueransprüche zu erfassen und auch durchzusetzen. Daneben betonte Eigenthaler, dass hierfür auch die Akzeptanz in der eigenen Bevölkerung vorhanden sein müsse.
Solange aber die Finanzverwaltung nicht funktioniert, sind Zweifel am Erfolg des neuen, dritten Rettungspakets angebracht. Bisher jedenfalls hat die griechische Regierung auch so gut wie gar nicht die Hilfsangebote zur Verbesserung der Finanzverwaltung angenommen. Deutschland zum Beispiel hatte über hundert Steuerexperten über Jahre offeriert. Dabei kamen allein in den Jahren 2011, 2012 und 2013 nur zehn deutsche Finanzbeamte zu kurzzeitigen Einsätzen, teilt das Bundesfinanzministerium mit. Doch nun versucht ausgerechnet das Bundesfinanzministerium, das während der Verhandlungen mit den Griechen in den vergangenen Monaten noch höchst skeptisch war, an dieser Stelle Optimismus zu streuen.
Auf eine Anfrage der WirtschaftsWoche zur Effizienz der griechischen Finanzverwaltung antwortete das Ministerium von Wolfgang Schäuble in einer Ausführlichkeit, die wir an dieser Stelle in Frage und Antwort dokumentieren:
Wie die Euroländer über das dritte Hilfsprogramm entscheiden
Der Bundestag wird an diesem Freitag in einer Sondersitzung über die Aufnahme von Verhandlungen entscheiden - wenn Athen bis dahin alle Bedingungen erfüllt hat. Aus Kreisen der Unionsfraktion hieß es am Montag, der Beginn der Sitzung sei für 10 Uhr geplant. Nach Abschluss der Verhandlungen müssen die Abgeordneten auch noch über das ESM-Hilfspaket abstimmen, bevor es in Kraft treten kann. Trotz Unmuts in der Union wird mit einer breiten Zustimmung des Bundestags zur Aufnahme der Gespräche gerechnet, da auch weite Teile der Opposition dafür sind.
Dort hat der Parlamentsausschuss für EU-Angelegenheiten dem Finanzminister das Mandat für förmliche ESM-Verhandlungen bereits erteilt. Ein mögliches Hilfspaket für Griechenland bedarf nach Angaben des Finanzministeriums der Zustimmung des gesamten Parlaments. Der Baltenstaat hatte sich für harte Spar- und Reformschritte Athens ausgesprochen.
In Finnland entscheidet das Grand Committee, ein besonderer Parlamentsausschuss, über die Aufnahme von neuen Verhandlungen. In Finnland bestehen noch die größten Zweifel, die Regierung wollte sich noch nicht festlegen.
Staatspräsident François Hollande hat noch in Brüssel eine Debatte in der französischen Nationalversammlung für Mittwoch in Aussicht gestellt. Regierungschef Manuel Valls bekräftigte diesen Zeitplan in Paris. Hollande hat sich vehement für einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone eingesetzt, die Stimmung ist unaufgeregt.
Eine Zustimmung des Parlaments zu Finanzhilfen für Griechenland ist nicht zwingend vorgeschrieben. Sie wäre nur dann erforderlich, wenn beispielsweise das Volumen des Euro-Rettungsfonds ESM ausgeweitet werden sollte und sich dadurch Auswirkungen auf den luxemburgischen Staatshaushalt ergeben könnten. Die Stimmung ist für ein weiteres Hilfspaket.
Die Zustimmung des Parlaments der Niederlande ist zwar für die Aufnahme der Verhandlungen nicht zwingend erforderlich. Aber die Regierung hat gegenüber der Zweiten Kammer des Parlaments eine Informationspflicht. Eine Debatte zumindest mit den Finanzexperten der Fraktionen ist für Mittwoch 13.30 bis 16.30 Uhr geplant. Dazu werden diese aus dem Urlaub zurückgerufen. Möglicherweise wird das aber auf Donnerstag verschoben, weil man erst die Zustimmung Athens abwarten will.
Das Parlament in Wien könnte trotz Sommerpause am Donnerstag oder Freitag zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Österreichs Regierung ist grundsätzlich zu einem neuen Hilfspaket bereit. Voraussetzung ist, dass das Parlament in Athen die von den Euro-Partnern verlangten Reformen absegnet. Für ein neues Hilfspaket wäre in Österreich die Zustimmung einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Parlaments erforderlich. Allerdings könnte sich die Regierung das grüne Licht dafür auch in einem Dringlichkeitsverfahren vom ständigen ESM-Unterausschuss des Parlaments geben lassen.
Die Abgeordneten müssen einem neuen Hilfspaket zustimmen, aber nicht über die Aufnahme von Verhandlungen. In Lissabon ist die Sorge am größten, dass eine Pleite Griechenland oder gar ein Ausstieg aus der Eurozone eine Ansteckungsgefahr bedeuten würde.
Das Parlament braucht einer ESM-Hilfe für Griechenland nicht zuzustimmen. Die slowakische Regierung habe für den ESM ein freies Verhandlungsmandat. Die Stimmung ist sehr kritisch, weil selbst sehr hart gespart wurde, deshalb wird das auch von Athen verlangt.
Nach Darstellung des Finanzministerium vom Montag muss das Parlament in Slowenien nun doch nicht zustimmen, weil es nun um ein Hilfspaket des Eurorettungsschirm ESM geht. Dieser ESM-Mechanismus ist bereits genehmigt vom Parlament. Finanzminister Dusan Mramor hat jedoch eine enge Zusammenarbeit mit der Volksvertretung angekündigt. Da das Land verglichen mit seiner Größe die größte Last an Krediten und Garantien schultern würde, herrscht auch hier Skepsis vor.
Die Aufnahme der ESM-Verhandlungen muss nicht vom Parlament bestätigt werden, ein neues Paket dagegen schon. In Spanien wird auf eigene großen Anstrengungen verwiesen, das müsse auch für Griechenland gelten.
WirtschaftsWoche Online: Gibt es bezüglich der griechischen Steuerverwaltung neue Bemühungen zur Erhöhung der behördlichen Effizienz?
Bundesfinanzministerium: Um die Zahlungsdisziplin bei Steuern und Sozialabgaben zu verbessern, hat sich die griechische Regierung verpflichtet, Maßnahmen zur Verbesserung der Steuererhebung zu ergreifen und weder neue Teilzahlungs- oder sonstige Amnestie- oder Vergleichsregelungen einzuführen noch bestehende Regelungen zu verlängern. In dem zwischen den europäischen Institutionen unter Beteiligung des Internationalen Währungsfonds mit Griechenland ausgehandelten Memorandum of Understanding (MoU) gibt es einen gesonderten Abschnitt, in dem es um Reformen der Steuerverwaltung geht. (…)
Zur Stärkung der Verwaltungskapazitäten ist beispielsweise vorgesehen, dass die Personalbesetzung bis Oktober 2015 der für die Beitreibung von Sozialabgaben zuständigen Behörde vollständig sichergestellt wird. Die griechischen Behörden sollen die Kontrollkapazitäten der Sozialversicherungsanstalt stärken und die für Großschuldner zuständige Arbeitseinheit verstärken, um die Kapazitäten in den Bereichen Abwicklung und Steuererhebung sowie – mit hochqualifizierten Rechtsberatern und Unterstützung einer internationalen unabhängigen Beratungsfirma – zur Beurteilung der Zahlungsfähigkeit von Schuldnern zu verbessern. Gestärkt werden soll auch die Unabhängigkeit der Finanzverwaltung. Bis Oktober 2015 werden die Behörden Rechtsvorschriften zur Einrichtung einer autonomen Steuerbehörde erlassen(…).