Damit drängt sich aber die Frage auf, warum die EZB negative Zinsen berechnet? Letztendlich möchte die EZB genau das erreichen, was oben beschrieben wurde. Geldhaltung soll unattraktiv sein, überschüssige Liquidität soll wirtschaftlich genutzt werden.
So sollen Geschäftsbanken einen größeren Anreiz bekommen, mehr Kredite zu vergeben, die Einlagen ihrer Kunden also als Kredite an private Haushalte oder Unternehmen weiterzugeben, was eine ihrer grundlegenden Aufgaben im Wirtschaftssystem darstellt.
Denn die Kreditvergabe im Euroraum ist rückläufig. Diese ungünstige Entwicklung möchte die EZB mit den negativen Zinsen beheben oder zumindest lindern. Das Problem dabei ist jedoch, dass in Deutschland das Kreditangebot der Banken die Kreditnachfrage deutlich übersteigt. Es ist also in der Realität sehr schwer, das Kreditengagement auszuweiten.
Die Rolle der EZB nach dem Maastricht-Vertrag
Artikel 104 (1) Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der EZB oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (...) für Organe oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die EZB oder die nationalen Zentralbanken.
Artikel 104 b (1) Die Gemeinschaft haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein. (...)
Artikel 107 Bei der Wahrnehmung der ihnen durch diesen Vertrag und die Satzung des ESZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf weder die EZB noch eine nationale Zentralbank, noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen.
Artikel 105 (1) Das vorrangige Ziel des ESZB (Europäisches System der Zentralbanken, d. Red.) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft, um zur Verwirklichung der in Artikel 2 festgelegten Ziele der Gemeinschaft beizutragen.
Gleichzeitig ist im südlichen Währungsraum zwar die Kreditnachfrage sehr hoch, jedoch ist hier das wirtschaftliche Risiko eines Kredites auch um einiges höher, da diese Länder aus einer tiefen Rezession kommen und die Unternehmen teilweise wirtschaftlich auf keinem guten Fundament stehen. Entsprechend sollten hier auch die Kreditraten entsprechend höher sein, was aber wiederum die Kostentragfähigkeit vieler Unternehmen übersteigt.
Paradoxe Situation
Es liegt also die paradoxe Situation vor, dass in Deutschland zu wenig Nachfrage für das Kreditangebot vorliegt und im Süden des Währungsraums die Banken aus risikopolitischen Überlegungen einen Teil der Kreditnachfrage nicht bedienen können. Die Zurückhaltung in diesen Ländern wird zudem auch noch durch das regulatorische Umfeld begünstigt.
Entsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass die negativen Notenbankzinsen die Kreditvergabe im Euroraum bislang nur in einem sehr geringen Ausmaß positiv beeinflusst haben.
Die negativen Einlagezinsen der EZB wirken sich aber auch noch auf andere Felder der Realwirtschaft aus. Naturgemäß sind bei negativen Zinsen die Schuldner die größten Profiteure.
Aktuell sind die Staaten die größten Schuldner im Euroraum. Daher überrascht es kaum, dass die Staatshaushalte der Euro-Länder von der Entwicklung der Notenbankzinsen in den vergangenen Monaten am stärksten profitiert haben.
So sollten die Zinsausgaben von Italien bis 2019 im Vergleich zu einer Phase mit "normalen" Zinsen um rund 43 Milliarden Euro niedriger ausfallen, und in Frankreich beläuft sich die Ersparnis auf rund 20 Milliarden Euro.
Selbst Deutschland kann hier einen nicht unerheblichen Rückgang der Zinsausgaben verzeichnen, der es letztendlich auch ermöglichte, einen ausgeglichenen Bundeshaushalt für 2015 vorzulegen.
Das Problem dabei ist natürlich, dass sich dieses für die Staaten sehr günstige Umfeld zukünftig auch wieder ändern dürfte. Zwischenzeitlich sinkt jedoch der Konsolidierungsdruck für die betreffenden Länder, und die politischen Entscheidungen für eigentlich notwendige strukturelle Reformen fallen umso schwerer.
Daher mahnt die EZB auch in regelmäßigen Abständen, dass sie den Ländern nur die Zeit geben könne, um strukturelle Reformen anzupacken. Der politische Prozess muss natürlich in den jeweiligen Ländern vorangetrieben werden.
Falls die Länder es versäumen, die ihnen geschenkte Zeit zu nutzen, wird die Phase steigender Zinsen umso schmerzhafter werden. Es könnte dann auch leicht wieder zu einem Verlust des Investorenvertrauens kommen, mit den bekannten Auswirkungen auf die Risikoprämien der entsprechenden Staatsanleihen.
Hierin liegt auch die Gefahr begründet, dass die EZB, vor die Entscheidung gestellt, die Zinsen aus makroökonomischen Gründen wieder anzuheben, zu lange wartet, mit unangenehmen Folgen für die Inflation und den Kapitalmarkt.