Den Vorwurf müssen Sie genauer erklären: Was verstehen Sie denn unter Austerität?
Osbild: Das Wort Austerität wird in dem gesamten Buch nicht wirklich definiert. Oft wird „sparen“ mit „Sparsamkeit“ vermengt. Sparsamkeit ist ein ethischer Begriff, es geht da um Enthaltung, und zwar auf individueller Ebene. Reden wir von Sparpolitik, geht es um die Reduzierung der öffentlichen Aufgaben. Es geht nicht um Enthaltung, denn die Staatsausgaben sind ja nach wie vor gigantisch - sondern um eine Kürzung der Exzesse.
Schui: Ob der Einzelne oder der Staat sparsam ist, da sehe natürlich auch ich einen Unterschied. Allerdings hat die Akzeptanz der Austeritätspolitik in den mittel- und nordeuropäischen Ländern mit persönlichen Erfahrungen zu tun. Die Bürger schauen auf sich und sagen: „Wenn ich kein Geld habe, muss ich mich zurückhalten.“ Das hat mit Volkswirtschaftslehre leider wenig zu tun, ist aber für die öffentlichen Debatten von großer Bedeutung. Wer die Sache jedoch nicht moralisch, sondern ökonomisch betrachtet, kann nicht für Sparpolitik sein. Sie ist nachweislich gescheitert.
Was die Kritiker der Sparpolitik sagen
"Wachstum und Beschäftigung müssen an erster Stelle kommen, und das, indem wir alle Spielräume des Stabilitätspakts nutzen."
François Hollande, französischer Staatspräsident
"Seit Beginn der Krise haben die Konservativen Europa mit einem Kürzungsfeldzug nach dem anderen überzogen."
Udo Bullmann, Vorsitzender der SPD-Abgeordneten im Europaparlament
"Unsere Regierung will unterstreichen, dass die Politik des Rigorismus und der Austerität nichts gebracht hat und für beendet erklärt werden muss."
Matteo Renzi, italienischer Ministerpräsident
"Bisher haben wir für Krisenländer Rettungsprogramme gemacht, aber wenn man aus der Intensivstation herauskommt, muss eine Reha-Phase folgen."
Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser
"Das Setzen auf reine Sparpolitik ist gescheitert."
Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender und Vizekanzler
"Sparmaßnahmen von einem Prozent des BIPs reduzieren das Produktionspotenzial der Wirtschaft um rund ein Prozent. Das zeigt: Austeritätspolitik ist in höchstem Maße kontraproduktiv."
Paul Krugman, US-Ökonom und Nobelpreisträger
Osbild: Die Sparpolitik ist gescheitert, weil sie einseitig war. Es bedarf mehr als reinen Sparens. Griechenland, Spanien & Co. brauchen Strukturreformen. Die angekündigten Privatisierungen wurden nur halbherzig verfolgt. Viel schlimmer aber: Der Wettbewerb wird nach wie vor ausgebremst. Es gibt geschlossene Berufe, die Arbeitsmärkte sind vielerorts zu starr, wer Jobs schafft, ist oftmals der Dumme. In Krisenzeiten können sich südeuropäische Unternehmen nur schwerlich von Mitarbeitern trennen und gefährden damit den ganzen Betrieb. Das ist das Problem.
Schui: Einverstanden. Ich spreche mich nicht gegen Strukturreformen aus. Das müssen aber solche sein, die die Qualität der Produktion heben. Ein verbesserter Zugang zu Wissen, höhere Investitionen in die Unternehmen, Schaffung eines wirtschaftsfreundlichen Umfelds. Was wir nicht brauchen, sind flexiblere Arbeitsmärkte, die in einer Krisensituation nur zu mehr Entlassungen und schwacher Lohnentwicklung führen. Wir brauchen auch keine Pensionskürzungen. Statt neben den Strukturreformen Reformen zu sparen, wäre es doch viel besser, diese Reformen mit einer nachfrageorientierten Politik zu unterstützen.
Osbild: Gespart werden muss wegen der Exzesse der Vergangenheit. Es gibt eine dramatische Überschuldung der öffentlichen Haushalte, die abgebaut werden muss. Es gab einen regelrechten Konsumrausch in Südeuropa, provoziert durch die Euro-Einführung und die niedrigen Zinsen. Dieses Modell ist nicht nachhaltig, weil kein Geldgeber mehr bereit war, das alles mit weiteren Krediten zu finanzieren. Also geht es nur durch rigides Sparen und Kürzen.
Was Manager, Intellektuelle und Geldleute den europäischen Politikern raten
„Zuerst müssen wir anders über Europa denken und reden: über unsere industriellen Kompetenzen, unsere Handwerkskultur, die nachhaltiges Wirtschaften erlaubt, über die Rolle eines starken Europas in einer globalisierten Welt, über Chancen, die es jungen Menschen bietet. Dann müssen wir die Ärmel hochkrempeln, um wieder zu wachsen: durch einen funktionierenden Binnenmarkt, mehr Mobilität, höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung, durch Infrastrukturprojekte, einen transatlantischen Wirtschaftsraum – und Strukturreformen. 500 Millionen begeisterte Europäer können die Welt verändern!“
„Wichtig ist, dass sich keine so massiven Ungleichgewichte mehr entwickeln. Die EZB hat mit ihren Operationen Zeit gekauft. Das darf aber nur eine vorübergehende Lösung sein. Die Zentralbank muss sich wieder darauf konzentrieren, was ihre Hauptaufgabe ist: Gewährleistung der Preisstabilität!“
„Europa sollte sich daran erinnern, dass es viel mehr ist als die Europäische Union oder der Euro. Damit es eine Zukunft hat, muss der Kontinent auf seine ureigenen Stärken setzen. Das heißt: mehr Vielfalt, mehr Wettbewerb der Kulturen und Ideen, mehr pragmatische Lösungen; weniger großsprecherische Visionen, politische Zwangskonvergenz und doktrinäre Einheitssuppe aus Brüssel.“
„Das Europa des 21. Jahrhunderts ist nicht mehr der Nabel der Welt. Wenn wir im Konzert der Kontinente die erste Geige spielen wollen, darf sich Brüssel nicht mehr damit befassen, ob Olivenöl nur in geschlossenen Flaschen oder auch in offenen Karaffen serviert werden darf. Wir brauchen ein geeintes Europa, das seine Stärken in den Welthandel einbringt und durch kooperative Handelspolitik ein Ende der schädlichen Strafzölle und Subventionen einleitet. Wenn es gelingt, die Staatshaushalte zu sanieren und den Euro zu stärken, und wir den europäischen Gedanken weiter denken – mit gemeinsamer Wirtschafts- und Finanzpolitik – stehen uns alle Türen offen.“
„Wer die Krise Europas überwinden will, muss den Bürgern klarmachen, dass und warum es sich lohnt, alle dafür notwendigen Anstrengungen auf sich zu nehmen. Von dieser Überzeugungsarbeit ist wenig zu sehen. Kaum ein Politiker traut sich noch, die einzigartigen Vorteile dieses Zivilisationsmodells zu verteidigen. Angela Merkels Methode, die Deutschen in eine immer höhere Haftung hineinzutricksen und den südeuropäischen Ländern nichts als Hungerkuren zu verordnen, funktioniert offensichtlich nicht. Bei den Deutschen hat diese Politik das (falsche) Gefühl bestärkt, dass sie allein für Europa zahlen und nichts von Europa haben; der jungen Generation in den Schuldenländern bringt sie Massenarbeitslosigkeit und eine Zukunft ohne Hoffnungen. Die Politik der Gipfeltreffen und ständig nachjustierten Beschlüsse hinter verschlossenen Türen ist zu Ende. Wenn das Projekt Europa noch zu retten ist, dann nur durch die Mitwirkung der Bürger, nicht hinter ihrem Rücken.“
Schui: Herr Osbild, Sie entlarven sich und Ihre Argumente durch Ihre Wortwahl. Sie sprechen von „Exzessen“ und einem „Konsumrausch“. Das ist die moralische Herangehensweise an die Krise: Sie sagen, es sei falsch gehandelt worden, jetzt müsse gesühnt werden. Das ist rückwärtsgewandt und wenig ökonomisch gedacht. Die Frage ist doch: Wie bekommen wir mehr Wachstum? Sicher nicht durch eine noch krassere Sparpolitik.