Streitgespräch über Europas Krisenpolitik "Europa hat nicht zu viel gespart, sondern zu wenig"

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„Die Vergemeinschaftung der Schulden lehne ich ab"

Osbild: Ich helfe Ihnen gerne, Herr Schui. Bei einer Rückkehr zur D-Mark und einer anschließenden Aufwertung der Währung würden sich ja die Importe verbilligen und die Preise wieder drücken. Einen Ausgleich für Lohnerhöhungen in Ihrem Modell sehe ich nicht. Aber in einem Punkt stimme ich Ihnen zu: Wir sollten die Nachfrage in Deutschland tatsächlich ankurbeln.

Und wie? 

Osbild: Wir haben mit der kalten Progression das Phänomen, das jede Lohnsteigerung des Bürgers fast komplett in die Staatskassen fließt. Um die Kaufkraft zu stärken, muss das Steuersystem verändert werden. Wir sollten die Freigrenzen radikal erhöhen Sprich: Die Besteuerung des Einkommens sollte nicht bei rund 8400 Euro einsetzen, sondern erst ab einem Bruttoeinkommen von 18.000 oder 20.000 Euro im Jahr. Das würde riesen Konsumschub ausläsen – ohne die Lohnkosten zu erhöhen. 

Zusätzliche Belastung für Familien (Ehepaar mit 2 Kindern) durch die kalte Progression in dieser Legislaturperiode ab einem zu versteuerndem Jahreseinkommen* von:

Wäre das ein Modell auf das Sie sich einigen könnten? Hat Europa so eine positive Zukunft?

Schui: Das könnte ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Insgesamt gilt: Europa hat nur dann gute Aussichten, wenn wir aufhören, nationalstaatlich zu denken. Durch die Gründung der Euro-Zone ist Europa zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden. Wir müssen aufhören, mit dem Finger aufeinander zu zeigen, und stattdessen an Lösungen arbeiten, die allen helfen. Solch eine Lösung wäre – ich wiederhole mich – die Beendigung der Sparpolitik, das Fördern der Nachfrage der Deutschen durch kräftige Lohnerhöhungen oder meinetwegen auch Steuersenkungen. Das müssen aber Steuersenkunken für Einkommen mit niedriger Sparquote sein, das heißt für niedrigere Einkommen. Und die Gegenfinanzierung darf nicht durch Sparmaßnahmen der öffentlichen Haushalte erfolgen. Sonst gibt es keine Nachfragewirkung. Vielmehr muss durch stärkere Besteuerung hoher Einkommen und nicht-investierter Unternehmensgewissen kompensiert werden.

In Arbeit
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Osbild: Europa muss sich dem internationalen Wettbewerb stellen. Griechenland, Spanien und Portugal haben zwischen 1998 und 2005 durch Lohnexzesse massiv an Konkurrenzfähigkeit verloren. Diese gilt es zurückzugewinnen: durch Strukturreformen und ambitionierte Privatisierungs- und Sparprogramme. Nur dann hat die Euro-Zone eine positive Zukunft.

Alle Maßnahmen, die den Druck von den Nationalstaaten nehmen, sich zu erneuern, also die Vergemeinschaftung der Schulden oder der Ankauf von Schrottpapieren durch die EZB, lehne ich ab. Diese sind kontraproduktiv.

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