Hätte er die Zügel nur straffer gehalten! Wäre er bloß entschiedener und autoritärer aufgetreten! Hätte er doch auf Härte und Strafdurchsetzung gepocht - dann wäre das Iphigenie-Volk erst gar nicht auf die Idee gekommen, sich ihm zu entziehen: "Zur Sklaverei gewöhnt der Mensch sich gut / Und lernet leicht gehorchen, wenn man ihn / Der Freiheit ganz beraubt. Ja, wäre sie / In meiner Ahnherren rohe Hand gefallen, / ... / Sie wäre froh gewesen,... / ... hätte dankbar ihr Geschick / Erkannt..." Ja, das ist es, ganz so sprechen Autokraten, die nicht gemocht, sondern gefürchtet werden wollen. Despoten, die nicht führen und regieren, sondern herrschen. Potentaten, die ihre Macht verteidigen statt den Interessen ihres Volkes zu dienen. Natürlich zählt Thoas längst nicht mehr zu solchen Herrschern: Er verzichtet bereits vier, fünf Seiten später auf eine Demonstration seiner Macht, bricht mit alter Sitte - und wird für seine Einsicht und Güte reich mit des Volkes Dankbarkeit belohnt: "Nachahmend heiliget ein ganzes Volk / Die edle Tat der Herrscher zum Gesetz."
Schade nur, dass ausgerechnet Vladimir Putin einen Satz von Goethe nicht für edle Wahrheit, sondern dummes Zeug hält: Was soll das Tugendgequatsche? Ich setzte lieber mein eiskaltes KGB-Lächeln auf und zeige der ganzen Welt, wo der russische Hammer hängt!... Aber was heißt schon "die ganze Welt"?
Putin zeigt vor allem den Russen, wo der Hammer hängt, das ist bei seiner Krim-Annexion wohl das Entscheidende: Der Westen, die Nato, Europa, ja selbst die Ukraine sind ihm vergleichsweise egal, wenn bloß in Russland selbst die Nachricht die Runde macht, dass vielleicht der ukrainische (Ex-)Präsident Janukowitsch zu schwach ist, um "nationale Interessen" durchsetzen zu können, nicht aber Zar Putin, der Herr aller Russen. Denn der steht dem folgsamen Teil seiner Bevölkerung auch in der Fremde bei, um dem weniger folgsamen Teil seiner Bevölkerung im eigenen Land künftig umso patriotischer einen Mangel an Subordination vorwerfen - und jede Kritik (gewaltsam) verstummen lassen - zu können.
Dass die Vertreter der deutschen Linkspartei sich in ihrem (Selbst-)Hass auf alles, was nach "Westen", "Amerika" und "Kapitalismus" riecht, in diesen Tagen zu ganz großen Putin-Verstehern aufschwingen und der angeblich verletzten russischen Seele ihren ideologisch verblendeten Beistand bezeugen, stand zwar zu befürchten, ist aber außenpolitisch nicht weiter von Belang und innenpolitisch auf höchst angenehme Weise lehrreich. Wer je als Anhänger der SPD oder der Grünen mit dem Gedanken gespielt haben sollte, Deutschland würde vielleicht auch von Rot-Rot-Grün anständig regiert werden können, wird diesen Gedanken nach den Wortbeiträgen von Fraktionschef Gregor Gysi zur Krim-Krise hoffentlich für immer und ewig verwerfen. Den Griff Putins nach der Krim damit zu relativieren, dass auch "der Westen" bei seinem Eingreifen im Kosovo das Völkerrecht verletzt habe, ist scheinheilig, heuchlerisch, verlogen - schlicht indiskutabel. Ein gutes Argument hört auf gut zu sein, wenn man es erkennbar zum Vorwand und Instrument seiner eigenen schlechten Absichten herabwürdigt.