Tauchsieder

Ist Putin der King of the Krim?

Seltsam einig, selten erbärmlich: Der Hass der Linkspartei auf "den Westen" und der Hass der AfD auf die "Vereinigten Staaten von Europa" ist so groß, dass man dagegen Russlands Putinismus irgendwie okay findet.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Wie es jetzt auf der Krim weitergeht
Ist die Versorgung der Krim gefährdet?Strom und vor allem Wasser erhält die Krim hauptsächlich vom ukrainischen Festland. Zwar schließt die Regierung in Kiew bisher aus, die Versorgung zu unterbrechen. Doch fehlt ein Notfallplan. Die moskautreue Führung der Halbinsel hat wichtige Unternehmen wie den Gasversorger Tschernomorneftegas verstaatlicht. Als wahrscheinlich gilt, das russische Staatskonzerne wie der Monopolist Gazprom die Firmen übernehmen. Die Zugänge zur Halbinsel sind erschwert: Autos und Züge werden kontrolliert. Flüge gibt es fast nur noch von Moskau. Im Eiltempo treibt Russland nun Planungen für eine Brücke über die vier Kilometer lange Meerenge von Kertsch zum Osten der Krim voran. Quelle: dpa
Wie läuft die Währungsumstellung von Griwna auf Rubel?Beide Währungen sollen bis Ende 2015 gleichberechtigt genutzt werden dürfen. Berichten zufolge werden aber Banken schon nicht mehr mit ukrainischer Griwna beliefert, und Russische Rubel sind noch nicht ausreichend im Umlauf. Geldautomaten geben nur geringe Summen aus. Alle Verträge mit ukrainischen Lieferanten sind in Griwna gemacht. Unklar ist die Rechtslage bei Zoll und Steuern. Kremlchef Wladimir Putin verlangt, dass die Renten schon bald dem russischen Niveau angeglichen werden - das bedeutet mindestens eine Verdoppelung. Quelle: dpa
Was passiert mit den ukrainischen Soldaten auf der Krim?Auch der ukrainische Präsidentschaftskandidat Vitali Klitschko fordert nun den kompletten Abzug der Truppen von der Krim - „um Leben zu retten“. Fast alle ukrainischen Militäreinrichtungen sind von Uniformierten umstellt, vermutlich russischen Soldaten. Mehrere Stützpunkte sind bereits in der Hand prorussischer Kräfte, darunter das Hauptquartier der Marine. Zur Selbstverteidigung hatte das Verteidigungsministerium in Kiew zwar den Einsatz von Schusswaffen erlaubt, aber Schüsse fielen nicht. Vielmehr häufen sich jetzt Berichte, dass immer mehr Soldaten die Basen freiwillig verlassen. Quelle: AP
Was geschieht mit der Minderheit der Tataren?Die moskautreue Führung der Krim macht dem Turkvolk, das etwa zwölf Prozent der zwei Millionen Einwohner ausmacht, weitreichende Angebote. So sollen Tataren ein Fünftel aller öffentlichen Ämter erhalten, Krimtatarisch wird Amtssprache. Hinzu kommen massive Finanzhilfen. Zugleich steigt der Druck auf die Minderheit, die einen Anschluss an Russland zum Großteil bisher ablehnt. Vizeregierungschef Rustam Temirgalijew fordert, die Tataren müssten illegal besetzte Grundstücke räumen - angeblich im Austausch gegen neue Ländereien. Das weckt alte Ängste: Vor 70 Jahren ließ Sowjetdiktator Josef Stalin die Tataren als angebliche Verbündete Nazi-Deutschlands deportieren. Quelle: dpa
Was unternimmt die neue ukrainische Regierung?Die Führung in Kiew wirkt machtlos und ist tatenlos. Zwar ist eine Teilmobilisierung verkündet, etwa 20 000 Reservisten sollen bis Ende April einberufen werden. Aber Regierungschef Arseni Jazenjuk (im Bild) und Interimspräsident Alexander Turtschinow schließen einen Krieg um die Krim bisher aus. Eine Reise von Kabinettsvertretern auf die Krim zu einer „Regulierung des Konflikts“ lehnt die dortige moskautreue Regierung ab. Beide Seiten erkennen sich gegenseitig bisher nicht an. Zugleich treibt Kiew den Westkurs voran. So will Jazenjuk noch diese Woche den politischen Teil des Partnerschaftsabkommens mit der EU unterzeichnen. Quelle: dpa
Was machen politische Schwergewichte wie Timoschenko und Klitschko?Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko, die sich zuletzt in Berlin behandeln ließ, verurteilt das russische Vorgehen und fordert internationale Unterstützung. Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko besucht demonstrativ Stützpunkte der Grenztruppen und des Militärs. Zudem spendet er 25 Prozent seines Abgeordnetengehalts für die Armee und wirbt für Sanktionen gegen Russland. Da ihre Parteien aber die Koalition in Kiew stützen, halten sich die wahrscheinlichen Präsidentschaftskandidaten mit offener Kritik zurück. Quelle: dpa

Wäre ich Intendant eines Stadttheaters, nähme ich mir in diesen Tagen mal wieder Goethes Iphigenie vor, suchte mir sodann einen jungen ukrainischen Regisseur und setzte das Stück schnell-schnell auf den Spielplan. Nicht weil die Iphigenie, jeder weiß es, das klassische Drama par excellance ist: Die Figuren verkörpern Ideen und Werte von überzeitlicher Gültigkeit. Sie zeichnen sich durch die perfekte Beherrschung ihrer Neigungen und Pflichtgefühle aus. Und sie lösen all ihre Konflikte auf der Basis von Vertrauen und Ehrlichkeit, also auf dem Fundament einer Humanität, die fünf Akte lang all ihre Gedanken und Taten adelt. Sicher, eine Injektion Tugend kann nie schaden, zumal in Zeiten, da die meisten sie nicht ehren, sondern dumm genug sind, ihr in einer privatmoralisch restlos ausgefransten Gesellschaft totalitäre Züge anzudichten. Sei's drum. Nein, Goethes Iphigenie interessiert uns hier und heute vor allem deshalb, weil sie auf Tauris spielt, und weil es sich bei Tauris um eine antike Landschaft handelt, von der die aussterbende Spezies der Bildungsdeutschen annimmt, sie sei mit der Halbinsel Krim im Schwarzen Meer identisch.

Leider ist hier nicht der Platz, um allen kompetenzgetrimmten G-8-Gymnasiasten, Bachelor-Studenten und Mastern of Moduleffizienz zu erklären, was genau es mit den Tantalidenfluch auf sich hat, warum Agamemnon Schuld auf sich lädt, Orest von den Furien verfolgt wird und die arme Iphigenie auf der Krim gelandet ist - lange Geschichte. Nur so viel: Iphigenie jobbt sehr erfolgreich als Priesterin auf Tauris und hat den Einheimischen als eine Art Muster-Artridin Mores gelehrt; so werden zum Beispiel Fremde nicht mehr umstandslos der Göttin Artemis zum Opfer gebracht, nur weil sie Fremde auf der Krim sind. Allein, glücklich ist Iphigenie nicht, nicht fern der Heimat und schon gar nicht mit ihrer Rolle als Frau, im Gegenteil: Sie ist von heftigem Heimweh geplagt, will zurück zu den Ihren, weg von Tauris und weg von Thoas, dem König, der sie so edel hofiert und begehrt, dass Iphigenie zu allem Überfluss - mehr noch als vom Heimweh - von ihrem schlechten Gewissen dem guten König gegenüber gepeinigt wird.

Im fünften Akt nun, kurz vor dem glücklichen Ende, spitzt sich das Drama zu: Thoas, King of the Krim, will Iphigenie nicht ziehen lassen, fühlt sich von ihr hintergangen und ärgert sich über seine Nachsicht und Milde, die er der Verehrten gegenüber stets hat walten lassen: "...Nun lockt meine Güte / In ihrer Brust verweg'nen Wunsch herauf. / Vergebens hofft' ich, sie mir zu verbinden; / Sie sinnt sich nun ein eigen Schicksal aus." Und - klingt Thoas hier in seinem Zorn auf Iphigenie nicht ganz wie Russlands Staatschef Vladimir Putin in seinem Zorn auf alle, die sich seiner eisernen Regierungsfaust entziehen wollen? Was Thoas-Putin hier fürchtet, ist jedenfalls die Idee von Emanzipation und Selbstbestimmung, die sein traditionelles Verständnis von Herrschaft und Gehorsam, von Staatsmacht und Folgsamkeit durchkreuzt.

Der Herr der Russen

Wen der Westen bestraft
Sergej AksjonowSergej Aksjonow wird im Amtsblatt der Europäischen Union vom Montag an erster Stelle erwähnt. Über ihn heißt es auf der Liste der insgesamt 21 russischen und ukrainischen Personen, er sei am 27. Februar 2014 „in Anwesenheit prorussischer Bewaffneter“ zum Regierungschef bestimmt worden und sei aktiv für das Referendum am vergangenen Samstag eingetreten. Quelle: dpa
Wladimir KonstantinowAuch die Strafmaßnahmen gegen Wladimir Konstantinow, den Vorsitzenden des Parlaments der Autonomen Republik Krim, werden unter anderem damit begründet, dass er Wähler aufgefordert habe, für die Unabhängigkeit der Krim zu stimmen. Quelle: Reuters
Denis BeresowskiBei Denis Beresowski, dem Kommandeur der ukrainischen Marine, lautet die Begründung, er habe Anfang März einen Eid auf die Krim-Streitkräfte geschworen und damit seinen Eid gebrochen. Die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine habe gegen ihn Ermittlungen wegen Hochverrats eingeleitet. Quelle: Reuters
Alexej TschalyIm Februar wurde Tschaly zum Verwaltungschef der strategisch wichtigen Hafenstadt Sewastopol „gewählt“. Hier ist die russische Schwarzmeerflotte stationiert. Außerdem habe er aktiv für den Beitritt der Krim zur Russischen Föderation geworben – was den Verantwortlichen in Brüssel gar nicht gefallen hat. Quelle: AP
Nikolaj Ryschkow (r.)Ryschkow war bereits von 1985 bis 1991 während der Zeit von Gorbatschow Vorsitzender des Ministerrates der Sowjetunion. Auf der Sanktionsliste steht der Duma-Abgeordnete, weil er Anfang März im russischen Föderationsrat öffentlich die Stationierung russischer Truppen in der Ukraine gefordert hatte. Aus diesem Grund stehen auch noch drei weitere Politiker auf der Liste. Quelle: dpa
Sergej MironowMironow ist Mitglied der russischen Staatsduma und dort Fraktionsvorsitzender der Oppositionspartei „Gerechtes Russland“. Ihm wirft die EU vor, den Gesetzesentwurf initiiert zu haben, mit dem Russland unter dem Vorwand des Schutzes der russischen Bürger, Gebiete im Ausland ohne Zustimmung des Landes oder eines völkerrechtlichen Vertrages besetzen darf. Quelle: dpa
Anatolij Sidorow (r.)Sidorow – im Bild zusammen mit Russlands Präsident Wladimir Putin bei einer Militärübung – ist Kommandeur des westlichen Militärbezirks. Die Truppen, die die Krim besetzt halten, sollen aus seinem Befehlsbereich kommen. Damit sei er verantwortlich für den Teil der Streitkräfte, die die Souveränität der Ukraine verletzen würden. Quelle: dpa

Hätte er die Zügel nur straffer gehalten! Wäre er bloß entschiedener und autoritärer aufgetreten! Hätte er doch auf Härte und Strafdurchsetzung gepocht - dann wäre das Iphigenie-Volk erst gar nicht auf die Idee gekommen, sich ihm zu entziehen: "Zur Sklaverei gewöhnt der Mensch sich gut / Und lernet leicht gehorchen, wenn man ihn / Der Freiheit ganz beraubt. Ja, wäre sie / In meiner Ahnherren rohe Hand gefallen, / ... / Sie wäre froh gewesen,... / ... hätte dankbar ihr Geschick / Erkannt..." Ja, das ist es, ganz so sprechen Autokraten, die nicht gemocht, sondern gefürchtet werden wollen. Despoten, die nicht führen und regieren, sondern herrschen. Potentaten, die ihre Macht verteidigen statt den Interessen ihres Volkes zu dienen. Natürlich zählt Thoas längst nicht mehr zu solchen Herrschern: Er verzichtet bereits vier, fünf Seiten später auf eine Demonstration seiner Macht, bricht mit alter Sitte - und wird für seine Einsicht und Güte reich mit des Volkes Dankbarkeit belohnt: "Nachahmend heiliget ein ganzes Volk / Die edle Tat der Herrscher zum Gesetz."

Schade nur, dass ausgerechnet Vladimir Putin einen Satz von Goethe nicht für edle Wahrheit, sondern dummes Zeug hält: Was soll das Tugendgequatsche? Ich setzte lieber mein eiskaltes KGB-Lächeln auf und zeige der ganzen Welt, wo der russische Hammer hängt!... Aber was heißt schon "die ganze Welt"?

Putin zeigt vor allem den Russen, wo der Hammer hängt, das ist bei seiner Krim-Annexion wohl das Entscheidende: Der Westen, die Nato, Europa, ja selbst die Ukraine sind ihm vergleichsweise egal, wenn bloß in Russland selbst die Nachricht die Runde macht, dass vielleicht der ukrainische (Ex-)Präsident Janukowitsch zu schwach ist, um "nationale Interessen" durchsetzen zu können, nicht aber Zar Putin, der Herr aller Russen. Denn der steht dem folgsamen Teil seiner Bevölkerung auch in der Fremde bei, um dem weniger folgsamen Teil seiner Bevölkerung im eigenen Land künftig umso patriotischer einen Mangel an Subordination vorwerfen - und jede Kritik (gewaltsam) verstummen lassen - zu können.

Dass die Vertreter der deutschen Linkspartei sich in ihrem (Selbst-)Hass auf alles, was nach "Westen", "Amerika" und "Kapitalismus" riecht, in diesen Tagen zu ganz großen Putin-Verstehern aufschwingen und der angeblich verletzten russischen Seele ihren ideologisch verblendeten Beistand bezeugen, stand zwar zu befürchten, ist aber außenpolitisch nicht weiter von Belang und innenpolitisch auf höchst angenehme Weise lehrreich. Wer je als Anhänger der SPD oder der Grünen mit dem Gedanken gespielt haben sollte, Deutschland würde vielleicht auch von Rot-Rot-Grün anständig regiert werden können, wird diesen Gedanken nach den Wortbeiträgen von Fraktionschef Gregor Gysi zur Krim-Krise hoffentlich für immer und ewig verwerfen. Den Griff Putins nach der Krim damit zu relativieren, dass auch "der Westen" bei seinem Eingreifen im Kosovo das Völkerrecht verletzt habe, ist scheinheilig, heuchlerisch, verlogen - schlicht indiskutabel. Ein gutes Argument hört auf gut zu sein, wenn man es erkennbar zum Vorwand und Instrument seiner eigenen schlechten Absichten herabwürdigt.

Linke und Rechte verbünden sich gegen "den Westen"

Frau schwenkt Russland-Fähnchen Quelle: dpa

Noch übler sind die Heckenschützen-Invektiven der Linken gegen die USA. Merkel mache sich zum Büttel der Amerikaner, wenn sie im Parallelschwung mit Barack Obama Sanktionen gegen Russland verhänge, sagt der listige Gysi, zumal die USA bei einem Zusammenbruch der Wirtschaftsbeziehungen zwischen "dem Westen" und Russland viel weniger zu verlieren hätten als Europa... - was für ein Unsinn, denn bei dem, was Gysi "Duckmäusertum" nennt, handelt es sich in Wahrheit um die Verteidigung der letzten Reste dessen, wofür Demokraten einmal die schönen Worte der "Wertegemeinschaft" und der "Bündnistreue" zur Verfügung standen. Selbst das Argument von der "Einkreisung" Russlands, vom "Vorrücken" der Nato an die Grenzen von Putins Reich und von der andauernden "Demütigung" einer stolzen Kulturnation durch die EU-Osterweiterung zieht nicht: Denn welches "Russland" wird brüskiert, wenn Polen, Esten, Letten, Litauer und Ukrainer nach mehr Freiheit verlangen und darin "vom Westen" unterstützt werden? Putins Russland? Oder das Russland derer, die sich vor Putin fürchten, deren Opposition er nicht erträgt, die er nicht demonstrieren lässt, die er einsperrt und laufend versucht, mundtot zu machen?

Nein, liebe Linke, die ganze Sache ist ganz einfach: Der Fehler "des Westens" war nicht die "Einkreisung" Russlands, sondern die Kumpanei seiner politischen und wirtschaftlichen Elite mit Russlands Rohstoffplutokratie - das wäre eine ernst zu nehmende Kritik. "Der Westen" ist zu viel auf die Macht und das Geld und das Gas in Russland zugegangen - und zu wenig auf die Russen selbst. Er hat zu freizügig mit dem oligarchischen Staatskapitalismus geschäkert und dabei seine hübsche marktwirtschaftliche Jungfräulichkeit verloren. Aber natürlich, ich vergaß, lieber Gregor Gysi, wenn Vladimir Putin Macht und Geld konzentriert, dann ist das allemal besser als wenn die Deutsche Bank es tut, nicht wahr? Ach, es ist so erbärmlich.

Stattdessen macht man es sich bei den Linken schön gemütlich im Verrechnen der Doppelmoral und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass Putin und seine Freunde in Peking und Pyöngyang im Vergleich zu Bill Clinton und Tony Blair und ihren Freunden in Berlin und Paris die kleineren Schurken sind.

Die Wahrheit ist: Die Doppelmoral derer, die Russland jetzt besonders eifrig vor der (zugegebenen) Doppelmoral "des Westens" verteidigen, heißt nicht etwa Doppelmoral, sondern Zynismus. Denn diese Doppelmoral verbiegt nicht nur Zusammenhänge und Argumente - sie verhöhnt auch nachträglich die Kosovaren - und vorsorglich Tartaren, Ukrainer und Russen, die sich, anders als Gysi, sehr gut überlegen müssen, was sie auf den Marktplatz der Meinungen tragen und was nicht.

Noch fürchterlicher als die Linken argumentieren die Rechten von der AfD: Die Quellen ihrer sonderbaren Putin-Freundschaft sind noch entlegener - und noch dürftiger. Offenbar ist der Hass auf den "Euro", die "Vereinigten Staaten von Europa" und die "Brüsseler Regierungswut", auf "Frauen mit Kopftüchern", nicht so "gut integrierte Ausländer" und jede Form von "Vielvölkerstaat", auf einen US-Präsidenten, der Deutsche "wie Terroristen" behandelt, auf eine sozialdemokratische Kanzlerin, die nationale Interessen auf dem Altar der europäischen Freundschaft opfert und ganz allgemein auf universalistisch argumentierende Gutmenschen so groß, dass man sich bei der AfD in die Zeit der Bismarckschen Bündnispolitik zurück wünscht, als man noch von Nation zu Nation sprach, wie echte Männer es mit echten Männern zu tun pflegen: "Wir Deutschen vergessen manchmal, dass Russland die Loslösung des 'heiligen Kiew' nie verwunden hat" und "dass Russland... Preußen vor dem Untergang bewahrt hat".

Gefürchtet sind die, die sich der Freiheit und Demokratie widersetzen

Soldaten besetzen die Krim
Militärisches Personal, vermutlich russische Streitkräfte, außerhalb ukrainischen Territoriums Quelle: REUTERS
Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow hat von einer Invasion und Besetzung durch russische Soldaten gesprochen. 6000 russische Soldaten befinden sich mittlerweile in der Ukraine. Die Regierung in Moskau hat sich im jüngsten ukrainischen Machtkampf auf die Seite des inzwischen abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch gestellt, der sich gegenwärtig in Russland aufhält. Quelle: REUTERS
Doch stehen die Ukrainer nicht geschlossen gegen die russische Invasion. Auf der Krim gibt es eine bedeutsame pro-russische Bewegung. Das Parlament in Kiew hatte vor kurzen ein Sprachengesetz abgeschafft, das besonders die russische Minderheit - auch auf der Krim - geschützt habe, so Russlands Außenminister Tschurkin. Quelle: REUTERS
Die Ukraine hat die Streitkräfte auf der Halbinsel Krim in Alarmbereitschaft versetzt. Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk erklärte aber, sein Land werde sich nicht durch russische Provokationen in einen militärischen Konflikt ziehen lassen. Quelle: AP
Trotz der Militär-Invasion geht das Leben in der Krim aber weiter. Vor einer Lenin-Statue küsste sich heute ein frisch-vermähltes Paar. Quelle: REUTERS
Truppen in nicht gekennzeichneten Uniformen stehen vor einer Behörde in der Kleinstadt Balaklava vor den Toren Sevastopols. Lediglich ein Enblem auf einem der Fahrzeuge zeigt, dass es sich um Mitglieder des russischen Militärs handelt. Quelle: AP
Die Lage auf der Krim ist trotz diplomatischer Bemühungen auch am Sonntagmorgen weiter angespannt. Barack Obama hat in der Nacht eineinhalb Stunden mit Putin telefoniert und zum Truppenabzug aufgefordert. Doch der russische Präsident hält weiter Stellung auf der Krim. Quelle: AP

Und, was folgt daraus? Was sollen diese raunenden Sätze? Nun, sie sollen vor allem raunen, nichts weiter, das heißt, dem Ressentiment einen Raum eröffnen: gegen die Regierungspolitik von Angela Merkel, gegen Brüssel, gegen Europa - und gegen die internationale Verschwörung der sozialstaatlich abgefütterten Herdentiere, versteht sich. Mit der Folge, dass man bei der AfD der Meinung ist, "die Empfindlichkeiten" Russlands doch bitte sehr ernst zu nehmen, die der Israelis dagegen nicht ganz so - und auch nicht die Empfindlichkeiten der Syrer, über deren Sterben, Hungern, Leiden der empfindungsbedürftige Herr Putin ja nun schon seit Jahren seine schützende Hand hält, weshalb man sich seitens "des Westens" bitte unbedingt eines militärischen Eingreifens enthalten möge.

Man kann nur hoffen, dass Linke und AfD bei den Europawahlen (22. bis 25. Mai) die Quittung für ihre außenpolitischen Geisterbahnfahrten erhalten. Außenpolitische Krisen sind für Beobachter Chancen der weltanschaulichen Selbstvergewisserung - angesichts der Beteiligten, die sich vor ihnen fürchten müssen und unter ihnen zu leiden haben. Und solange Putins Gewinne bedeuten, dass sie gleichbedeutend sind mit Verlusten von Freiheit, Demokratie und Liberalismus, gibt es an ihnen nichts zu beschönigen. Auch "der Westen" hat das Völkerrecht gebrochen, sicher. Aber er hatte dafür bessere Gründe als Russland. Nicht seine doppelmoralisch hergeleitete "Legitimität" für "humanitäre Interventionen" entlarvt sich gerade selbst, sondern die machtzynisch hergeleitete "Legitimität" von Russland und China, die sich seit Jahrzehnten auf das Prinzip der "Nichteinmischung in fremde Angelegenheiten" berufen, um sich selbst und ihre befreundeten Machteliten vor den Zumutungen der Demokratie zu bewahren.

Dass "der Westen" dabei jenseits aller weltanschaulichen Klarheit weiterhin Rücksicht auf die Interessen Russlands nimmt und alle diplomatischen "Gesprächskanäle" offen hält; dass Kanzleramt und Außenministerium sich aller Gepflogenheiten der "Realpolitik" bedienen und in enger Abstimmung mit den Verbündeten handeln; dass keiner eine Eskalation des Konflikts mit Russland riskiert und jeder ein Interesse daran hat, die gemäßigten und besonnenen Kräfte in der Ukraine zu fördern, steht dabei selbstverständlich außer Frage.

Vor allem für die Bundesregierung. Die hat die Ukraine zu naiv, zu optimistisch, zu offensiv in Richtung Westeuropa lotsen wollen, mag sein, und vielleicht sogar Putins Reaktion provoziert. Aber das ändert nichts daran, dass "der Westen" den Export von Freiheit und Demokratie stoppen sollte. Im Gegenteil: Nicht die sind zu fürchten, die ihn exportieren. Sondern die, die ihn partout nicht importieren wollen.

Dem Autor auf Twitter folgen:

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%