Terror in Frankreich Was wir über die Anschläge von Paris wissen

129 Tote, kaum beschreibbare Trauer – und die Suche nach Antworten auf die ganz großen Fragen des Zusammenlebens: So stellt sich Europa auch am dritten Tag nach den Anschlägen von Paris dar. So klar wie das kontinentübergreifende Entsetzen ist, so unklar ist noch immer die Faktenlage. Ein Überblick.

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Ein Meer von Blumen und Kerzen ist vor dem Restaurant in der Rue de Charonne zu sehen. Quelle: AP

Die Täter
Das wissen wir
Frankreichs Präsident François Hollande machte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verantwortlich und sprach von einem „Kriegsakt“. Der IS bekannte sich im Internet zu den Anschlägen. Klar ist, dass mehrere Gruppen von Terroristen die Anschläge verübten. Hollande sprach von Tätern, die „sowohl innerhalb als auch außerhalb“ Frankreichs die Tat vorbereitet hätten. Einer der Angreifer war ein wegen seiner Radikalisierung aktenkundiger und vorbestrafter Franzose. Sein Bruder und sein Vater wurden festgenommen.
An der Grenze zu Belgien nahm die Polizei noch am Samstag drei verdächtige Männer mit Wohnsitz in Belgien fest. Videoaufnahmen von den Tatorten und Zeugenaussagen ergaben, dass die Autos der Täter belgische Kennzeichen hatten. In Brüssel nahm die Polizei bei einem Großeinsatz im Migrantenviertel Molenbeek drei weitere Menschen fest. Mindestens einer von ihnen sei am Abend der Anschläge in Paris gewesen, sagte Ministerpräsident Charles Michel.

Das wissen wir nicht
Die Zahl der Täter ist unklar – und damit auch, ob mit den acht während der Anschläge getöteten Angreifern alle Terroristen gefasst wurden oder sich noch Attentäter oder Komplizen auf freiem Fuß befinden. Hintergrund für den Verdacht: Französische Ermittler haben ein Auto der Attentäter in Montreuil östlich von Paris gefunden. Damit dürften Teile der Angreifer nach derzeitiger Ansicht der Ermittler geflohen seien.
Bei zwei Tätern verfolgen die Behörden Spuren, wonach diese womöglich als Flüchtlinge getarnt über Griechenland eingereist seien. Der Eigentümer eines syrischen Passes, der bei einem der toten Attentäter gefunden worden sei, sei Anfang Oktober über die Insel Leros in die EU gekommen, teilte die Regierung in Athen am Samstagabend mit. Ein zweiter Attentäter ist möglicherweise über die Balkanroute nach Frankreich gereist. Ein 25-Jähriger sei mit einem syrischen Pass am 7. Oktober aus Mazedonien nach Serbien eingereist, berichtete die serbische Zeitung „Blic“ am Sonntag. Er sei im Erstaufnahmezentrum in der südlichen Stadt Presevo registriert worden und habe dann seinen Weg nach Kroatien und später nach Österreich fortgesetzt. Der Mann sei bei seinem Transit durch Serbien nicht bewaffnet gewesen.
Rätsel gibt außerdem ein Mann aus Montenegro auf, der vor gut einer Woche von der Polizei in Oberbayern mit Maschinenpistolen, Handgranaten und Sprengstoff im Auto gestoppt wurde. Der Mann soll auf dem Weg nach Paris gewesen sein. Derzeit verweigert er jegliche Aussage.

Das schreiben die französischen Zeitungen zu den Anschlägen

Der Tathergang

Das wissen wir
Drei Terrorkommandos schlugen an sechs Orten in der französischen Hauptstadt nahezu gleichzeitig zu, schossen auf Menschen in Cafés und Restaurants, in der Konzerthalle Bataclan und sprengten sich während des Länderspiels Frankreich gegen Deutschland in der Nähe des Stadions in die Luft. Ein Terrorist wurde von der Polizei erschossen, die anderen zündeten ihre Sprengstoffgürtel.
Der Pariser Staatsanwalt François Molins sagte, die Terroristen hätten bei ihren Taten Syrien und Irak erwähnt und seien in getrennten Kommandos vorgegangen. „Wahrscheinlich sind es drei koordinierte Teams von Terroristen, auf die diese Barbareien zurückgehen.“ Die Attentäter benutzten Sturmgewehre des Typs Kalaschnikow. Außerdem hätten sie die absolut gleiche Art von Sprengstoffwesten getragen, sagte Molins - „darauf ausgelegt, ein Maximum an Opfern zu erzeugen durch den eigenen Tod“.

Möglicher Attentatskomplize in Bayern verhaftet

Das wissen wir nicht
Womöglich wollten die Attentäter sogar ein noch größeres Blutbad anrichten. Nach einem Bericht des „Wall Street Journal“ könnte ein Anschlag direkt in dem mit knapp 80.000 Fans besetzten Stadion geplant gewesen sein, in dem die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gegen Frankreich spielte. Zwei der Attentäter sollen laut Medienberichten versucht haben, das Stadion zu betreten.

Die Opfer und die Sicherheitslage

Die Opfer
Das wissen wir
129 Menschen starben bisher durch die Anschläge. Etwa 350 wurden verletzt, davon 99 lebensgefährlich. Ein Deutscher ist unter den Opfern.

Das wissen wir nicht
Nationalität und Identität der Opfer sind noch nicht restlos geklärt. So ist es unklar, ob es neben dem einen identifizierten weitere deutsche Opfer gegeben hat. Das Auswärtige Amt in Berlin habe in diesem Zusammenhang noch keine Gewissheit, teilte ein Sprecher mit. Im Außenministerium wurde ein Krisenstab eingerichtet, der mit der Botschaft Paris und den französischen Behörden in Kontakt steht.


Die aktuelle Sicherheitslage in Deutschland
Das wissen wir
Als Reaktion auf die Terroranschläge in Paris werden in Deutschland die Sicherheitsmaßnahmen hochgefahren. Es werde in den nächsten Tagen eine für die Bürger sichtlich erhöhte Polizeipräsenz geben, kündigte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) an. „Die Polizei, die man sieht, wird auch etwas anders aussehen als bisher. Die Ausrüstung wird eine andere sein.“ Zugleich werde zusammen mit den Nachrichtendiensten die Beobachtung islamistischer Gefährder intensiviert.
Bundesinnenminister Thomas De Maizière (CDU) sagte, Deutschland stehe weiter im Visier des internationalen Terrorismus. „Die Lage ist ernst. Jetzt gilt es, zusammenzustehen in Regierung und Parlament, in der Bevölkerung und in Europa.“
Die Bundespolizei verstärkte ihre Einsatzkräfte entlang der deutsch-französischen Grenze. Noch in der Nacht zum Samstag begannen Beamte mit Grenzkontrollen. Auch französische Einrichtungen stehen seit Samstag unter besonderem Schutz. Polizisten sperrten die französische Botschaft in Berlin weiträumig ab.

Das bedeuten die Anschläge in Paris für Deutschland


Frankreich hat derweil den Ausnahmezustand ausgerufen und alle Sicherheitskräfte mobilisiert. Insgesamt 3000 zusätzliche Soldaten sollen in den kommenden drei Tagen zum Einsatz kommen. Alle Bahnhöfe werden überwacht, ebenso die Häfen und wichtige Straßen wie etwa Autobahnen. Auch die Grenzkontrollen wurden verschärft. Hausdurchsuchungen sind in Frankreich nun ohne richterliche Genehmigung möglich. Die Versammlungsfreiheit ist eingeschränkt.
Frankreich hat die europäischen Partner gebeten, Zug- und Flugreisende auf dem Weg ins Land stärker zu kontrollieren. Die neuen Kräfte werden zusätzlich zu 30.000 Polizisten, Gendarmen und Soldaten abgestellt, die bereits seit Monaten zum Schutz sensibler Einrichtungen im Einsatz sind, wie das Innenministerium erklärte.

Islamistischer Terror gegen Europäer seit "Charlie Hebdo"


Auch Italien hat nach den Terroranschlägen von Paris seine Grenzkontrollen und Sicherheitsvorkehrungen im gesamten Land verschärft. Belgien kontrolliert an der Grenze zu Frankreich den Straßen-, Bahn- und Flugverkehr. Die Niederlande haben die Sicherheit an all ihren Grenzen erhöht. Das teilte Premier Mark Rutte mit. Die Regierung werde "sichtbare und nicht sichtbare" Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit zu stärken. Spanien hat eine Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen beschlossen, den Terroralarm aber vorerst weiter auf der zweithöchsten Stufe belassen.

Das wissen wir nicht
Wie konkret die derzeitige Bedrohung in Frankreich und anderen EU-Staaten ist, kann niemand genau sagen. Die Behörden der meisten Länder beobachten seit Monaten eine abstrakte Terrorgefahr – die hat sich seit Freitag nicht wirklich konkretisiert.

Militärische, politische und wirtschaftliche Folgen

Die politischen Folgen
Das wissen wir
Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte ihre bisherige Haltung und sagte am Samstag, neben einer Reaktion der Sicherheitskräfte müsse es auch eine der Bürger geben. „Und die heißt: Wir leben von der Mitmenschlichkeit, von der Nächstenliebe, von der Freude an der Gemeinschaft. Wir glauben an den Respekt vor dem anderen und an die Toleranz. Wir wissen, dass unser freies Leben stärker ist als jeder Terror.“ Vizekanzler Gabriel warnte davor, Flüchtlinge pauschal zu verdächtigen. „Es suchen viele Menschen Schutz und Sicherheit in Europa. Wir dürfen sie nicht darunter leiden lassen, dass sie aus Regionen kommen, aus denen der Terror zu uns in die Welt getragen wird.“
Dennoch setzt genau dieser Mechanismus ein: Konservative und rechte Politiker in nahezu allen europäischen Ländern versuchen seit Freitagabend, eine Verbindung zwischen der Flüchtlingsfrage und den Anschlägen herzustellen.
Die neue polnische Regierung kündigte an, sich nicht mehr an der Verteilung von Flüchtlingen nach EU-Quoten zu beteiligen. Der designierte Europaminister Konrad Szymanski schrieb auf der rechtspopulistischen Internetseite "wPolityce.pl", der Beschluss für die Hotspots samt Verteilung sei zwar de facto europäisches Gesetz. "Aber nach den tragischen Ereignissen von Paris sehen wir nicht die politische Möglichkeit, diesen zu respektieren." Die französische Rechtsextremistin Marine Le Pen äußerte sich ähnlich.

Das wissen wir nicht
Ob die CSU jetzt endgültig nach rechts abdreht. Bayerns Finanzminister Markus Söder jedenfalls läuft seit Samstagmorgen – zwar frei von Beweisen, aber voller Entschlossenheit – zur Höchstform darin auf, die Pariser Attentate mit der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel zu verbinden. Die Attentate „änderten alles“, sagt er der „Welt am Sonntag": "Es wäre gut, wenn Angela Merkel einräumen würde, dass die zeitlich unbefristete Öffnung der Grenzen ein Fehler war. Wir wollten helfen und haben geholfen, aber jetzt sind auch wir überfordert", sagte Söder.
Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer forderte einen besseren Schutz der deutschen Grenzen. „Wir müssen sehr, sehr schnell festlegen, wie das mit den Grenzkontrollen in Europa und an unseren Binnengrenzen weitergeht.“ Das müsse „in Tagen“ geschehen. Es sei wichtig, „dass wir uns Klarheit verschaffen, wer im Land ist und wer durch unser Land fährt“. Wenn die EU-Außengrenzen nicht gesichert werden könnten, müsse Deutschland seine Grenze selbst sichern.

Die militärischen Folgen
Das wissen wir
Frankreich steht im Krieg gegen „die terroristische Armee des ,Islamischen Staates‘“. Das sagte Präsident François Hollande, nachdem der Verteidigungsrat („Conseil de Défense“) im Elysée-Palast getagt hatte. Der Präsident, dem die Verfassung den Rang des obersten Armeechefs zuschreibt, spricht von „Kriegshandlungen“ („actes de guerre“). Dementsprechend verschärfen die beteiligten westlichen Staaten ihr militärisches Vorgehen gegen den IS.
Frankreichs Premier Manuel Valls sagte: "Wir werden diesen Krieg gewinnen." Frankreich gehört zu den Gründungsmitgliedern der US-geführten Koalition gegen den IS und hat sich von Anfang an an Luftangriffen gegen die radikalislamische Miliz in Syrien beteiligt. Der IS bezeichnete die Anschläge als Vergeltung für die französischen Luftangriffe gegen sich im Irak und in Syrien.

Die USA haben nach eigenen Angaben den Chef der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in Libyen, Abu Nabil, getötet worden. Der Angriff mit F-15-Bombern sei in der Nacht zum Samstag geflogen worden, teilte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Peter Cook, in Washington mit. Der erste US-Angriff auf einen führenden IS-Vertreter in Libyen zeige, dass die USA die Miliz "überall" verfolgten.
Immerhin tut sich politisch etwas in Sachen Krieg gegen den IS: Die internationale Syrien-Konferenz in Wien hat einen "Fahrplan" zur Überwindung des Bürgerkriegs beschlossen. Wie US-Außenminister John Kerry und sein deutscher Kollege Frank-Walter Steinmeier (SPD) mitteilten, sollen innerhalb von 18 Monaten eine Übergangsregierung gebildet und Wahlen abgehalten werden. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sprach nach den Beratungen, an denen Vertreter von 20 Staaten und Organisationen teilnahmen, von einer "guten" Konferenz. Ein Frieden in Syrien gilt als Schlüsselfrage im Kampf gegen den IS, der dort eine der maßgeblich kriegsführenden Parteien ist.

Das wissen wir nicht
Wie das Militärbündnis Nato sich verhält. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001, zu denen US-Präsident Obama am Freitagabend eine Parallele zog, hatte das Bündnis den Verteidigungsfall ausgerufen. Ob dies nun auch geschieht, hängt maßgeblich von Frankreich ab. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat nach der Anschlagsserie in Paris davor gewarnt, von einem Religionskrieg zu sprechen. "Dies ist kein Kampf zwischen der islamischen Welt und dem Westen. Es ist ein Kampf von Extremisten und Kriminellen gegen Menschen, die an grundlegende Werte wie Freiheit und die Achtung der Menschenrechte glauben.“ Stoltenberg ergänzte: "Alle Nato-Verbündeten sind vereint im Kampf gegen Terrorismus und stehen solidarisch an der Seite Frankreichs." Welche konkreten Folgen das hat, ist derzeit unklar.

Die wirtschaftlichen Folgen

Das wissen wir
Die Börse in Paris wird am Montag normal geöffnet. Dies teilte eine Sprecherin des Betreibers Euronext der Nachrichtenagentur Bloomberg mit. Die Börse befindet sich mehrere Kilometer von den Anschlagsorten entfernt.

Das wissen wir nicht
Mit der verheerenden Anschlagsserie müssen sich die Aktienanleger wohl auf eine Handelswoche mit ungewissem Ausgang einstellen. Die Attentate dürften für Nervosität an den Börsen sorgen, die sich auch in fallenden Kursen niederschlagen könnte. Die Futures auf die wichtigen US-Indizes hatten am Freitagabend nach US-Börsenschluss in Reaktion auf die Anschläge bereits nachgegeben. Alles was die weltpolitischen Risiken wieder ins Bewusstsein bringe, werde die Märkte belasten, die derzeit ohnehin anfällig seien, sagte ein Börsianer. "Gerade weil es in den vergangenen Wochen so deutlich nach oben gegangen ist."
Es wäre nicht verwunderlich, wenn der Aktienmarkt um zwei bis drei Prozent falle, sagte Yogi Dewan von der britischen Investmentfirma Hassium Asset Management der Nachrichtenagentur. Die Versicherungsbranche sowie Aktien von Reiseveranstaltern würden wohl auf die Terroranschläge reagieren.

Mit Agenturmaterial

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