Europa bleibt im Fokus von Terroristen: Nur fünf Wochen nach den islamistischen Attentaten von Paris starben in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen zwei Menschen und der Attentäter. Angst vor Anschlägen wuchs auch in Deutschland. Ein großer Karnevalsumzug in Braunschweig wurde nach Hinweisen auf ein mögliches Attentat abgesagt.
In Dänemark erschoss ein Mann binnen zehn Stunden einen Filmemacher während einer Diskussion über Meinungsfreiheit und einen jüdischen Wachmann vor einer Synagoge. Fünf Polizisten wurden verletzt. Der mutmaßliche Attentäter wurde nach dramatischer Fahndung in einem Feuergefecht mit der Polizei getötet.
Die wichtigsten Fakten zu "Charlie Hebdo"
Die französische Satire-Zeitung im Zentrum des Terroranschlags von Paris arbeitet mit Provokationen: „Charlie Hebdo“ macht sich über Päpste und Präsidenten lustig - und auch über den Propheten Mohammed. Die Wochenzeitung, die am Mittwoch einem Angriff mit mindestens zwölf Toten zum Opfer fiel, rief mit Karikaturen des hoch verehrten Propheten in der islamischen Welt immer wieder Empörung hervor.
Im November 2011 waren die Büros der Zeitung Ziel eines Brandbombenangriffs, nachdem sie eine Ausgabe publiziert hatte, in der Mohammed „eingeladen“ wurde, ihr Gastredakteur zu werden. Auf der Titelseite: eine Karikatur des Propheten.
Ein Jahr später veröffentlichte die Zeitung inmitten der Aufregung über einen islamfeindlichen Film weitere Mohammed-Zeichnungen. Die Karikaturen stellten Mohammed nackt und in erniedrigenden oder pornografischen Posen dar. Während die Emotionen hochkochten, nahm die französische Regierung die Redefreiheit in Schutz. Gleichzeitig warf sie „Charlie Hebdo“ vor, Spannungen zu schüren.
Die Zeitung mit niedriger Auflage tendiert politisch betrachtet zum linken Spektrum. Sie ist stolz, mit Karikaturen und parodierenden Berichten Kommentare zum Weltgeschehen abzugeben. „Wir gehen mit den Nachrichten wie Journalisten um“, sagte ein Karikaturist mit Namen Luz 2012 der Nachrichtenagentur AP. „Einige nutzen Kameras, einige nutzen Computer. Für uns ist es ein Papier und Bleistift“, sagte er. „Ein Bleistift ist keine Waffe. Er ist einfach ein Äußerungsmittel“, meinte er.
Chefredakteur Stéphane Charbonnier, der bei dem Anschlag am Mittwoch getötet wurde, hatte die Mohammed-Karikaturen ebenfalls verteidigt. „Mohammed ist mir nicht heilig“, sagte er 2012. „Ich mache Muslimen keine Vorwürfe dafür, dass sie nicht über unsere Zeichnungen lachen. Ich lebe unter französischem Gesetz“, ergänzte er. „Ich lebe nicht unter Koran-Gesetz.“
Eine von Charbonniers letzten Karikaturen, die in der dieswöchigen Ausgabe von „Charlie Hebdo“ veröffentlicht wurde, scheint in Anbetracht der Ereignisse wie eine unheimliche Vorahnung. „Noch immer keine Anschläge in Frankreich“, sagte ein Extremisten-Kämpfer darin. „Warte - wir haben bis Ende Januar, um unsere Neujahrswünsche vorzubringen.“
Der erste Angriff galt vermutlich dem schwedischen Zeichner Lars Vilks. Islamisten kritisieren ihn seit Jahren wegen seiner Mohammed-Karikaturen.
Der Schütze von Kopenhagen war der Polizei unter anderem durch Gewaltdelikte und Verstöße gegen das Waffengesetz bekannt. Der 22-Jährige sei in Dänemark geboren und im Bandenmilieu aufgefallen, teilte die Polizei mit. Laut dem Fernsehsender tv2 hieß er Omar Abdel Hamid El-Hussein.
Die Taten von Kopenhagen erinnerten an die Anschläge auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ am 7. Januar. Die Pariser Terrorakte könnten den mutmaßlichen Attentäter laut der dänischen Sicherheitsbehörde PET zu seinen Taten angeleitet haben.
Bei Durchsuchungen in einem Park und in der Wohnung des Mannes im Stadtteil Nørrebro fand die Polizei Kleidungsstücke und eine automatische Waffe, die der Täter beim ersten Anschlag auf ein Café benutzt haben könnte. Untersuchungen sollen das klären.
Als eine Spezialeinheit den Mann am frühen Sonntagmorgen bei seiner Wohnung antraf und tötete, sei er im Besitz zweier Pistolen gewesen. Die Zeitung „Ekstrabladet“ veröffentlichte ein Bild des 22-Jährigen.
Es gebe keine Hinweise auf Komplizen oder einen Aufenthalt des Mannes als Dschihadist in Syrien oder im Irak, sagte PET-Chef Jens Madsen.
Einschüchtern lassen will sich Dänemark nicht. „Es gibt viele Fragen, die die Polizei noch beantworten muss“, sagte Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt. „Aber es gibt eine Antwort, die wir heute schon geben können. Und die lautet, dass wir unsere Demokratie verteidigen werden.“ Königin Margrethe beschwor die Dänen, zusammenzuhalten.
Die Stadt Kopenhagen will am Montagabend der Opfer gedenken.
Die dramatischen Stunden von Kopenhagen begannen am Samstag um 15.33 Uhr. Der junge Mann beschoss mit einer automatischen Waffe von außen das Kulturcafé, in dem eine Veranstaltung zu Gotteslästerung und Meinungsfreiheit stattfand. Der Filmregisseur Finn Nørgaard (55) wurde getötet, drei Polizisten wurden verletzt.
Der Zeichner Vilks war bereits mehrfach Ziel von Anschlägen. Er hatte sich mit einer Organisatorin der Diskussion in einem Kühlraum versteckt und blieb unverletzt.
Der Attentäter flüchtete laut Polizei zunächst in einem VW Polo und dann per Taxi. Er ließ sich in seine nahe Wohnung fahren. Etwa zehn Stunden nach dem ersten Anschlag versuchte wahrscheinlich derselbe Täter nach Mitternacht, in eine Synagoge einzudringen. Er eröffnete das Feuer und traf einen Mann tödlich in den Kopf - laut jüdischer Gemeinde einen 37 Jahre alten freiwilligen Wachmann.
Zwei Polizisten wurden verletzt. Zu einer Feier - der Bat Mizwa - waren in dem Gebäude rund 80 Menschen versammelt.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu forderte die Juden in Europa zur Auswanderung in den jüdischen Staat auf: „Juden wurden auf europäischem Boden ermordet, nur weil sie Juden waren.“
Später am Sonntag stürmte die Polizei laut Medienberichten ein Internetcafé im Stadtteil Nørrebro und durchsuchte einen Park. Es gab demnach mehrere Festnahmen, unterschiedliche Medien nannten verschiedene Zahlen. Offizielle Angaben lagen zunächst nicht vor.
Über Stunden hatten Panik und Chaos in der dänischen Hauptstadt geherrscht. Das Geschehen spielte sich in der Innenstadt ab.
Kurzfristig wurde der Karnevalsumzug in Braunschweig abgesagt. Am Sonntag waren zum größten Umzug Norddeutschlands bis zu 250 000 Besucher erwartet worden. Laut Polizei wurde aus zuverlässigen Staatsschutzquellen eine „konkrete Gefährdung durch einen Anschlag mit islamistischen Hintergrund“ bekannt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach den Angehörigen der Opfer ihr Beileid aus. EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte: „Unsere Entschlossenheit, alle Arten von Extremismus und Terrorismus zu bekämpfen, wird durch solche Angriffe nur gestärkt.“ Die USA boten Dänemark ihre Hilfe an.
Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve eilte nach Kopenhagen und legte mit dem französischen Botschafter François Zimeray am ersten Anschlagsort Blumen nieder. Zimeray hatte den Anschlag auf das Kulturcafé überlebt.