Für die Briten ist die Nachfolgerin von David Cameron im Amt des Premierministers seit Jahren eine feste politische Größe - in den Brexit-Verhandlungen wird nun auch der Rest Europas die langjährige Innenministerin näher kennenlernen.
Denn nachdem ihre Parteirivalin Andrea Leadsom schon vor dem Startschuss der Mitgliederbefragung der Konservativen das Handtuch warf, stand Theresa May praktisch als Siegerin fest. Danach kündigte dann der scheidende Premierministers David Cameron an, dass er bis Mittwoch das Amt räumen und May somit bis Mittwochabend im Amt der Premierministerin sein werde. Nun ist May auch offiziell die neue Parteichefin der Konservativen Partei. Das teilte der Vorsitzende des zuständigen Tory-Komitees, Graham Brady, am Montagabend in London mit.
May genieße seine volle Unterstützung, sagte der scheidende Premier Cameron. Doch wer ist diese Politikerin, die den Briten wohl bekannt, für Europa aber ein unbeschriebenes Blatt ist?
Die 1956 in Eastbourne (Sussex) geborene May gilt als beharrlich und resolut, aber auch als brennend ehrgeizig. Schon mit zwölf Jahren, bekannte sie, wollte sie Abgeordnete werden. Nun dürfte sie bald beim Brexit-Abenteuer am Steuer stehen.
Theresa May wird neue Premierministerin
Gegen May war zum Schluss nur noch eine einzige Konkurrentin bei den Konservativen im Rennen: Energie-Staatssekretärin Andrea Leadsom. Die zog sich aber am Montag plötzlich aus dem Rennen um die Nachfolge Camerons zurück. Ihre Begründung: Das Land brauche rasch eine neue Führung und keinen langen Wahlkampf vor einer Urwahl der Parteibasis. Noch am späten Nachmittag wurde May offiziell zur Chefin der Konservativen Partei ernannt.
Die Referenzen der 59-Jährigen sind ausgezeichnet: Die seit 2010 amtierende Innenministerin in zwei Cameron-Kabinetten verantwortet schwierige Themen wie Einwanderung und Terrorabwehr. Mitarbeiter beschreiben sie als kompetent, freundlich und sehr ehrgeizig. Damit stehen die Zeichen für eine Einigung der zerstrittenen Tories gut. May will die Rolle der Versöhnerin übernehmen.
Nein. May möchte als Premierministerin sicherstellen, dass Großbritannien die EU verlässt. Es soll keine Versuche geben, „durch die Hintertür“ doch in der Union zu bleiben. „Brexit bedeutet Brexit - und wir werden einen Erfolg daraus machen“, betonte sie. May plädierte während des Brexit-Wahlkampfs für den Verbleib in der EU - aber das tat sie derart diplomatisch geschickt, dass es kaum auffiel.
Viel schneller als gedacht - an diesem Mittwoch. Cameron hatte nach seiner Niederlage beim Brexit-Referendum seinen Rücktritt erst für September in Aussicht gestellt. Am Montagnachmittag kündigte er nun an, dass seine letzte Kabinettssitzung schon an diesem Dienstag sein werde - und er am Mittwoch Königin Elizabeth II. seinen Rücktritt anbieten wolle. Die Queen ist derzeit nicht in London und kommt erst Mittwoch wieder. Nur sie kann Cameron entlassen - eine reine Formsache.
Hier zeichnet sich ein Hauen und Stechen ab. Parteichef Jeremy Corbyn weigert sich zu gehen. Doch jetzt hat sich die Abgeordnete Angela Eagle bereit erklärt, den 67-Jährigen in einer Urwahl der Parteibasis herauszufordern. Doch das ist ein Risiko, Corbyn wurde erst im September 2015 von der Basis an die Macht gewählt, mit rund 60 Prozent der Stimmen. Der Altlinke Corbyn kann nach wie vor auf breite Unterstützung der Basis hoffen.
May ist nicht der Typ Politiker, der wegläuft, wenn es ernst wird oder das persönliche Image Kratzer bekommen könnte. Der Job des Innenministers gilt als der unbequemster Posten in der britischen Regierung. May sitzt seit 2010 auf dem Schleudersitz - seit fast 100 Jahren hat sich dort niemand mehr so lange gehalten. In den Oppositions-Jahren davor war sie für etliche andere Ressorts "Schatten"-Ministerin und damit direkte Gegenspielerin der Amtsinhaber. Ihre eigene Partei kennt sie aus dem Effeff, 2002 war sie Generalsekretärin der Konservativen.
Seit 1721 war erst einmal mit Margaret Thatcher eine Frau Hausherrin in "10 Downing Street", der Residenz der britischen Premierminister. Mit der 1990 aus dem Amt geschiedenen und 2013 verstorbenen Baroness Thatcher teilt May die Bereitschaft zu polarisieren. Im Sommer 2013 ließ ihr Innenministerium zwei Lastwagen mit der Aufschrift "Illegal in Großbritannien? - Gehen Sie nach Hause oder ins Gefängnis" durch multikulturelle Gegenden Londons fahren. Um die Wahlaussagen der Konservativen durchzusetzen, die Zahl der Einwanderer zu reduzieren, spielte sie gar mit dem Gedanken, die Europäische Menschenrechtskonvention zu kündigen. Den Brexit-Befürwortern in ihrer Partei dürfte das gefallen, ging es vielen beim Referendum doch eigentlich um Zuwanderung.
In der Brexit-Frage selbst hatte sich die verheiratete und kinderlose May auf die Seite der EU-Befürworter um Cameron gestellt, allerdings eher still und leise. Nach dem Votum fiel es ihr dann nicht schwer zu sagen: "Brexit heißt Brexit." Es werde keine zweite Abstimmung geben, keine Hintertür und keine Rückkehr in die EU. Den Austritts-Artikel 50 des EU-Vertrags will sie nicht vor Jahresende aktivieren. Vorher müsse die eigene britische Linie klar sein.
Die Bedenkzeit wird sie benötigen, schließlich will sie in den Verhandlungen mit der EU zusammenbringen, was unvereinbar scheint: Einerseits will sie, dass die britische Wirtschaft auch nach dem Brexit Zugang zum EU-Binnenmarkt hat. Andererseits will sie das damit verbundene Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit im Binnenmarkt nicht akzeptieren. "Wir müssen den Zuzug aus der EU nach Großbritannien unter Kontrolle bringen", sagte sie am 3. Juli. Vier Tage vorher hatte sie versprochen, es werde keine Veränderungen in den Handelsströmen des Landes mit der EU geben.
Bei der Suche nach einer Lösung des Problems könnte sich die für extravagante Schuhe schwärmende May auf die Einsicht eines Vorgängers besinnen. "Konsequent ist, wer sich selber mit den Umständen wandelt", sagte Winston Churchill.