Theresa May Warum es jetzt Neuwahlen geben soll

Die britische Premierministerin kündigt überraschend Neuwahlen für den 8. Juni an. Warum Theresa May ausgerechnet jetzt auf dieses Mittel setzt und wie es in den nächsten Tagen weiter geht.

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Theresa May kündigt Neuwahlen an. Quelle: imago images

Warum gab es ohne jede Vorwarnung die Ankündigung für vorgezogene Wahlen in Großbritannien?

May wollte sich ein eigenes Mandat für die bevorstehenden Brexit-Verhandlungen sichern und sich gleichzeitig die aktuelle Schwäche der oppositionellen Labour-Partei zu Nutze machen. Schon lange hatten konservative Kommentatoren und Berater ihr empfohlen, bald Wahlen anzuberaumen. Denn die Premierministerin hat im Parlament nur eine dünne Mehrheit von zwölf Mandaten. In den Umfragen liegen die Konservativen mit Zustimmungsraten von 42 Prozent jedoch deutlich vor der Labour-Partei, die mit nur 27 Prozent derzeit unter der Führung von Jeremy Corbyn als nahezu chancenlos gilt.

Fratzscher: "Neuwahl wird die Wirtschaft schwächen"
Großbritanniens Premierministerin Theresa May Quelle: REUTERS
Außenminister Sigmar Gabriel sagte im Interview der Funke Mediengruppe: „Berechenbarkeit und Verlässlichkeit sind nach dem Brexit-Votum der Briten wichtiger denn je. Jede längere Ungewissheit tut den politischen und den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und Großbritannien sicher nicht gut.“ Quelle: dpa
EU-Ratspräsident Donald Tusk Quelle: AP
David Cameron Quelle: AP
Marcel Fratzscher Quelle: dpa
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon Quelle: AP
Der Chef der oppositionellen britischen Labour Partei, Jeremy Corbyn Quelle: REUTERS

Was bedeutet dies für die Brexit-Verhandlungen?

Mays befürwortet einen harten Ausstieg aus der EU: Sie will den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen. Doch beim Referendum im letzten Sommer stimmten die Briten nur über den Abschied aus der EU allgemein ab – die Details blieben offen. Mays größtes Problem war immer, dass sie als nicht gewählte Regierungschefin über kein Mandat für die von ihr favorisierte Form des Brexit verfügte. Sollte sie im Juni bei den Parlamentswahlen eine Mehrheit erhalten und sich womöglich mehr Mandate sichern können als ihr Vorgänger Cameron ginge sie damit gestärkt in die Brexit-Verhandlungen mit den übrigen 27 EU-Staaten und der EU-Kommission. Außerdem sagte May nun ausdrücklich, sie wolle sich im Vorfeld der heißen Phase der Verhandlungen demokratisch legitimieren lassen. Nach den Wahlen hat sie damit auch bessere Argumente gegen die britischen Brexit-Gegner im Unterhaus und im Oberhaus in der Hand. Sie wird so auch versuchen, die schottischen Nationalisten zu disziplinieren.

Was sind die nächsten Schritte?

Am morgigen Mittwoch soll das Unterhaus über die Auflösung des Parlaments und den von May vorgeschlagenen Wahltermin am 8. Juni abstimmen. Um ihr Vorhaben durchzusetzen, benötigt May die Zustimmung von Zweidritteln der Parlamentarier. Denn unter David Cameron war das Wahlgesetz reformiert und feste fünfjährige Legislaturperioden eingeführt worden. Seither war es für britische Premierminister nicht mehr möglich, die Briten nach eigenem Gutdünken zu einem beliebigen Zeitpunkt an die Urnen zu rufen. Nur ein Misstrauensvotum gegen die Regierung oder eine Zweidrittelmehrheit im Parlament kann jetzt zu vorgezogenen Neuwahlen führen. Da Cameron die Briten erst 2015 zu den Urnen gerufen hatte, wären die nächsten Wahlen planmäßig im Mai 2020 fällig gewesen.

Der Brexit-Fahrplan

Wie groß sind die Chancen, dass May mit ihrem Plan durchkommt?

Sehr groß. Aller Vorrausicht nach wird sie morgen die erforderliche Zweidrittelmehrheit erhalten. Denn Labour-Chef Jeremy Corbyn hatte in der Vergangenheit stets betont, er sei jederzeit bereit und in der Lage, sich Wahlen zu stellen. May will ihn nun beim Wort nehmen. Die Liberaldemokraten – die gemeinsam mit den schottischen Nationalisten gegen den Brexit sind – werden die Gelegenheit für Neuwahlen begrüßen. Denn sie können auf die Stimmen der Proeuropäer hoffen und werden versuchen, ihre Wahlschlappe von 2015 wettzumachen.

Cameron hatte sich für Verbleib der Briten stark gemacht

Wie geht es danach weiter?

Erhält May die erforderliche Mehrheit zur Auflösung des Parlaments, so wird sie sich anschließend unverzüglich zu Königin Elisabeth in den Buckingham Palace fahren lassen. Denn rein formal ist die Queen diejenige, die den Regierungschef abberufen muss. Erst am 13. Juli 2016 – also vor acht Monaten – hatte May von der Queen den Regierungsauftrag erhalten. Sie war damals überraschend schnell zur Nachfolgerin von David Cameron ernannt worden, der am 24. Juni unmittelbar im Anschluss an das EU-Referendum zurückgetreten war.

Cameron hatte sich für den Verbleib der Briten in der EU stark gemacht. Der innerparteiliche Kampf um seine Nachfolge wurde unerwartet kurzfristig entschieden – die bisherige Innenministerin zog in die 10 Downing Street ein.

Was der Abschied der Briten bedeutet

Wie wird der Wahlkampf?

Extrem kurz. In nur sechs Wochen werden die Briten wählen – nach den französischen Präsidentschaftswahlen und noch vor den Bundestagswahlen in Deutschland. Der Brexit und die Zukunft Großbritanniens außerhalb der EU werden im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stehen. Man darf gespannt sein, ob May dafür plädieren wird, Großbritannien in ein Steuerparadies für internationale Konzerne und Banken umzufunktionieren. Innenpolitisch tritt sie nämlich für ein gerechteres und faireres Modell ein. Sie betont stets, sie wolle keine Regierungschefin für die Elite sein und stattdessen die Lage der weniger privilegierten Briten verbessern. Das dürfte dann auch im Wahlprogramm der Tories eine prominente Rolle spielen. Im Grunde aber wird sich alles um den Brexit drehen.

Welche Rolle spielt die Wirtschaft bei der Zeitplanung?

Allen Unkenrufen zum Trotz steht Großbritanniens Wirtschaft seit dem Brexit-Votum gut da. Dank des ungetrübten Optimismus der britischen Verbraucher und befeuert von der Pfundabwertung ist der erwartete Konjunktureinbruch bisher ausgeblieben. Aber es gibt bereits erste Anzeichen für ein Anziehen der Inflationsrate, auf die Dauer werden die Preise steigen und die Zuversicht der Verbraucher wird damit wohl gedämpft.

Sollten die Briten künftig keinen ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt erhalten – und darauf deutet alles hin – dann werden die Exporteure ungeachtet des schwachen Pfundes langfristig das Nachsehen haben. Das dicke Ende des Brexit für die britische Wirtschaft steht also noch bevor. May ist daher klug beraten, ihre Landsleute jetzt wählen zu lassen, wo es ihnen noch gut geht.

Wie riskant ist Mays Schritt?

In den vergangenen Monaten hatte die Premierministerin immerzu betont, sie werde sich auf die Brexit-Verhandlungen konzentrieren und sich vor allem darum bemühen, das bestmögliche Ergebnis für Großbritannien zu erzielen. Vorgezogene Wahlen hatte sie in mehreren Interviews nachdrücklich ausgeschlossen. Mit ihrer radikalen Kehrtwende, die selbst Insider überraschte, manche sogar schockierte, erwies sich May als typische Politikerin, die nach dem Motto agiert: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Damit büßt sie an Glaubwürdigkeit ein, auch wenn sie nun argumentiert, die mangelnde Geschlossenheit der Parteien in der Brexit-Frage sei der Grund dafür. Hinzu kommt: May setzt nun auf einen überzeugenden Sieg der Tories. Doch der könnte ihr verwehrt bleiben. Wahlforscher wie Professor John Curtice warnen May vor Illusionen – sie betreibe ein riskantes Spiel. Nicht zuletzt könnte sich nach dem schottischen Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2014, den Parlamentswahlen im Mai 2015, dem EU-Referendum im letzten Jahr und den Kommunalwahlen in diesem Mai, bei den Briten Wahlmüdigkeit breit machen.

Könnte der Brexit durch die Wahl rückgängig gemacht werden?

Damit sollte man nicht rechnen. Die Tories dürften als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen und selbst die Labour-Partei will den Brexit nicht mehr stoppen. Die europafreundlichen Liberaldemokraten sind heute lediglich eine schwache Splitterpartei und die SNP tritt ja nur in Schottland an. In ihrer Ansprache Dienstagvormittag sagte es May klipp und klar: „Großbritannien verlässt die EU. Einen Rückweg gibt es nicht.“

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