Hammond warb zudem für längere Übergangsregelungen, um Verwerfungen zu vermeiden und forderte, Großbritannien sollte – zumindest vorübergehend – weiterhin ein Arrangement anstreben, das der Zollunion ähnle. „Wir brauchen unbedingt eine Übergangsphase - außerhalb der Zollunion, aber mit den derzeitigen Regelungen - bis eine dauerhafte Lösung umgesetzt ist“, forderte er. Die Einwanderung nach Großbritannien müsse zwar in irgendeiner Weise kontrolliert aber keineswegs gestoppt werden, so der Minister, der sich damit auf direkten Konfrontationskurs mit seiner Premierministerin begab.
Er nannte ferner drei Ziele für den Brexit: ein umfassendes Freihandelsabkommen für Waren und Dienstleistungen, Übergangsfristen, um eine gefährliche Klippe zu vermeiden, bei der die britischen Unternehmen von einem Tag zum anderen mit neuen Regeln konfrontiert wären, sowie reibungslosen Zollvereinbarungen für den grenzüberschreitenden Handel und zur Wahrung der offenen Grenze zwischen der Republik Irland und der britischen Region Nordirland.
Auch beim britischen Verband der Automobilhersteller und –Händler (SMMT) schöpft man angesichts der Schwäche Mays nun die Hoffnung auf einen weicheren Brexit. Dort waren bei einer Konferenz, die ganz im Zeichen des bevorstehenden EU-Austritts stand, deutliche Forderungen und robuste Warnungen zu hören. „Unsere größte Sorge ist, dass wir in zwei Jahren von der Klippe fallen - ohne Abkommen, außerhalb des EU-Binnenmarktes und der Zollunion und unter den schlechteren Bedingungen der Welthandelsorganisation“ so SMMT-Chef Mike Hawes. Es sei nun an der Zeit für „brutale Ehrlichkeit“, erklärte er. „Wir haben uns Klarheit und Planungssicherheit gewünscht, doch das war nicht das Resultat der Wahlen. Sie haben vielmehr zur Verwirrung und Verunsicherung beigetragen“.
Der Brexit-Fahrplan
Laut Barnier sollen bis Oktober 2018 die Details für den Austritt Großbritanniens ausverhandelt sein. Der Franzose hat diesen Zeitplan bereits als sehr ambitioniert bezeichnet. Andere Experten halten ihn angesichts der Fülle der Problemfelder für unmöglich. Womöglich wird es deshalb zahlreiche Übergangsfristen von etwa zwei bis fünf Jahren geben.
Die schottische Regierung will im Herbst 2018 ein zweites Referendum über den Verbleib im Vereinigten Königreich abhalten, sobald die Bedingungen für den Brexit klar sind. May hat dies abgelehnt.
Bis März 2019 wäre dann Zeit, damit Mitgliedsländer und EU-Parlament die Vereinbarung ratifizieren. Der Tag des Austritts Großbritanniens aus der EU wäre dann Samstag, der 30. März.
Unklar ist, wann die umfassenderen Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU abgeschlossen sind. May strebt ein Freihandelsabkommen mit der EU innerhalb weniger Jahre an, über das schon parallel zum Brexit verhandelt werden soll. Dagegen verweist die EU-Kommission auf die Erfahrung aus anderen Abkommen wie etwa mit Kanada (Ceta), über das sechs Jahre lang verhandelt wurde. Im Ceta-Vertrag sind allerdings keine Vereinbarungen über den komplexen Bereich der Finanzdienstleistungen enthalten, die für Großbritannien und den Finanzplatz London von enormer Bedeutung sind.
Unmissverständlich machte er deutlich, dass dem SMMT am liebsten wäre, wenn alles so bliebe wie bisher. Ein Rückfall auf die Regelungen der Welthandelsorganisation mit neuen Ein- und Ausfuhrzöllen für Komponenten und für die fertigen Autos hätte dagegen verheerende Folgen und könnte die Kosten für die Branche um 2,7 Milliarden Pfund im Jahr in die Höhe schießen lassen. Das werde dann auch die Autopreise für die Endverbraucher verteuern. Hawes erklärte, die anhaltende Unsicherheit könne Investitionen verhindern und die Wettbewerbsfähigkeit der britischen Automobilindustrie beeinträchtigen.
Mit vagen und schönen Worten über Übergangsfristen sei es aber keineswegs getan, so der Cheflobbyist, der sich eine fünfjährige Übergangsphase für den Brexit wünscht und vor einem dauerhaften Schaden für die Branche warnte, falls man keine zufriedenstellende Regelung vereinbaren könne. 80 Prozent der in Großbritannien zusammengeschraubten Autos gehen in den Export, die EU ist der größte Absatzmarkt für britische Autobauer.
Auch der britische Industrieverband CBI hat sich entschlossen, in Sachen Brexit weniger diplomatisch zu agieren als bisher. „Es ist erfreulich, dass die jüngste Hitzewelle, die Haltung der Regierung im Hinblick auf die Wirtschaft und ihren Beitrag zum Wohlbefinden der Briten erwärmt hat“, so CBI-Chefin Carolyn Fairbairn. „Doch diese willkommene Wende und dieser neue Ton muss jetzt von klarem Handeln flankiert werden. Die Unternehmen erwarten von allen Politikern, dass Pragmatismus künftig wichtiger wird als reine Politik und das muss mit dem Brexit beginnen.“
Übrigens: Königin Elisabeth, die diesmal im klimatisierten Auto und nicht mit der traditionellen Pferdekutsche ins House of Lords kam, eilte nach der kurzen offiziellen Parlamentseröffnung gleich weiter. Noch während die Abgeordneten im Unterhaus und die Lords im Oberhaus begannen, über die Regierungserklärung zu debattieren war die 91jährige bereits auf dem Weg zum Pferderennen in Ascot. Denn diesen traditionellen Höhepunkt der englischen Sommersaison wollte sich die Pferdenärrin trotz hochsommerlicher Temperaturen keinesfalls entgehen lassen.