TTIP-Gegner Stefan Krug "TTIP ist gefährlich und undemokratisch"

Die TTIP-Verhandlungen müssen zurück auf Anfang, sagt Stefan Krug, Politik-Chef bei Greenpeace. Warum die Umweltorganisation die Freihandelsabkommen stoppen will und wie Greenpeace die Zukunft von SPD-Chef Gabriel sieht.

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Quelle: REUTERS

Herr Krug, Sie wollen die Handelsverträge mit den Vereinigten Staaten (TTIP) und Kanada (CETA) stoppen. Was haben Sie gegen Freihandel?
Stefan Krug: Gar nichts, Greenpeace ist für Handelsverträge, nur eben nicht für diese beiden. Handelsverträge dürfen niemals unsere Demokratie aushöhlen. Es muss auch in Zukunft möglich sein, dass wir unsere europäischen Standards, unser Recht weiterentwickeln. 

Sie sprechen von der sogenannten „regulatorischen Kooperation“.
Ja, würden CETA und TTIP kommen, müssten sich EU, Kanada und die USA frühzeitig über Gesetze beraten, die möglicherweise Auswirkungen auf ausländische Unternehmen hätten. Die Europäer müssten also strukturell Rücksicht nehmen auf die Interessen amerikanischer oder kanadischer Unternehmen. Dieser Weg ist gefährlich und undemokratisch.

Warum?
Künftig müssten EU-Gesetze einer TTIP- und CETA-Prüfung standhalten. Wenn die Amerikaner sagen, dass dieses oder jenes europäische Gesetz ihren Unternehmen schadet, haben wir ein Problem. Die EU kann das Gesetz dann fallen lassen oder durchsetzen. Oder erst gar keine anspruchsvollen Gesetze mehr vorschlagen. Wenn sie es beschließt, dürften aber zunehmend US-Unternehmen die EU verklagen.

Zur Person

Jetzt malen sie bewusst schwarz.
Das glaube ich nicht. Europa und Amerika sind von sehr unterschiedlichen Philosophien geprägt. Die Amerikaner lassen Produkte auch dann zu, wenn ein Schaden nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann. Das ist der Risikoansatz. Wir Europäer handeln nach dem Vorsorgeprinzip, wir lassen Produkte erst dann zu, wenn wir sicher sind, dass sie keinen Schaden anrichten. Diese beiden Philosophien sind grundverschieden und passen nur schwerlich zusammen.

Die Vereinigten Staaten haben zum Teil sehr viel striktere Vorschriften als die EU.
Wir wären tatsächlich froh, wenn wir in Europa ähnlich strenge Grenzwerte für PKW-Stickoxide hätten. Aber das ist ein klassisches Beispiel für nachsorgende Umweltpolitik. Hier konnte der Schaden klar nachgewiesen werden und deswegen sind die Amerikaner sehr strikt. Vorsorge sieht anders aus.

Können beide Seiten nicht auch voneinander lernen?
Das hoffe ich, bin aber skeptisch. Nehmen Sie nur das Beispiel der zugelassenen Kosmetika. In den USA sind es etwa 1800, in Europa nur wenige hundert. Wenn sich zwei so unterschiedliche Systeme auf gemeinsame Standards einigen sollen, treffen sie sich in der Mitte. Für die Verbraucher in der EU ist das keine gute Nachricht.

Kanada und die EU haben sich darauf geeinigt, dass es keine privaten Schiedsgerichte mehr geben soll - stattdessen einen öffentlichen Schiedsgerichtshof. Das ist doch ein Erfolg.
Nein, das ist der falsche Weg. Kanadier und Europäer wollen 15 Juristen als Schiedsrichter benennen, die vorher oder nachher durchaus auf Unternehmensseite arbeiten dürfen. Und diese Schiedsrichter sollen dann eine Fallpauschale erhalten. Bedeutet: Je mehr Fälle, desto mehr Verdienst. Und je höher die Schadenssumme, desto mehr Geld bekommen auch die Richter. Das ist ein Anreizsystem, um Klagen zuzulassen und Unternehmen zu bevorzugen. 

"Es ist gut, dass dieses System keine Zukunft hat"

Die Meinungsforscher von Ipsos haben für die WirtschaftsWoche gefragt, wie die Deutschen zum Freihandelsabkommen CETA stehen. Das Ergebnis ist für Freunde der Globalisierung niederschmetternd. Die Umfrage zum Download.

Wirtschaftsvertreter halten dagegen: Unternehmen würden es sich dreimal überlegen, bevor sie einen Staat verklagen, weil Staaten oft doch am längeren Hebel sitzen.
Ist das wirklich so? Warum verklagt Vattenfall dann die Bundesrepublik auf 4,7 Milliarden Euro Schadensersatz wegen des Atomausstiegs? Oder nehmen sie das Kraftwerk Moorburg in Hamburg. Vattenfall hat damals gegen das Land Hamburg geklagt, weil sie die hohen Gewässerstandards nicht einhalten wollten. Begründung: Diese Standards schädigen unser Geschäft. Die Stadt Hamburg hat sich dann außergerichtlich mit Vattenfall geeinigt und Sonderregeln zugelassen. Wenn Umweltstandards plötzlich als Gewinnbremse verstanden werden, schadet uns das. Und ich fürchte, dass es künftig viele Klagen geben könnte.

Was schlagen Sie stattdessen vor?
Öffentliche Gerichte sollen diese Fälle verhandeln. Warum sollte es eine Paralleljustiz außerhalb demokratischer Kontrolle geben, bei der ausländische Unternehmen besser als inländische gestellt werden?

Investorenschutzklauseln gehören zu Handelsabkommen seit Jahrzehnten dazu. Bislang hatte das nie jemanden gestört.
Das macht es ja nicht besser. Investorenschutz mag sinnvoll sein in Ländern mit unsicheren Rechts- und Verwaltungsstrukturen, aber nicht zwischen hoch entwickelten Industrienationen. Die breite Öffentlichkeit wusste bisher nicht, was wirklich unter dem Stichwort Investorenschutz läuft. Es ist gut, dass dieses System keine Zukunft hat.

Sigmar Gabriel kämpft für das CETA-Abkommen, hat TTIP aber für gescheitert erklärt. Müssten Sie das nicht gut finden - Kanada statt Amerika?
Das ist ein Trick. Zum einen sind viele US-Unternehmen auch in Kanada aktiv und könnten die EU über diesen Umweg verklagen. Zum anderen ist der SPD-Chef recht sprunghaft. Vor einem halben Jahr war er noch für TTIP, jetzt erklärt er Ceta für den besten Deal überhaupt. Er hat nicht den Mut, Fehler einzugestehen und einen Neustart zu wagen.

Wenn der SPD-Parteikonvent CETA am Montag stoppt, könnte die Partei damit ihren Vorsitzenden zum Rücktritt zwingen. Spielt das in ihren Überlegungen eine Rolle?
Das ist eine Frage, die die SPD klären muss. Wir finden diese starke Personalisierung eher hinderlich. Denn uns geht es um die Sache. Ich kann jedenfalls viele in der SPD verstehen, die TTIP und CETA ablehnen. Der Widerstand in der Sozialdemokratie ist groß - und das völlig zurecht.

Und wenn TTIP und CETA tatsächlich scheitern sollten - was dann?
Wie gesagt: Wir sind nicht gegen Handelsabkommen. Wir brauchen einen Neustart und eine öffentliche Debatte über das Verhandlungsmandat der Kommission. Wir sollten rote Linien definieren, bei denen wir den USA und Kanada einfach nicht entgegenkommen können. Und dann verhandeln wir einen neuen Vertrag, der demokratische Grundrechte sowie soziale und ökologische Standards achtet. Ein solcher Vertrag hätte Modellcharakter.

Fürchten Sie nicht, dass dann andere Player die internationalen Standards und Regeln setzen, wenn TTIP tatsächlich scheitert?
Das Argument kommt oft: Wenn wir die Standards nicht setzen, machen es die Chinesen. Das glaube ich nicht. Die Chinesen müssen ja heute schon für ihre Exporte die strengeren europäischen Produktstandards akzeptieren. Aber das hält sie weder heute noch künftig davon ab, mit anderen Staaten Abkommen mit deutlich niedrigeren Standards zu schließen, TTIP hin, CETA her. Deshalb ist das nur ein vorgeschobenes Argument.

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