Möglich sind sogar Neuwahlen, um die neue Unterstützung in Wahlergebnisse umzumünzen. Das könnte ihm die nötige Mehrheit beschaffen, um die Verfassungsänderung durchzusetzen.
Das erklärt, weshalb in den sozialen Netzwerken bereits die Verschwörungstheorien blühen, wonach der Putsch von Erdogan inszeniert worden sei. Fakt ist: Dafür gibt es im Moment keine Hinweise. Der Umsturzversuch kam für alle Beobachter überraschend.
Klar ist allerdings auch: Wirkliche Gewinner gibt es nicht. Für die Wirtschaft sind die Folgen bedenklich. Die türkische Lira stürzte Freitagnacht innerhalb von zwei Stunden um fast fünf Prozent ab.
Das ist die Gülen-Bewegung
Der heute 75-jährige Prediger Fethullah Gülen hat sich ursprünglich als einflussreicher islamischer Prediger einen Namen gemacht. Bis in die Achtzigerjahre hinein wirkte er als Iman in verschiedenen türkischen Städten. Mit seinen Predigten und Büchern über den Islam, über Bildungs- und Wissenschaftsfragen soziale Gerechtigkeit und interreligiösen Dialog begeisterte Gülen viele Gläubige. Seit 1999 lebt der gesundheitlich angeschlagene Prediger im US-Staat Pennsylvania. Er war nach einer Anklage wegen staatsgefährdender Umtriebe emigriert.
Gülen steht hinter der Bewegung Hizmet („Dienst“). Hizmet sieht einen ihrer Schwerpunkte in der Verbesserung von Bildungschancen.
Für die meisten innenpolitischen Krisen macht Präsident Recep Tayyip Erdogan seit längerem die mächtige Bewegung Gülens mitverantwortlich. Erdogan wirft seinem einstigen Verbündeten vor, einen Staat im Staate errichten zu wollen und seinen Sturz zu betreiben. Die Regierung geht massiv gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger vor, die sie vor allem bei der Polizei und in der Justiz vermutet. Die Gülen-Bewegung wurde zur Terrrororganisation erklärt, viele ihrer führende Köpfe stehen auf einer Liste der meistgesuchten Terroristen der Türkei.
"Die Märkte mögen eventuell die Ruhe nach dem gescheiterten Putsch wertschätzen", sagt Michael Harris von Investmentfond Renaissance Capital. "Nur muss man schon sehr viel Vertrauen in Erdogan haben, um zu glauben, die ökonomischen Faktoren würden sich langfristig verbessern." Nachhaltig helfen würde nur eine nationale Versöhnung zwischen Kurden, Rechten, Kemalisten und Konservativen.
Millionen Arbeitsplätze hängen am Tourismus
Die Tourismusbranche hatte gerade auf etwas Erholung gehofft. Vor zwei Wochen hatte Erdogan die Beziehungen zu Russland und Israel normalisiert. Nach dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges im vergangenen November hatte Putin Sanktionen gegen die Türkei verhängt. Die Buchungen der ehemals vier Millionen russischen Touristen waren um 92 Prozent eingebrochen. Die Folge: leere Hotels und arbeitslose Kellner. An der Tourismus-Industrie hängen indirekt knapp drei Millionen Arbeitsplätze.
Schlüsselstaat Türkei
Die Republik Türkei ist laut der Verfassung von 1982 ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat. Regiert wird das Land von Ministerpräsident Binali Yildirim und dem Kabinett. Staatsoberhaupt ist Recep Tayyip Erdogan, als erster Präsident wurde er 2014 direkt vom Volk gewählt. Im türkischen Parlament sind vier Parteien vertreten, darunter - mit absoluter Mehrheit - die islamisch-konservative AKP von Erdogan. Parteien müssen bei Wahlen mindestens 10 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, um ins Parlament einziehen zu können. Die Türkei ist zentralistisch organisiert, der Regierungssitz ist Ankara. (dpa)
Die Türkei ist seit 1999 Kandidat für einen EU-Beitritt, seit 2005 wird darüber konkret verhandelt. Würde die Türkei beitreten, wäre sie zwar der ärmste, aber nach Einwohnern der zweitgrößte Mitgliedstaat, bei derzeitigem Wachstum in einigen Jahren wohl der größte.
Als Nachbarstaat von Griechenland und Bulgarien auf der einen Seite und Syrien sowie dem Irak auf der anderen Seite bildet die Türkei eine Brücke zwischen der EU-Außengrenze und den Konfliktgebieten des Nahen und Mittleren Ostens.
Seit Beginn des Syrien-Konflikts ist die Türkei als Nachbarstaat direkt involviert. Rund 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge nahm das Land nach eigenen Angaben auf. Die türkische Luftwaffe bombardiert allerdings auch kurdische Stellungen in Syrien und heizt so den Kurdenkonflikt weiter an.
1952 trat die Türkei der Nato bei. Das türkische Militär - mit etwa 640 000 Soldaten und zivilen Mitarbeitern ohnehin eines der größten der Welt - wird bis heute durch Truppen weiterer Nato-Partner im Land verstärkt. Im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe sollen auch Atombomben auf dem Militärstützpunkt Incirlik stationiert sein.
Die deutschen Buchungen waren um 30 Prozent zurückgegangen. Schuld war vor allem die Angst vor Terroranschlägen. Ein Putsch – selbst, wenn er vereitelt wurde – ist nicht gerade das, was man sich von einem entspannten Urlaub erwartet.
Auch für den Wirtschaftsstandort im Allgemeinen wird sich der Putschversuch negativ auswirken. Er schädigt das ohnehin schon angeschlagene Investitionsklima. Dabei ist die Türkei dringend auf ausländisches Kapital angewiesen. Die Sparquote im Land ist gering, die Abhängigkeit von Importen in Form von Energie und anderen Rohstoffen. Um das chronische Leistungsbilanzdefizit auszugleichen, braucht die Türkei den Zustrom von ausländischen Kapital. Das Wirtschaftswachstum lag zuletzt bei 4,4 Prozent. Zu wenig für ein Schwellenland mit einer jungen Bevölkerung.
Stabilität und Sicherheit sind Grundvoraussetzungen für Investitionen. Was das Land gerade am meisten braucht, ist Ruhe. Gewonnen hat deswegen am Samstagmorgen niemand.