Türkei Opposition beantragt Annullierung des Referendums

Die türkische Opposition verlangt, dass die Volksabstimmung vom Sonntag annulliert wird. Ein Antrag wurde am Dienstag offiziell eingereicht. Man wolle alle juristischen Wege nutzen, um das Ergebnis anzufechten, heißt es.

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Anhänger der Republikanischen Volkspartei (CHP) protestieren am 18. April gegen den Ausgang des Referendums. Quelle: dpa

Die größte türkische Oppositionspartei CHP hat offiziell einen Antrag auf Annullierung des Referendums vom Sonntag eingereicht. Der CHP-Vizevorsitzende Bülent Tezcan gab diesen Schritt am Dienstag am Büro der Wahlkommission in Ankara bekannt. Zur Begründung nannte er Unregelmäßigkeiten. Das Ergebnis der Abstimmung sei rechtswidrig, und die Partei werde alle juristischen Wege nutzen, dagegen vorzugehen, sagte Tezcan. Die Regierungspartei AKP wies die Vorwürfe zurück. In mehreren Städten kam es zu neuen Protesten.

Bei dem Referendum hatte das „Ja“-Lager von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan knapp vor den Gegnern einer Verfassungsänderung gewonnen. Damit entschied sich eine Mehrheit der Bürger für einen Wechsel von einem parlamentarischen zu einem Präsidialsystem.

Die Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hatte am Montag erklärt, dass bei dem Referendum internationale Standards nicht erfüllt worden seien. Die Entscheidung der Wahlkommmission, Stimmzettel ohne Amtssiegel gelten zu lassen, habe wichtige Sicherheitsvorkehrungen gegen möglichen Wahlbetrug unterlaufen.

Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim rief die Opposition auf, das Ergebnis der Wahl zu respektieren. „Es ist falsch, zu sprechen, nachdem das Volk gesprochen hat“, sagte er am Dienstag vor Abgeordneten der AKP. „Versuche, durch die Verbreitung von Betrugsgerüchten einen Schatten auf das Ergebnis der Abstimmung zu werfen, sind nutzlos und vergeblich.“ Der Wille des Volkes sei an der Wahlurne frei zum Ausdruck gekommen, „und diese Angelegenheit ist vorbei“.

Die Europäische Union forderte die türkischen Behörden dennoch auf, eine „transparente Untersuchung“ der „mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten“ einzuleiten. Brüssel wünsche sich, dass „die Türkei sich wieder auf die EU zu bewege und nicht noch weiter und noch schneller von uns weg“, sagte EU-Kommissionssprecher Margaritis Schinas. Vor allem im Hinblick auf eine Wiedereinführung der Todesstrafe warnte er Erdogan, nun „von Rhetorik in Taten“ überzugehen. Ansonsten werde dies als Zeichen gewertet, dass die Türkei „nicht ein Mitglied der europäischen Familie“ werden wolle. Die Todesstrafe wäre „die roteste aller roten Linien“, sagte Schinas.

US-Präsident Donald Trump dagegen gratulierte Erdogan. Die beiden Staatschefs hätten zudem Trumps Entscheidung besprochen, einen syrischen Luftwaffenstützpunkt als Reaktion auf einen mutmaßlichen Chemiewaffenangriff auf Zivilisten zu bombardieren, teilte das Weiße Haus am Montagabend (Ortszeit) mit. Demnach bedankte sich Trump, dass Erdogan die Militäraktion unterstützt habe.

Vor der Gratulation hatte sich Trumps Außenministerium allerdings den Bedenken der OSZE angeschlossen und ebenfalls auf „festgestellte Unregelmäßigkeiten“ am Abstimmungstag hingewiesen. Außenamtssprecher Mark Toner beklagte in der Erklärung zudem „ein ungleichmäßiges Spielfeld“ während des Wahlkampfs.

Der CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu äußerte erhebliche Zweifel an der Unabhängigkeit der türkischen Wahlkommission. „Es ist eindeutig, dass die Wahlkommission ihre Macht nicht vom Volk, dem Gesetz oder der Verfassung erhält, sondern von einer ganz speziellen Instanz, von einer speziellen politischen Autorität“, sagte er am Dienstag vor Abgeordneten seiner Partei.

In Ankara stellten sich Hunderte Menschen vor dem Büro der Wahlkommission in eine Schlange, um Petitionen einzureichen. In diesen forderten sie eine Rücknahme der Entscheidung zur Wertung der Stimmzettel ohne Amtssiegel. Diese Entscheidung sowie weitere Unregelmäßigkeiten seien klare Verstöße gegen das Gesetz, hieß es. Vor dem Büro der Kommission in Istanbul bildeten sich Berichten zufolge ähnliche Schlangen. Bereits in der Nacht zum Dienstag hatten Hunderte Regierungsgegner in Istanbul demonstriert und „Dieb, Mörder, Erdogan“ skandiert.

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