Ukraine-Krise Das Rohstoff-Märchen von Kiew

Im Osten herrscht Krieg, der Staatsbankrott droht – doch die Ukraine will die Russen verklagen wegen Gas vor der Krim, das sich Moskau unter den Nagel gerissen hat. Dabei hat Kiew größere Probleme.

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Die Ukraine kämpft um die Gasvorkommen vor der Krim – doch andere Probleme sind dringender Quelle: dpa

In Zeiten der Schwäche bilden sich Nationen gern etwas ein auf die Stärke ihres Potenzials – und für ehemalige Sowjetrepubliken gilt das ganz besonders. Stark fühlen sich die Russen ob der weltgrößten Gasreserven, die da in ihrem Boden schlummern. Und auch die von der Krise geplagten Ukrainer verweisen dieser Tage auf ihren Rohstoff-Reichtum, von dem sie bislang kaum Kenntnis genommen hatten: Auf dem Grund des Schwarzen Meers schlummern große Mengen Gas, mit deren Förderung sich Kiew unabhängig machen kann von teuren russischen Gasimporten.

Klingt gut, ist auch gut. Doch die ukrainische Führung zieht aus dieser nicht ganz neuen Erkenntnis die falschen Schlüsse: Naftogas-Chef Andrij Kobolew kündigte per Interview an, gegen Russland klagen zu wollen. Seit der Krim-Annexion im März vergangenen Jahres sitzt Moskau offenbar auf einem Teil der Gasreserven – denn die lagern just vor der Küste jener Halbinsel, die auf rechtswidrige Weise nun russisch geworden ist. Jetzt soll sich ein internationales Gericht mit der Eigentumsfrage beschäftigen, schließlich soll es um Rohstoffvorkommen im Wert vieler Milliarden Euro gehen. Erste Explorationsprojekte, die bereits vor 2017 Gas fördern sollten, liegen offenbar momentan auf Eis.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine

Klar, klagen kann man immer. Die Ukraine hat dazu ein gutes Recht. Doch im konkreten Fall geht es gar nicht ums Gas. Sondern vielmehr darum, eine internationale Institution mit der Klärung von Territorialfragen zu beschäftigen – Fragen, die politisch momentan nicht zu lösen sind. Russland wird die Krim so bald nicht hergeben, daran lässt sich auch über ein internationales Schiedsgericht nicht rütteln.

Ohne internationale Partner geht nichts

Kiew hat weitaus dringlichere Probleme zu lösen. Es braucht ein neues Steuer- und Bodenrecht, ein gänzlich neues Justizwesen, der Kampf gegen Korruption und Bürokratie muss überhaupt erst begonnen werden. Ohne ein drastisch verbessertes Investitionsklima wird sich kein Investor bereit erklären, bei der Förderung der Gasvorkommen als Finanzier oder Technologiegeber mitzufinanzieren. Und so lange sich keine Partner für solch teure und komplizierte Förderprojekte finden, ist die Diskussion über den Gasreichtum eine rein hypothetische.

Ein wesentliches Problem ist überdies Naftogas selbst. Der staatliche Konzern dominiert im ukrainischen Energiesektor Einkauf, Vertrieb, Transport und Förderung von Gas – und frisst reißt dabei ein Loch von neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Haushalt. Ist die Ukraine mal wieder nicht in der Lage, den russischen Gaspreis zu zahlen, dann liegt das am Defizit bei Naftogas.

Die tiefroten Zahlen des Staatskonzerns, die stets über den Haushalt ausgeglichen werden müssen, haben im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens der subventionierte Gaspreis; die Ukrainer fördern viel zu wenig eigenes Gas und importieren viel zu teuer. Doch die Verbraucher erhalten wie zu Sowjetzeiten ihr Gas zu einem Bruchteil der eigentlichen Kosten. Zweitens regieren bei Naftogas hochgradig korrupte Strukturen: Über Scheinrechnungen und anderen Tricks versickern seit Jahren hohe Millionenbeträge.

Ja, die Ukraine ist ein potenziell reiches Land. Aber wenn dieser Reichtum zu Wohlstand führen soll, muss die Politik den Staat gründlich umbauen und die Korruption bekämpfen – sonst kann man sich auch die Klage gegen Russland sparen. Weil das Gas nie gefördert wird.

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