Ukrainische Finanzministerin Natalia Jaresko "Griechenlands Luxus fehlt der Ukraine"

Die in Chicago aufgewachsene Natalia Jaresko wurde im Dezember eingebürgert, um Finanzministerin der Ukraine werden zu können. Im Interview spricht sie über ihre nächsten Reformen, den Kampf gegen die Korruption und die Macht der Oligarchen.

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Ukraine Quelle: dpa

Frau Jaresko, vor Kurzem haben Sie internationale Gläubiger zum Schuldenschnitt überredet: 20 Prozent der ukrainischen Auslandsschulden von 18 Milliarden Dollar werden erlassen. Ist der Staatsbankrott der Ukraine damit vom Tisch?

Die drohende Zahlungsunfähigkeit war eine sehr ernste Bedrohung. Und ich glaube, dass die Liquidität mit dieser Vereinbarung nun nachhaltig wieder hergestellt ist – sofern kein weiterer Schock geschieht wie etwa eine weitere Eskalation des Krieges mit Russland.

Die Ukraine wird nicht wie Griechenland ein Fass ohne Boden für Geldgeber?

Die Ukrainische Finanzministerin Natalia Jaresko (rechts im Bild) Quelle: dpa

Ein Vergleich mit Griechenland ist unfair. In der Ukraine haben wir nicht den Luxus der enormen Geldsummen, die die EU nach Athen fließen lässt. Die Griechen zählen viermal weniger Einwohner als die Ukraine, doch sie haben 400 Milliarden Dollar zur Verfügung. Wir kommen mit 40 Milliarden Dollar aus – und das bedeutet: Wir müssen das Land tatsächlich reformieren und effizienter wirtschaften. Und das, obwohl wir im Krieg sind.

Sie haben mit dem Schuldenschnitt die Aufgabe erledigt, für die sie Premierminister Arsenij Jazenjuk im Dezember ins Kabinett geholt hat. Nun mehren sich in Kiew die Gerüchte, Sie könnten zum Rücktritt gedrängt werden. Was ist da dran?

Ich bin gekommen, um den Job der Finanzministerin zu übernehmen. Und ich habe noch viel zu tun. In Koalitionsregierungen gibt es immer verschiedene Meinungen. Am Ende ist es die Entscheidung der Koalition, des Präsidenten oder des Parlaments, ob ich gehen soll. Wenn sie mich darum bitten, dann gehe ich. Aber im Moment halte ich es für sinnvoll, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren.

Sie sind wie zwei weitere eingebürgerte Minister nicht im Kiewer Machtapparat groß geworden und gelten als progressive Reformerin. Offenbar geht Ihr Reformwille einigen Oligarchen zu weit, die hinter den Kulissen für eine Regierungsumbildung in deren Sinne werben. Wollen Sie die Oligarchen loswerden, bevor man Sie los wird?

Ich möchte keine Oligarchen loswerden. Ich habe nichts gegen „Big Business“, solange sie die Regeln des Rechtsstaats respektieren, Steuern zahlen, Jobs schaffen und sich am freien Wettbewerb orientieren. Aber ich habe etwas dagegen, dass einige Großkonzerne mithilfe ihrer Macht das politische System für ihre Zwecke missbrauchen. Alle Ukrainer sind diesen Machtmissbrauch und die Korruption im Land leid.

Was sind Ihre nächsten Reformschritte?

Ich möchte die Steuer möglichst simpel gestalten. Mir schwebt ein fester Satz von 20 Prozent für Einkommens-, Gewerbe- und Umsatzsteuer, sowie Sozialversicherungen vor. Allein für diese vier Kategorien gelten derzeit rund 90 verschiedene Beitragssätze, was die Besteuerung subjektiv macht und Spielraum für Korruption eröffnet. Es geht also auch um mehr Transparenz. In diesem Sinne wollen wir bis Ende 2016 zudem staatliche Einnahmen und Ausgaben online stellen. Außerdem soll die Verzollung so weit wie möglich elektronisch abgewickelt werden, damit wir auch dort die Korruption reduzieren.

Der einfache Ukrainer sagt: Seit dem „Euromaidan“ hat sich vieles verändert, aber nichts verbessert. Wie wollen Sie die Unterstützung der Bevölkerung gewinnen, bevor es eine neue Revolution gibt – gegen Ihre Regierung?

Es stimmt nicht, dass sich nichts verbessert hat. Wir haben die Schwankungen der Währung und die massive Abwertung gestoppt. Wir haben die Banken stabilisiert, die Einlagen der Ukrainer sind nun gesichert. Im kommenden Jahr rechne ich wieder mit Wachstum, das zusätzliche Jobs mit sich bringen wird.

"Unser Land braucht jetzt Investitionen"

Registrieren Sie verstärkt ausländische Investitionen?

Ja. Kürzlich hat sich ein japanisches Unternehmen angesiedelt, das in der Westukraine 3000 Jobs schaffen will. Am 1. Januar tritt das Freihandelsabkommen mit der EU in Kraft. Unsere Unternehmen bereiten sich darauf vor, indem sie EU-Standards übernehmen. Wer das schafft, der wird künftig nicht nur nach Europa, sondern mit europäischen Standards auch nach Afrika oder Nahost exportieren können.

Unternimmt Europa genug, um die Ukraine wirtschaftlich zu unterstützen?

Wir sind dankbar für die bisherige Hilfe bei der fiskalpolitischen Stabilisierung. Ebenso wissen wir zu schätzen, dass Brüssel die Sanktionen gegen Russland bis zu einer Umsetzung des Minsk-Abkommens aufrecht erhält. Aber unser Land braucht jetzt Investitionen. Da könnte der Westen über Förderbanken wie die EBRD oder KfW mithelfen. Es geht um den Ausbau der Infrastruktur, aber auch um die gezielte Förderung von Einzelunternehmen. Am 23. Oktober werden wir in Berlin um Investoren werben.

Ihr Land befindet sich weiterhin im Krieg mit Russland. Doch seit einigen Wochen scheint es, dass die Kämpfe in der Ost-Ukraine abflauen. Wie stehen die Chancen auf haltbaren Frieden?

Die Ukrainer wünschen sich nichts mehr als Frieden. Ich kann die Zukunft nicht vorhersagen – aber wir tun dafür alles, was uns möglich ist. Die Kiewer Seite setzt Bedingungen des in Minsk vereinbarten Abkommen um. Aber wir erwarten, dass auch die russische Seite ihre Waffen abzieht, die Gefangenen freilässt und uns unsere Grenzen kontrollieren lässt.

Russland hat die Halbinsel Krim annektiert, Teile der Ost-Ukraine halten weiterhin die von Moskau unterstützten Separatisten besetzt...

...eines muss ich ganz klar sagen: Reguläre russische Truppen besetzen unsere Gebiete, tausende professionelle Soldaten sind in unserem Land und an den Grenzen stationiert. Die Situation bleibt sehr schwierig, aber wir haben die russische Aggression gestoppt!

Wie wollen Sie Ihr Land wieder vereinen?

Abgesehen von der Umsetzung des Minsker Abkommens gibt es nur einen Weg: Wir müssen die Ukraine zum wirtschaftlichen Erfolg machen. Zugleich müssen wir zeigen, dass wir europäische Werte respektieren wie die Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Dann werden wir auch die Einheit wieder herstellen können.

Dafür haben die Ukrainer einen enormen Preis gezahlt. Haben Sie einen Überblick über die Schäden?

Natürlich sind die 8000 Toten und 17000 Verletzten ein fürchterlich hoher Preis. Darüber hinaus schätzen wir, dass die Ukraine etwa 20 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung infolge der Okkupation von Krim und den Ostteilen des Landes zumindest vorüber gehend verloren hat. Wie hoch die Schäden in den besetzten Gebieten sind, kann ich nicht abschätzen – wir haben ja keinen Zugang. Aber nach allem was ich höre, muss die Infrastruktur massiv beschädigt sein. Und ich kenne Agrarunternehmer, deren Felder nun vermint sind.

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