Umfrage zu Europa Alle gegen Deutschland?

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"Im nächsten Leben möchte ich Deutscher sein"

Und siehe da: Der italienische Wirtschaftsjournalist lenkt ein. Ja, Reformen seien wichtig, sagt er. Hoffentlich greife die neue Regierung in Rom durch und wage sich an Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Auch die slowenische Kollegin mischt sich ein. Unser Gespräch wird persönlicher. Beide Zeitungsreporter berichten, wie schwer die Situation in ihrem Land ist. Dass Gehälter gekürzt wurden. Dass die Slowenin, die eine vierjährige Tochter hat, aufgrund von Geldnot wieder bei ihren Eltern ins Haus eingezogen ist. Auch der italienische Kollege wohnt noch zu Hause. Zu teuer seien die Mieten für Wohnungen in Mailand. Trotz Studium. Trotz Festanstellung und Wochenend-Diensten.

Und dann wird aus dem vermeintlichen Hass auf Deutschland plötzlich Neid. „Ich würde gerne mit dir tauschen“, sagt der Italiener. „Im nächsten Leben möchte ich als Deutscher geboren werden.“ Das Land sei stabil, demokratisch, wirtschaftlich stark. Die Slowenin schweigt und nickt. Mein Versuch, die Stimmung – mit dem nicht ganz ernst gemeinten Einwand, dass bei uns die Sonne weniger scheint als in Südeuropa – zu lockern, misslingt. Damit könne er leben, so der Mailänder. Genauso, wie mit der deutschen Mentalität.

Was uns diese Begegnung lehrt? Es gibt – bei der überwiegenden Zahl der Bürger – in Südeuropa keinen Hass auf Deutschland. Wir werden mit Argwohn betrachtet, vor allem die Politik der Bundesregierung. Aber auch mit Respekt. Wer in wirtschaftlicher Not ist, der sucht nach einfachen Antworten. Deutschland soll für alle zahlen, ist solch ein Schnellschuss. Bei Anti-Merkel-Demonstrationen auf Zypern mitzumachen, ebenso. Und auch in Umfragen zu sagen, die Bundesrepublik ist herzlos und arrogant. Einen nachhaltigen Deutschland-Hass sollte man daraus nicht ableiten.

Standpunkte müssen erklärt, Solidarität gezeigt werden

Liebe Griechen, Spanier und Italiener: Lasst uns reden! Lasst uns Argumente austauschen, die Position der Nachbarn zu verstehen versuchen und Lösungen finden. Wer miteinander statt übereinander redet, das ist meine Erfahrung aus Brüssel, schafft Vertrauen und Verständnis. Jeder Einzelne ist gefordert, insbesondere aber die Politik.

Bundeskanzlerin Angela Merkel täte gut daran, ihre Euro-Rettungspolitik öfter und detaillierter zu erklären. Im Inland, wie im Ausland. Sie sollte sich öfter in Südeuropa zeigen, den Bürgern in den Krisenländern ihre Unterstützung zusichern – aber auch ihre Standpunkte und die Notwendigkeit von Spar- und Reformprogrammen erklären. Das tut die Bundesregierung zu wenig. Viel weniger noch machen das die Mitglieder der EU-Kommission in Brüssel oder die Regierungen in den Krisenstaaten. Um von eigenen Fehlern abzulenken, zeigen die politisch Verantwortlichen auf Zypern oder in Griechenland auf Deutschland. Berlin sei Schuld an der Krise und verschlimmere die Lage der Bevölkerung. Eigene Fehler werden totgeschwiegen. Die Erkenntnis: Jeder der vermeintlichen Elite in Europa denkt zuerst an sich.

Vor diesem Hintergrund ist es keine Überraschung, dass das Vertrauen der Bürger in die europäischen Staatengemeinschaft so gering ist. Unabänderlich ist dieser Zustand nicht.

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