Umfrage zu Flüchtlingen Wir schaffen das – zumindest wirtschaftlich!

Ein Großteil der Deutschen ist weiterhin überzeugt, dass Flüchtlinge das Land ökonomisch stärken werden. Ob und wie die kulturelle Integration gelingen kann, ist aber umstritten – in Deutschland und ganz Europa.

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Arbeitsmarkt: Flüchtlinge in Deutschland. Quelle: dpa Picture-Alliance

Das nächste deutsche Wirtschaftswunder bescheren uns hunderttausende Flüchtlinge. Diese Hoffnung formulierte Daimler-Chef Dieter Zetsche im September letzten Jahres. Wer sein komplettes Leben zurücklasse, sei schließlich hoch motiviert. „Genau solche Menschen suchen wir bei Mercedes und überall in unserem Land“, sagt der CEO damals. Knapp ein Jahr später zeigt eine FAZ-Umfrage unter Deutschlands 30 größten Unternehmen, dass nur wenige Flüchtlinge eingestellt wurden. Die Deutsche Post beschäftigt demnach 50 Flüchtlinge, SAP und Merck je zwei, bei Daimler sind es aktuell neun.

Bei den Spitzen von Wirtschaft und Politik ist die Anfangseuphorie längst verflogen. Und die Bevölkerung? Die ist weiterhin optimistisch, dass die Flüchtlinge dem Land ökonomisch gut tun werden. 59 Prozent der Deutschen sagen, dass die Neuankömmlinge das Land mit ihrer Arbeit und ihren Talenten stärker machen werden. 31 Prozent der Bundesbürger glauben das nicht.

Asylanträge nach Bundesländern 2017

Die Zahlen gehen aus einer europaweiten Befragung des Pew Research Center hervor, einem US-amerikanischen Think Tank mit Sitz in Washington DC. In zehn europäischen Ländern hatte das Pew Research Center knapp 11.500 Menschen befragt – in Italien, Griechenland, Frankreich, Spanien, Ungarn, Polen, dem Vereinigten Königreich, Schweden, Deutschland und den Niederlanden. Die Auswahl der Länder steht für etwa 80 Prozent der EU-Bevölkerung sowie 82 Prozent der Wirtschaftskraft innerhalb der Europäischen Union.

Noch optimistischer als die Deutschen sind die Schweden. 62 Prozent glauben, dass ihr Land ökonomisch von den aufgenommenen Flüchtlingen profitieren wird, in Spanien meint das die Hälfte der Befragten. In anderen EU-Ländern überwiegt hingegen die Skepsis. 82 Prozent der Ungarn sagen, Flüchtlinge nehmen der einheimischen Bevölkerung Jobs weg. Auch in Polen (75 Prozent), Griechenland (72 Prozent) und Italien (65 Prozent) überwiegt die Skepsis.

Beim Thema Innere Sicherheit sind die Europäer mehrheitlich besorgt. Durchschnittlich 59 Prozent der Befragten in Europa stimmen der Aussage zu, dass die Terrorismusgefahr wachse, weil Flüchtlinge im Land sind. In Ungarn schließen sich drei von vier dieser Einschätzung an, in Polen 71 Prozent. Deutschland und die Niederlande teilen sich den dritten Platz, hier halten 61 Prozent der Menschen die Terrorismusgefahr im Zuge der Flüchtlingskrise für erhöht.

Skeptisch sind die Deutschen auch bei der Integrationsfrage. Ein Viertel der Befragten stimmt der Aussage zu, dass Deutschland ein besserer Ort werde, weil die ethnische und kulturelle Vielfalt zunehme. Knapp ein Drittel glaubt hingegen, dass diese Entwicklung schlecht für das Land ist. 40 Prozent, eine relative Mehrheit, rechnet mit keinem großen Einfluss.

Wie Dax-Konzerne Flüchtlingen helfen – oder auch nicht
Als die Flüchtlingszahlen stiegen, brüstete sich die deutsche Wirtschaft mit großen Versprechungen: Daimler-Chef Dieter Zetsche orakelte von einem neuen Wirtschaftswunder, BDI-Chef Ulrich Grillo versprach, die Industrie werde „ganz vorne“ mitmachen bei der Integration von Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt. Quelle: dpa/picture-alliance
Viele Initiativen gründeten sich, viele prominente Stimmen meldeten sich zu Wort, ein Credo: Arbeit, Sprache, Bildung sind die Basis gelungener Integration, und überhaupt: Deutschland brauche diese Leute. Quelle: dpa/picture-alliance
Was ist nun aus den großen Versprechungen geworden? Ein Streifzug durch die deutsche Arbeitswelt zeigt: Manche tun nicht viel, außer sich mit der Mitgliedschaft in einer der werbeintensiven Hilfsinitiativen zu brüsten, andere spenden siebenstellige Beträge oder schaffen Hunderte Praktikums- und Ausbildungsplätze. Neben dem Erwartbaren findet sich in der Palette der Hilfsangebote aber auch manche Überraschung. Quelle: dpa/picture-alliance
Der Sportkonzern hat auch 30 Praktikumsplätze in den Bereichen Handel, Logistik und diversen Abteilungen am Headquarter geschaffen. Aber es gibt auch Sport-, Spiel- und Bastelnachmittage mit den Flüchtlingen hier in Herzogenaurach, und engagierte Mitarbeiter können finanzielle Unterstützung für „ihre“ Flüchtlingsprojekte anfragen. Dann gibt es aus dem Adidas-Fördertopf zum Beispiel Trikots für Fußball-Teams oder Schuhe für die Läufer, die am Stadtlauf teilnehmen. Quelle: dpa/picture-alliance
Der Reifenhersteller konzentriert sich auf das Wesentliche: Arbeit und Sprache. Deutschlandweit hat der Konzern in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit 50 Plätze für eine sogenannte Einstiegsqualifizierung geschaffen. Das Programm dauert sechs bis zwölf Monate und soll die Leute fit machen für den Arbeitsmarkt. Ziel ist zum Beispiel die Übernahme in eine Ausbildung bei Conti – zehn Flüchtlinge haben bereits einen Vertrag für die Qualifizierung unterschrieben. Quelle: dpa/picture-alliance
Die Deutsche Post hat bereits mehr als 150 Flüchtlinge auf Praktika im Konzern vermittelt, mehr als 50 Menschen unter anderem aus Ruanda, Eritrea, Togo und Syrien sind außerdem auf konkrete Arbeitsplätze angestellt worden. Besonders stolz ist der Konzern auf seine Mitarbeiter: Mehr als 13.000 Beschäftigte engagieren sich in mehr als 650 Projekten. Auch nett: Etwa 26.000 Quadratmeter Liegenschaften hat der Konzern den Kommunen überlassen, um zum Beispiel Notunterkünfte oder Kleiderkammern einzurichten. Quelle: dpa/picture-alliance
Der Stromkonzern ist Gründungsmitglied der bundesweiten Initiative „Wir zusammen“, die vor allem Plattform zum Austausch über Projekte sein will. RWE ist aber auch Krise, weshalb man derzeit „keine Möglichkeit“ sehe, Flüchtlinge fest anzustellen. Immerhin gibt es zusätzliche 46 Praktikumsplätze und zwei Ausbildungsplätze. Außerdem geben Mitarbeiter Flüchtlingen Sprachkurse, dolmetschen oder lassen sich zu sogenannten Integrationslotsen ausbilden. Eine Aktion, die für einen Stromkonzern vielleicht wie Peanuts anmutet, für die Flüchtlinge sicherlich von großer Bedeutung: In Zusammenarbeit mit der Telekom hat RWE in einem Erstaufnahmelager kostenfreies WLAN-Netz organisiert. Quelle: dpa/picture-alliance

Das Ergebnis deckt sich mit einer Befragung der Stiftung Mercator, deren Ergebnisse kürzlich veröffentlicht wurden. Demnach sank die Zustimmung zur Willkommenskultur bei den befragten Deutschen ohne Migrationshintergrund von knapp 40 Prozent im letzten Jahr auf 32 Prozent in diesem Jahr. Vor einem Jahr sagte zudem eine klare Mehrheit von knapp 55 Prozent, dass sie sich darüber freuen, wenn sich immer mehr Migranten in Deutschland zuhause fühlen. Im Jahr 2016 stimmen dieser Aussage noch 43 Prozent der Deutschen ohne Migrationshintergrund zu.

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