WirtschaftsWoche Online: Herr Tsianos, die Wahlen in Griechenland haben keinen klaren Sieger hervorgebracht. Die Parteien sind zerstritten, das Volk konsterniert. Ist Ihr Heimatland unregierbar?
Vassilis Tsianos: Nein, noch nicht. Stand heute ist: Wir haben eine Regierung. Die Übergangsregierung um Ministerpräsident Lucas Papademos ist ja noch Amt – und könnte die Amtgeschäfte auch noch gut weiterführen. Was danach kommt, ist in der Tat ungewiss. Die Parteien haben große Probleme, Mehrheiten zu finden und Koalitionen zu bilden. Das Wahlergebnis ist schwierig.
Haben Sie trotz der schwierigen Mehrheitsverhältnisse noch Hoffnung, dass eine Regierung gebildet werden kann?
Nein, realistisch gesehen gibt es nur einen Ausweg und das sind Neuwahlen. Das wissen auch alle Parteien. Mit den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen lässt sich nicht arbeiten. Die Parteien sind zu zerstritten, die Bevölkerung zu polarisiert.
Was sind die Gründe dieser extremen Polarisierung?
Die Gründe liegen in der Politik der europäischen Staats- und Regierungschefs. Die Bevölkerung ist nicht mehr bereit, weitere Spareinschnitte hinzunehmen. Sie kann nicht mehr. Das ist umso dramatischer, da sich die große Mehrheit der Bürger zu Europa und zum Euro bekennt. Den Griechen wird aber derzeit keine Perspektive aufgezeigt. Die Sparbeschlüsse müssen aufgeweicht werden. Griechenland muss seine volle Staatssouveränität zurückbekommen. Gleichzeitig muss über die Rückzahlung der Schulden neu verhandelt werden - und ein Wachstumspakt erarbeitet werden.
Das sind viele Forderungen. Hat Griechenland nicht zunächst eine Bringschuld? Müsste sich die griechischen Parteienlandschaft nicht zum Sparen verpflichten?
Das hat die Übergangsregierung ja. Und auch Antonis Samaras, der Chef der konservativen Nea Demokratia hat sich auf Europa zubewegt und seine Protesthaltung aufgeben. Doch das Volk belohnt diese Schritte nicht. Die Konservativen haben an Stimmen eingebüßt und die Sozialisten haben fast 30 Prozent der Stimmen verloren - obwohl sie ordentliche Politik gemacht haben. Zu strikte Töne und Forderungen aus Brüssel stärken die Radikalen. Das zeigt sich ja nicht nur in Griechenland, sondern diese Erkenntnis war auch ein Ergebnis der Frankreich-Wahl.
Warum in Griechenland alles offen ist
Der Chef des Bündnisses der Radikalen Linken (Syriza), Alexis Tsipras, erhält von Staatspräsident Karolos Papoulias ein dreitägiges Sondierungsmandat. Die Partei wurde überraschend zweitstärkste Kraft - mit 16,8 Prozent und 52 Abgeordneten.
Sollte auch dieser Versuch scheitern, bekommen die Sozialisten als drittstärkste Partei das Mandat für drei Tage. Sie bekamen 13,2 Prozent und 33 Abgeordnete. Konservative und Sozialisten - beide
haben die Sparpolitik der letzten Monate getragen - sind bereit zu koalieren. Sie haben aber nicht die nötige Mehrheit von 151 Abgeordneten im 300-köpfigen Parlament. Sie sind damit auf die
Kooperation rechtspopulistischer und linker Parteien angewiesen.
Bis Mitte Mai muss eine handlungsfähige Regierung stehen. Gelingt dies nicht, würde der Präsident alle Parteivorsitzenden zu einer letzten Sondierungsrunde zusammenbringen. Sollte auch dies scheitern, wird das eben erst gewählte Parlament aufgelöst und Neuwahlen binnen 30 Tagen angesetzt. Das Land würde solange von einer Übergangsregierung geführt.
Spätestens Anfang Juni kommt wieder die Geldgeber-Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds nach Athen, um über weitere Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft zu sprechen. Zudem braucht Griechenland dringend frisches Geld - bis Ende Juni sollen es 30 Milliarden Euro sein, die für Renten und Löhne von Staatsbediensteten und zur Stabilisierung des Bankenbereichs nach dem Schuldenschnitt bestimmt sind.
Finden die Kontrolleure keine handlungsfähige Regierung in Athen vor, könnten sie den Geldhahn zudrehen und Griechenland wäre Ende Juni pleite.
Was raten Sie den europäischen Partnern mit Blick auf Griechenland?
Ich hoffe, dass sich Frau Merkel aus dem neuerlichen Wahlkampf heraushält, sollte es zu Neuwahlen kommen. Samaras hat zudem ja auch EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso aufgefordert, sich bedächtiger zu äußern. Ich glaube, das ist ein guter Rat.