Verhandlungen zum Brexit Die Position der Briten gegenüber der EU wird immer verwirrender

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Was wollen die Briten?

Was wollen die Briten also? Brexit-Minister David Davis hatte in den letzten Wochen nebulös erklärt, er setze bei den Verhandlungen mit der EU auf „konstruktive Zweideutigkeit“ und wolle sich im Hinblick auf die finanziellen Scheidungsforderungen, die sich auf bis zu 100 Milliarden Euro belaufen, nicht in die Karten schauen lassen. Die Aspekte der Trennung und der künftigen Beziehungen seien unauflösbar verknüpft, argumentiert Davis. Tatsache ist, dass die britische Regierung weiterhin darauf setzt, schon jetzt über die Fragen der künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien zu verhandeln und sich nicht an den von EU-Chefunterhändler Michel Barnier festgelegten Fahrplan zu halten. Sie hat inzwischen sieben Positionspapiere für die Verhandlungen veröffentlicht, die allerdings vage und voller Widersprüche sind. Hier die wichtigsten im Überblick:

  • Europäischer Gerichtshof: die „direkte“ Rechtssprechung des EuGH in Großbritannien soll zwar mit dem Brexit enden, in einer Übergangsphase könnten die Urteile des Gerichts aber auch künftig als Richtschnur gelten. Wie das vor gehen soll, ist unklar. Und: Was passiert nach dem Brexit? Die Rede ist vage von anderen „Schiedsgerichten“.

  • Handel: Mit dem Ausstritt will die Regierung in London die Zollunion und den EU-Binnenmarkt verlassen. Dadurch soll das Land in die Lage versetzt werden, neue Handelsabkommen mit Drittländern wie den USA oder China abzuschließen. Bisher hat nur die EU das Recht, Handelsabkommen für die Zollunion zu schließen.

Die Briten setzen künftig auf ein maßgeschneidertes Abkommen mit der EU. Alle derzeit in der Europäischen Union erhältlichen britischen Waren sollen nach dem Willen Londons auch nach dem Brexit in der EU zu kaufen sein. Dienstleistungen, die mit dem Handel von Waren verknüpft seien, dürften ebenfalls keinen Einschränkungen unterliegen, heißt es weiter. Kontrollen wollen entweder elektronisch abgewickelt werden oder bereits vor dem Grenzübertritt stattfinden. Außerdem soll es eine Übergangsphase geben, in der weitgehend alles beim alten bleibt. Gleichzeitig aber möchten die Briten die Freizügigkeit einschränken. Die britische Regierung will außerdem bei Agrarprodukten und Lebensmitteln mit der EU auf gemeinsame Standards finden, um Kontrollen zu vermeiden. Das aber könnte Schwierigkeiten aufwerfen, da London Freihandelsabkommen mit Ländern schließen will, deren Produktstandards sich stark von den europäischen unterscheiden.

  • Nordirland:

    Eine Rückkehr zu einer befestigten Grenze nach der Trennung von der Europäischen Union schließt die britische Regierung aus, es soll keine Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Landesteil Nordirland sowie „keine physische Infrastruktur jeglicher Art an der Grenze“ geben. Doch wie soll das in der Praxis funktionieren? Die irische Regierung ist skeptisch, doch ihrem Vorschlag, die Grenzkontrollen an Häfen und Flughäfen der geteilten Insel zu verlegen, erteilt London ebenfalls eine klare Absage, denn das wäre für die nordirischen Protestanten niemals akzeptabel. Die rund 500 Kilometer lange Grenze wird täglich von 30.000 Menschen ohne Pass- und Warenkontrollen passiert. Briten und Iren sollen sich ungehindert zwischen Großbritannien und Irland bewegen können. Wie London die Einreise anderer EU-Bürger kontrollieren will, blieb offen. 

Doch was bisher fehlt ist ein Positionspapier zu den Scheidungskosten, obwohl Außenminister Boris Johnson kürzlich in der BBC erklärt hatte, selbstverständlich werde Großbritannien seine finanziellen Verpflichtungen erfüllen. Auf eine Zahl wollte er sich freilich nicht festlegen. Einen Durchbruch in dieser entscheidenden Frage wird es diese Woche also nicht geben.

Premierministerin Theresa May, die nur mit Hilfe eines  Duldungsabkommens mit den nordirischen Protestanten regieren kann, gerät zu Hause immer mehr Druck. In ihrem gespaltenen Kabinett ringen die pro- und antieuropäischen Minister um Gehör, gleichzeitig muss sie im Vorfeld der zweiten Lesung der „Repeal Bill“, des Gesetzes zur Übertragung von 20.000 EU-Bestimmungen in britisches Recht, angesichts des Vorstoßes der Labour-Partei nun mit einer Rebellion ihrer eigenen europafreundlichen Hinterbänkler rechnen. Was die Briten wollen, wird also in den nächsten Woche nicht unbedingt klarer.

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