Volksabstimmung in der Schweiz Das bedingungslose Grundeinkommen ist unbezahlbar

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Nicht finanzierbar?

Insgesamt rechnet die Schweiz mit Kosten von jährlich 208 Milliarden Franken, etwa 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dem gegenüber würden lediglich 55 Milliarden Franken für die bisherige soziale Unterstützung stehen, die dann entfiele. Die Schweiz, aber auch andere europäische Staaten können sich ein bedingungsloses Grundeinkommen eigentlich nicht leisten, sagt Florian Habermacher, Wirtschaftsforscher an den Universitäten in St. Gallen und Oxford. Gemeinsam mit Gebhard Kirchgässner hat er bereits 2013 ein umfangsreiches Arbeitspapier veröffentlicht, warum das Grundeinkommen nicht finanzierbar sei.

„Während sie sich auf den ersten Blick charmant anhört, entpuppt sich die Idee des bedingungslosen bei genauerem Hinsehen als ethisch sehr fragwürdiges Experiment mit tiefgreifenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen“, sagt Habermacher. Das Wirtschaftssystem sozialer Marktwirtschaften beruhe darauf, dass Menschen aus eigenem Antrieb sich eine möglichst passende Arbeit suchen. In kommunistischen Systemen hingegen würde der Staat den Menschen vorschreiben, was sie wann wo und wie arbeiten sollen.

Gleichzeitig erhalten sie aber auch ein „planmäßig bestimmtes“ Einkommen. „Ein bedingungsloses Grundeinkommen so wie es heute für die Schweiz angedacht ist, stellt in gewisser Hinsicht den Versuch eines Spagates zwischen diesen einander diametral gegenüberstehenden Systemen dar: Man arbeitet zwar noch aus eigenem Antrieb, bekommt dafür aber nicht mehr hauptsächlich das entsprechende marktwirtschaftliche Einkommen, sondern ein planwirtschaftliches Einkommen vom Staat“, sagt Habermacher.

„Dass es nicht finanzierbar sei, ist ein durchschaubares Ablenkungsmanöver“, hält David Häni dagegen. „Natürlich ist es finanzierbar, wenn wir es wollen. Es ist ja nicht mehr Geld. Es ist kein zusätzliches Einkommen, sondern das bestehende Einkommen in der Höhe der Existenz ohne Bedingungen. Diejenigen, die es für nicht finanzierbar halten, sollten besser sagen: ‚Wir wollen nicht, dass die Existenz der Menschen bedingungslos wird‘.

Die Schweiz ist tatsächlich ein Sonderfall, und nicht nur weil hier das Volk über solche Vorschläge ohne weiteres abstimmen kann“, sagt Habermacher. Sie sei außerdem eine sehr kleine, sehr offene, reiche Volkswirtschaft – mit vergleichsweise liberalen Arbeitsgesetzen, tiefen Steuersätzen, und einer gut ausgebauten Finanzindustrie, die auch internationale Firmen anzieht. „Ich glaube, dass diese Verhältnisse nach der Einführung eines tatsächlich existenzsichernden bedingungslosen Grundeinkommens für die Schweiz gerade zum Verhängnis würden. Die Schweiz wandelt sich sozusagen freiwillig von einer Steueroase in eine Steuerwüste."

Es gibt Versuche in anderen Ländern, aber nirgendwo wurde das Grundeinkommen danach flächendeckend eingeführt. So erhielten in einem namibischen Dorf zwei Jahre lang alle Bewohner umgerechnet etwa zehn Euro, gesponsert von der deutschen und namibischen Kirche. Die Befürworter hielten es für ein Erfolg: Es gab mehr Kinder, die zur Schule gingen, die Kriminalität sank. Mittlerweile wurde das Projekt eingestellt. In Kanada wurde der Versuch schon in den 70er Jahren gestartet, letztlich aber abgebrochen. Die Gründe: erhöhte Rezession und Inflation. Zuvor waren in der Provinz Manitoba bis zu 1300 arme Familien mit einem jährlichen Minimaleinkommen ausgestattet. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens stammt dabei nicht aus der Schweiz, sondern wird bereits seit 30 Jahren im Rahmen des Basic Income Earth Network (BIEN), einer belgischen Organisation, besprochen.

Und auch in der Schweiz ist es nicht der erste Versuch, das bedingungslose Grundeinkommen durchzusetzen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts gab es bereits 400 Volksinitiativen – viele scheiterten noch vor der Abstimmung an Formalien oder am notwendigen "Ständemehr". Darunter versteht man die für die Verfassung notwendige Mehrheit der Kantone. Die Initiative aber, über die nun am Sonntag abgestimmt wird, hat zumindest schon mal auf Anhieb die 100.000 Unterschriften zusammenbekommen, die für eine Abstimmung nötig sind.

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